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Kapitalismuskritik. Milan Peschel als Wutbürger Steffen Thewes.

© NDR/Christine Schroeder

"Tatort" mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz: Truck Stopp

Ein Mann sieht rot: Der NDR-„Tatort“ erzählt eine fragwürdige Elternliebe-Geschichte mit viel moralischer Wucht.

Ein moderner Hiob: Der Zollbeamte Steffen Thewes im neuen NDR-„Tatort“ ist geschlagen. Seine Tochter droht zu sterben. Es gebe Hilfe, aber die ist fern und teuer. Die Krankenversicherung zahlt nicht. Dabei war er sein Leben lang ein gesetzestreuer Bürger.

Wenn Thewes sieht, wie andere mit krummen Touren reich werden, während er sich die lebensrettende Operation seiner Tochter nicht leisten kann, steigt Wut in ihm auf. Wo ist da die Gerechtigkeit? Wohin mit all der Verzweiflung?

Es ist ein furioser Krimi [„Tatort: Querschläger“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15], eine fragwürdige Geschichte mit viel moralischer Wucht (Buch: Oke Stielow, Regie: Stephan Rick) und einer fast übermenschlichen Frage: Wie weit geht ein Vater, um seiner Tochter ein gutes Leben schenken zu können?

Dazu ein grandioser Protagonist, der, zunächst vermummt, in der Nähe einer Autobahnraststätte auftaucht, um von dort auf parkende Lastwagen zu schießen. Ein Lkw-Fahrer stirbt. Was ist sein Ziel?

Schnell zeigt sich: Der Scharfschütze ist jener Stefan Thewes alias Milan Peschel. Der frühere Volksbühnen-Schauspieler gibt den Zollbeamten-Hiob mit einer verqueren Verzweiflung, die man so schnell nicht vergessen wird. Die es auch Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Oberkommissarin Julia Grosz (Franziska Weisz) schwer macht, in diesem Krimi, der den Täter von Anfang an als bemitleidenswerte Kreatur zeigt, ihrer korrekten Arbeit nachzugehen. Die Tätersuche ist hier im Grunde sowieso zweitrangig.

Es geht um mehr. „Wer einmal Opfer ist, der bleibt ein Opfer“, so Thewes‘ Credo und Entschuldigung für die Erpressung, die er mit seinem missglückten Anschlag auf das Speditionsunternehmen des Aufsteigers Jimmy Aksoy (Eray Egilmez) startet. Selten gab es so viel Wut im „Tatort“. „Ungerechtigkeit ist ein gutes Stichwort“, sagt Peschel dazu.

Anfällig für die Saat des Bösen

„Ich bin mir sicher, es hat damit zu tun, dass seit 30 Jahren der Kapitalismus ungebremst weiter wachsen konnte.“ Es gebe viele Menschen, die sich zu recht allein gelassen fühlen, und die Schere gehe immer weiter auseinander.

„Bei uns sind es ein paar Prozent, die mehr als die Hälfte des ganzen Vermögens der Deutschen besitzen und vielleicht spiegelt so eine Geschichte dies auf eine ganz eigene Art wider. Thewes möchte ein guter Vater sein, aber er hat überhaupt nicht die finanziellen Mittel, seinem Kind zu helfen.“

Es sei schon merkwürdig, dass in einem Sozialstaat Geld für alles der Indikator ist. Dadurch finde eine Art von Selektion statt.

Ein gesellschaftspolitischer Krimi also. Und ein bisschen Hiob, ein bisschen „Fargo“ (je mehr sich der Held bemüht, desto mehr scheitert er). Viel Zeigefinger.

So viel Botschaft tut dem TV-Krimi ja nicht immer gut. Hier schon, obwohl oder gerade weil die Rechnung so einfach ist: Unternehmer Aksoy hat das Geld, das Thewes braucht, damit dessen Tochter (Sara Charlotte Lorenzen), die wegen einer degenerativen Wirbelsäulen-Erkrankung ans Bett gefesselt ist und Weihnachten wohl nicht mehr erleben wird, die OP in den USA bekommt.

90 Minuten Gratwanderung zwischen Erlaubtem und Unerlaubten. Ein besonders guter Mensch, der anfällig wird für die Saat des Bösen. Wie soll man so jemanden wie Vater Stefan Thewes bestrafen, der so kurz davor ist, die nötigen 300 000 Euro für Tochters OP zu ergaunern, wenn man ihn denn kriegt?

Die Lösung, die sich Macho Falke und Grosz – der nebenbei eine homosexuelle Geschichte angedichtet wird – am Ende einfallen lassen, gehört zu den klügsten, sanftesten Schlüssen der jüngeren „Tatort“-Geschichte.

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