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Diesen Mord haben die Kommissare Batic (Miroslav Nemec, Mitte) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) bereits vor zwei Jahren gelöst. Bis zum 18. August laufen im Ersten „Tatort“-Wiederholungen. Am Sonntag um 20 Uhr 15 ist die Folge „Jagdzeit“ dran. Foto: BR

© Stephen Power

"Tatort"-Wiederholungen: In der Warteschleife

Sommerzeit heißt für den „Tatort“ Wiederholungszeit – doch nach welchen Kriterien wird ausgewählt? Der "Tatort"-Koordinator Gebhard Henke verteidigt die derzeitige Praxis.

Sie ist die Einzige, die den Mörder gesehen hat. Und sie schweigt beharrlich. Gibt den Namen nicht preis. Nessi ist 13. Nessi war an der Tankstelle, als Gerd Zach umgebracht wurde, der 55-Jährige, der als stellvertretender Personalchef der Lebensmittelfirma „Konserven-Koller“ längst entlassen ist, nachdem er zuvor andere entlassen hatte. Zach war am frühen Morgen mit seinem Wagen auf dem Weg zur Jagd, sein Jagdgewehr hatte er dabei, nun liegt es neben ihm am Tatort – das kommt Ihnen bekannt vor? Stimmt. So begann im April 2011 der Tagesspiegel-Text von Thilo Wydra über den „Tatort: Jagdzeit“ des Bayerischen Rundfunks. An diesem Sonntag ist er wieder zu sehen, denn Sommerzeit heißt selbst für die erfolgreichste TV-Reihe des deutschen Fernsehens Wiederholungszeit.

8,9 Millionen Menschen haben vor zwei Jahren gesehen, wie die Kommissare Leitmayr und Batic den Mord an dem Personalchef lösten, das war seinerzeit jeder vierte Zuschauer. „Das heißt doch aber auch, dass 75 Prozent der Zuschauer diesen ,Tatort‘ noch nicht gesehen haben“, macht Gebhard Henke die Gegenrechnung auf. Henke ist beim WDR-Fernsehen der Programmbereichsleiter Fernsehfilm, Kino und Serie. Und er hat 1998 von „Tatort“-Erfinder Gunther Witte den Posten des „Tatort“-Koordinators übernommen.

Nach fünfzehn Jahren in dieser Funktion ist Henke die immer wiederkehrenden Fragen zu den „Tatort“-Wiederholungen gewohnt. „Es stimmt doch gar nicht, dass es so viele Wiederholungen gibt“, sagt er. „Früher hatten wir drei Monate Sommerpause, nun sind es nur noch wenige Wochen.“ Bis zum 18. August müssen die TV-Zuschauer in diesem Jahr auf neue „Tatorte“ verzichten. Immerhin wird es einen neuen „Polizeiruf 110“ geben. Am nächsten Sonntag steht „Der Tod macht Engel aus uns allen“ mit Matthias Brandt als Hauptkommissar Hanns von Meuffels auf dem Programm. Und auch sonst gibt es für Henke keinen Grund zur Klage. „Pro Jahr kommen rund 37 neue ,Tatorte‘ plus ,Polizeirufe‘ heraus. In diesem Jahr gibt es im Herbst zudem einen neuen ,Schimanski‘“, verteidigt der „Tatort“-Koordinator das ARD-Krimi-Angebot. „Die paar ,Tatort‘-Wiederholungen, die es gibt, muss man verkraften, auch aus finanziellen Gründen. Für mich ist das eine Frage der Ökonomie und der Vernunft, das gilt auch für den Zeitpunkt der Wiederholungen.“

Der RBB-"Tatort: Edel sei der Mensch und gesund" hatte bei der Erstausstrahlung 9,51 Millionen Zuschauer

Tatsächlich sind es nicht die schlechtesten „Tatorte“, die diesmal in der Wiederholungsschleife laufen. In zwei Wochen sind die Berliner mit „Edel sei der Mensch und gesund“ an der Reihe. Bei der Erstausstrahlung im April 2011 sahen 9,51 Millionen Menschen den RBB-Krimi, das entsprach einem Marktanteil von beachtlichen 26,1 Prozent. An den folgenden Sonntagen stehen dann „Schön ist anders“ (MDR), „Der schöne Schein“ (SWR) und „Unter Druck“ (WDR) auf dem Programm, bevor es am 18. August mit dem neuen „Tatort“ aus der Schweiz mit dem Titel „Das Geburtstagskind“ in die neue Saison geht.

Doch wer entscheidet, mit welchen „Tatorten“ die Sommerpause überbrückt wird? Gibt es feste Kriterien oder wird es noch immer so gehandhabt wie unter Henkes Vorgänger Witte, der die Wiederholungszeit für ganze Reihen mit einem Ermittler nutzte? Die Ausstrahlungstermine sind Sache der Fernsehfilmkoordination. Das gilt sowohl für die Erstausstrahlung als auch die Wiederholungen. „Aber die Absprachen erfolgen kollegial, wenn zum Beispiel ein ,Tatort‘ nicht wie geplant fertig wird und ein Tauschpartner gefunden werden muss“, erläutert Henke das Procedere. Die Wiederholungen sind in der Regel ein bis drei Jahre alt und noch nicht in den Dritten gelaufen. Der Sonntagswiederholungen im Sommer stellen überdies die Ausnahme dar, die Regel sind die Hauptwiederholungen auf dem Freitagstermin um 21 Uhr 45.

Bei der Auswahl spielen finanzielle Kriterien eine gewichtige Rolle. Wer viel produziert, hat mehr zum Wiederholen. Anders gesagt: Große Sender müssen mehr Wiederholungen beisteuern, denn sie haben auch mehr Mittel, um die Wiederholungshonorare für Autoren und Regisseure zu zahlen. „Darüber gibt es keine Diskussion“, sagt Henke. Ansonsten wird darauf geachtet, dass es bei den Ermittlerteams so viel Abwechslung wie möglich gibt. Der Fundus dafür ist reichhaltig. „Ende des Jahres werden wir 895 ,Tatorte‘ zur Auswahl haben“, weiß der WDR-Programmbereichsleiter, der zugleich in der ARD-Gemeinschaftsredaktion für die Haupt- und Vorabendserie sitzt. „Die Quoten spielen hingegen eher eine geringe Rolle. Es werden nicht nur Folgen mit zwölf Million Zuschauern gezeigt, sondern auch welche, die mit neun Millionen Zuschauern ebenfalls sehr erfolgreich waren.“

Allmächtig ist der „Tatort“-Koordinator nicht. Eine Zentralredaktion, die für alles zuständig ist und das letzte Wort hat, gibt es nicht. „Ich lese nicht alle Drehbücher und gebe dann die Richtung vor. Die Landesrundfunkanstalten machen das in ihrer Autonomie“, erzählt Henke. Gleichwohl gibt es für den „Tatort“ ein eigenes Markenboard, das in München angesiedelt ist und sich unter anderem um den Markenschutz kümmert. „Sie ahnen gar nicht, was es da jeden Tag für Anliegen gibt. Das Phänomen ,Tatort‘ beflügelt viele Menschen. Pfarrer wollen ,Tatort‘-Gottesdienste veranstalten, Wirte ,Tatort‘-Kneipen betreiben oder ein Detektiv das ,Tatort‘-Logo auf seine Homepage setzen. Das geht natürlich alles nicht“. Eine Sommerpause für den „Tatort“-Koordinator gibt es somit nicht.

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