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© ddp

''Tatort''-Kommissare: "Wir sind die Projektionsfläche für die Damen"

Die TV-Kommissare Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl über das Geheimnis ihres Erfolgs, 50 Mal "Tatort", Tabus und die Mafia

Sie sind das beliebteste „Tatort“-Team. Eigentlich verbietet sich bei neun, zehn Millionen Zuschauern ja jede Kritik.

WACHTVEITL, NEMEC: Bitte, nur zu.

In letzter Zeit fällt uns bei Ihnen immer mehr dieser Männer-unter-sich-Zauber auf, vor allem, seitdem Carlo, der dritte Mann, weg ist. Sie sind so ein bisschen die Jack Lemmon und Walter Matthau des „Tatort“. Ein seltsames Paar.

NEMEC: Wenn Sie das sagen, eine gute Adresse. Dann bin ich Lemmon, der Ordnungsfanatiker, und Udo Walter Matthau, der Chaot. Das mit dem Carlo war übrigens die gewollte Dreier-Konstellation: Carlo als Katalysator, der Prellbock.

Der „Tatort“ am Sonntag tippt es aber besonders stark an: dieses Thema Männerfreundschaft. Ivo und Franz. Da ist in 50 „Tatort“-Folgen so etwas, ja, Fast-Hermetisches entstanden.

WACHTVEITL: Finden Sie? Sicher hat sich durch unsere lange gemeinsame Arbeit eine Art Gleichklang der Empfindung entwickelt. Wenn „hermetisch“ aber bedeutet, dass bei uns beiden nichts mehr passiert, dass es abgeschlossen ist, dann müssten wir nachdenken.

Frauen haben bei Ihnen keine Chance.

WACHTVEITL: Wir sind eine der letzten Inseln im Meer von Frauenfernsehen. Scherz beiseite, wir sind keine Schimanskis. Aber dass man jetzt so modisch überall peppige 30-jährige Frauen einstreut, weil es dem Zeitgeist entspricht, ist Quatsch. Heute würdest du bei keiner Redaktion mehr durchbringen, dass drei Männer was alleine machen.

NEMEC: Die Rezeption ist die, dass die Frauen mehr Fernsehen gucken. Mehr Frauenfernsehen heißt bessere Quoten.

WACHTVEITL: Inzwischen gibt es kaum noch einen Film, in dem nicht Frauen das Ruder in die Hand nehmen und zum Beispiel die Firma wieder nach oben bringen. Ich würde es bei uns im Münchner „Tatort“ fast schon zum Konzept machen, dass da keine feste Frau dabei ist. Das hat was Subversives.

Ist das Ihr Ernst?

NEMEC: Ein Erfolgsrezept, was man nicht wegschmeißen sollte. Okay, ab und zu müssen wir mal aufgerüttelt werden.

So alleine sind Sie im deutschen „Tatort“ ja nicht. Da gibt's die beiden Berliner Kommissare. Jetzt ist Richy Müller dazugekommen, mit männlichem Kollegen, dann Mehmet Kurtulus. Alles ziemlich maskulin.

NEMEC: Man muss sagen, dass unsere Redaktion von Anfang an gemeint hat, wir sind die Projektionsfläche für die Damen: Nicht verheiratet, die haben nichts Festes. Das soll auch so bleiben.

Vielleicht hilft Ihnen dabei Ihre Freundschaft. Sind Sie wirklich befreundet?

WACHTVEITL: Anders erträgt man das nicht. Müsste ich nicht mit Miro arbeiten, könnte ich ihn als Freund nicht ertragen. Nein, das war jetzt Spaß.

NEMEC: Wir haben uns in den 18 Jahren „Tatort“ entwickelt. Vorher kannten wir uns gar nicht, haben uns zunächst nicht gut verstanden. Ich sehe manchmal alte „Tatort“-Folgen. Da versteh’ ich den Udo. Es war mitunter schwierig mit mir. Diese polterige Machohaltung.

WACHTVEITL. Du hast lange Zeit ein bisschen gegockelt, versucht, einen auf toller Typ zu machen. Und ich war einfach oft nur schlecht gelaunt.

Ihr Casting 1990 …

NEMEC. … wir dachten, nur einer von uns wird Bayerns „Tatort“-Kommissar.

WACHTVEITL: Das werde ich nie vergessen: Miro hat dabei auf Bayerisch bestellt. Weil er wusste, es geht um einen bayerischen „Tatort“. Ich behaupte nach wie vor, dass Miro kein Bayerisch kann …

NEMEC: … und du kannst kein Kroatisch.

WACHTVEITL: Später erfuhren wir, dass zwei Kommissare gesucht werden.

