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Theater im Fernsehen: Schiffbruch als Chance

Das Théâtre du Soleil erkundet Jules Verne und bringt die "Schiffbrüchigen" zuerst auf die Bühne und dann ins Fernsehen.

Die Romane von Jules Verne, seine „außergewöhnlichen Reisen“ mit dem Entdeckerpathos des 19. Jahrhunderts und den gelegentlichen Anklängen an die Science-Fiction, gaben schon häufig den Stoff für ausgefallene Bühnenstücke und Theaterfantasien. So auch im Fall seines nicht mehr zu Lebzeiten veröffentlichten Reiseberichts über die „Schiffbrüchigen der Jonathan“: Der Roman wurde vor vier Jahren von Ariane Mnouchkine und ihrer Hausautorin Hélène Cixous erstmals für die Bühne adaptiert.

Aber die Mnouchkine wäre nicht die seit fünfzig Jahren unermüdliche Verfechterin eines alternativen, eines, wie sie sagt, „populären“ Theaters, und ihr Théâtre du Soleil in einer früheren Munitionsfabrik im Osten von Paris, wäre nicht eine der politisch engagierten Bühnen, würden sie nicht an Jules Vernes Vorlage seine Auseinandersetzung und Empathie für frühsozialistische Gedanken herausarbeiten.

Von der Utopie einer anarchischen Enklave

Und so gelingt es, die Utopie einer anarchischen Enklave an der äußersten Südspitze Feuerlands, die den Zugriffen der Kolonialmächte standzuhalten versucht, mit der damaligen europäischen Zeit- und Kulturgeschichte zu verweben: mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, mit den tödlichen Attentaten an politischen Hoffnungsträgern – nicht dem in Sarajewo getöteten Kronprinz der Habsburger, sondern dem Pazifisten und linksrepublikanischen Abgeordneten Jean Jaurès – und mit der Frühgeschichte des seinerzeit populärsten Massenmediums, des Kinos.

Da ist es denn konsequent, dass das Ensemble mit „Les Naufragés du Fol Espoir“, seinem Stück nach Jules Verne, es nicht bei der Aufführung im Theater belässt, sondern auch das Fernsehen für sich nutzt. Nun birgt die Umsetzung eines Bühnenwerks für den Bildschirm bekanntlich hohe Risiken. Ariane Mnouchkine nimmt kein décor naturel zuhilfe; keinen Rückgriff gibt es bei ihr auf Außenaufnahmen. Vielmehr taucht der Fernsehzuschauer in ein Universum der Bühnenkunstgriffe und ist zugleich einem zeitlichen Rhythmus und einem Fluss des Geschehens unterworfen, die ihm ungewohnt und in einer Dauer von drei Stunden langatmig sind.

Das mag auch daran liegen, dass die Mnouchkine an einer Art aufgeklärten und emotionalisierten Vertrauens festhält, das der übrigen Welt zunehmend abhanden gekommen ist. Wer vermag etwa noch, mit derselben optimistischen Ergebenheit der Internationalen zuzuhören wie ihre „Schiffbrüchigen“? Hendrik Feindt

„Schiffbruch mit verrückter Hoffnung“, Arte, Donnerstag, 21 Uhr 45

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