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Das Mosaik „The Eddy“.  Es ist die Chemie, die zwischen Menschen (hier André Holland und Joanna Kulig) entsteht, wenn sie eine musikalische Vision verfolgen.

© Netflix

„The Eddy“ auf Netflix: La La Paris

Ein Mosaik aus acht Geschichten: Die Miniserie „The Eddy“ auf Netflix taucht ein in die Welt eines Pariser Jazzclubs.

Von Andreas Busche

Paris war schon immer ein sicherer Hafen für den amerikanischen Jazz. Bud Powell verbrachte hier seine letzten Lebensjahre, Eric Dolphy suchte kurz vor seinem Tod Zuflucht, der junge Miles Davis fand in den breiten Pariser Alleen Geschmack an der Freiheit, Lester Bowie und sein Art Ensemble bezogen Residenz im Théâtre des Vieux Colombier.

Elliot Udo (André Holland) blickt auf eine ruhmreiche Ahnenreihe zurück. Ihn hat das Schicksal nach Paris verschlagen, aber gibt es einen besseren Ort, an dem eine gefeierte Jazz-Legende nach dem Tod des Sohnes einen Neuanfang versuchen könnte? Elliot betreibt in einem Fabrikgebäude in den Außenbezirken der Stadt den Live-Club „The Eddy“, sein Name lockt die A&Rs der großen Plattenlabels. Doch Star der Show ist Elliots Hausband, ein Sammelbecken fantastischer Musikerinnen und Musiker - und gescheiterter Existenzen.

„La La Land“-Regisseur Damien Chazelle ist der jüngste Zuwachs von Oscar-Preisträgern im Netflix-Portfolio. Der Streamingproduzent hatte mit seinen Hollywood-Größen zuletzt eher Glück im Serien- denn im Spielfilmformat (die Ausnahme: Noah Baumbachs „The Marriage Story“), das Versprechen künstlerischer Freiheit lässt sich in zehn Stunden scheinbar doch besser realisieren als in kinoüblichen zwei.

Chazelle hatte sich schon mit seinem frankophilen Debüt „Guy and Madeline on a Park Bench“ von 2008 als Jazz-Aficionado geoutet, mit der achtteiligen Netflix-Miniserie „The Eddy“ macht er jetzt aber ernst.

In seinen Filmen „Whiplash“ und „La La Land“ wurde nie so ganz klar, was Chazelle am Jazz tatsächlich begeistert: das Regime rigoroser Selbstoptimierung oder doch der schöne Schein einer vergangenen Showbiz-Ära? „The Eddy“ lässt an der Antwort keinen Zweifel mehr: Es ist die Chemie, die zwischen Menschen entsteht, wenn sie eine musikalische Vision verfolgen, ihrer Wut, ihrer Hoffnung Ausdruck verleihen und zu einer gemeinsamen Sprache finden.

„The Eddy“ ist ein Mosaik aus acht Geschichten. Sie drehen sich um den titelgebenden Jazz-Club in der Pariser Banlieue, der für Chazelles Figuren zur Ersatzfamilie wird.

In André Holland und Amandla Stenberg als Vater-Tochter-Gespann mit problematischer Vergangenheit sowie Tahar Rahim als Elliots Partner Farid hat Chazelle zudem drei Darsteller gefunden, die dieses fragile Konstrukt emotional zusammenhalten.

Damien Chazelle erweist sich als formidabler Bandleader

Das Cassavetes-Thema der Ersatzfamilie ist nicht der einzige Bezug auf den radikalen New Yorker Filmemacher, der die Improvisation stets dem Drehbuch vorgezogen hat. Auch Julien Poupard und Eric Gautier spielen mit der Kamera Jazz: Sie heftet sich an die Solisten, nimmt den Rhythmus der Musik auf.

Diese schwindelerregende Dynamik ist für den Bildschirm anfangs gewöhnungsbedürftig, aber so entsteht ein Gefühl für den Jazz – was in den Filmen Chazelles bisher bloße Behauptung blieb.

Die gut zwanzig Stücke stammen aus der Feder von Glen Ballard und Randy Kerber, der auch in Elliots Band mitspielt. Mit ihm, Joanna Kulig, dem Star aus dem polnischen Oscar-Gewinner „Cold War“, Damian Nueva und der kroatischen Schlagzeugerin Lada Obradovic hat Chazelle Musiker mit einer erstaunlichen dramatischen Sensibilität gefunden, sodass sich die rhapsodischen Sprünge zwischen den Songs – Proben, Auftritte, Jam Sessions – und den Geschichten nie konstruiert anfühlen.

Die Regisseurinnen Houda Benyamina und Laïla Marrakchi finden zudem einen ganz eigenen Ton für die Geschichten von Maja (Kulig), Farids Frau Amira (Leïla Bekhti) und dem jungen Sim (Adil Dehbi), der im „Eddy“ arbeitet und sich nebenbei als Rapper versucht. Damien Chazelle erweist sich, um im Bild zu bleiben, als formidabler Bandleader.

Man spürt, dass die US-französische Koproduktion („The Eddy“, ab 8. Mai auf Netflix) für ihn nach dem mauen Raumfahrerfilm „First Man“ eine Befreiung war. Mit „The Eddy“ bewegt sich Chazelle aus der Komfortzone, die Dialoge wechseln zwischen Englisch, Französisch und Arabisch.

Die rohe Verité-Ästhetik verstärkt ein Paris-Bild, das man zuletzt auch in Banlieue-Dramen wie „Die Wütenden“ (Kamera: Julien Poupard) oder „Divines“ (Regie: Houda Benyamina) gesehen hat. Das Postkarten-Paris ist weit weg, nur einmal erhascht man einen Blick auf den Eiffelturm. In weiter Ferne zeichnet sich seine Silhouette ab.

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