NEMEC: Das Verrückte ist, dass uns die Dimension dieser Rollenangebote damals nicht im Geringsten bewusst war. Ich kam vom Theater, ich dachte: Fernsehen, muss das sein? Im Hinterkopf war da noch dieses alte 68er-Denken, wo Bullen ja nicht so gut wegkamen.

„Tatort“-Kommissare genießen eine ungeheure Popularität. Können Sie in München noch normal über die Straßen laufen?

NEMEC: Wenn ich nicht betrunken bin, ja.

WACHTVEITL: In München ist doch jeder selber ein Star. Neulich war ich in Karlsbad. Ich saß am Tisch, um zu essen. Da kamen Leute mit dem Handy, stellten sich direkt vor mir auf und drückten ungefragt ab, als wäre ich eine touristische Attraktion. Ich dachte, ich spinne.

NEMEC: Mich hat mal ein Landsmann angesprochen: „Das nächste Mal wir sehen uns im Kasten Viereck.“

Der Fluch des Fernsehruhms. Zeit um kürzer zu treten. Sie, Herr Wachtveitl, werden im Oktober 50.

WACHTVEITL: Ach, die 50. Da habe ich mir noch kein Konzept gemacht. Was mach ich da? Keine Ahnung.

NEMEC: Du redest dich bloß raus, damit du uns nicht einladen brauchst.

Apropos Konzept. Bei aller Quote, die Qualität im „Tatort“ schwankt. Was brennt Ihnen thematisch unter den Nägeln?

NEMEC: Das Thema Wirtschaft und Politik. Es ist schwer zu recherchieren. Uwe Barschel, der tot in der Badewanne gefunden wird. Dahinter laufen ganz andere Geschichten ab, von denen wir nichts wissen. Ich denke da an Costa-Gavras. Oder auch jetzt: Siemens. Diese ganzen Deals zwischen Politik und Wirtschaft.

WACHTVEITL: Organisierte Kriminalität. Da kann man von einer gesellschaftlichen Relevanz sprechen. Mafiöse Strukturen sind, wenn sie sich in einem Land mal festgesetzt haben, nicht mehr rauszukriegen. Das sieht man in vielen Ländern.

NEMEC: Diese Strukturen haben wir in Deutschland mittlerweile ja auch.

Sind Redakteure dafür zu feige?

NEMEC: Nein, es geht ums Geld, um Recherchen, um Genauigkeit. Früher hätte man sich mit Dagobert Lindlau zusammengesetzt, der sich da auskennt. Dann hagelt es einstweilige Verfügungen.

Gibt es noch Tabus, Geschichten, die der „Tatort“ nicht behandeln kann oder darf?

WACHTVEITL: Sagt ihr’s mir mal: Was ist denn ein gesellschaftliches Tabu?

Pädophilie.

WACHTVEITL: Wird dauernd behandelt. Ich weiß nicht, wie viele „Tatorte“ es zum Thema Pädophilie schon gab.

Beim Jubiläums-„Tatort“ versagt Kommissar Batic überraschenderweise die Männlichkeit. Auch fast ein Tabu.

WACHTVEITL: Die Zeiten der ungebrochenen Helden, die US-Fernsehserien der 60er, 70er Jahre, in denen Frauen nur Assistentinnen oder Objekte der Begierde waren, das war dümmlich und frauenfeindlich. Da hat sich wirklich was geändert. So was zu erzählen wie die kleine körperliche Malaise, die Batic diesmal hat, das ist heutzutage Mainstream.

So ein Lapsus könnte Ihnen bald öfters passieren. Seinen „Derrick“ hat Horst Tappert noch mit 75 gedreht.

NEMEC: (lacht) Echt?

WACHTVEITL: Ich glaube, genauso wenig gesteuert wie wir da hineingestolpert sind, wird auch unser Ausstieg sein. Irgendwann sagen wir: Weißt du was, das war’s jetzt! Ich möchte nicht von der ARD-Fernsehredaktion einen Lorbeerkranz für 50 Jahre „Tatort“ bekommen, und auch nicht rausgeschmissen werden.

Ihr Ex-Kollege Carlo ist am Ende nach Thailand geflüchtet.

WACHTVEITL: Wir folgen ihm nach, gute Idee! Bloß nicht erschossen werden. Da wird der BR mal in die Tasche greifen müssen. Wir liegen dann zu dritt am Strand, im Liegestuhl. Carlo kommandiert uns rum, weil er jetzt der Boss ist.

NEMEC: Auf einer kroatischen Insel, mindestens. In Boxershorts. Und mit Krankenschwestern.

WACHTVEITL: Wenn du dann welche brauchst.

Das Interview führten Markus Ehrenberg und Thilo Wydra.

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