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Medien: Totgeschwiegen – totgefeiert

„Helden ohne Ruhm“: Weitere TV-Filme zum 17. Juni 1953

Ein strahlendes junges Mädchen hält eine Tafel hoch: „Nieder mit der Regierung" steht darauf in Krakelschrift. Das war in Leipzig. Dass es beim spontanen Aufstand am 16. und 17. Juni 1953 nur um Proteste gegen Normerhöhungen ging, gehört ins weite Land der Legenden. Ebenso wie die Mär, allein in Ost-Berlin seien die Arbeiter auf die Straßen gezogen und die sowjetischen Panzer gegen sie aufmarschiert. Tatsächlich entzündet sich zwar der Funke an den Großbaustellen in Friedrichshain und an der Stalinallee, setzt aber schnell die ganze DDR in Brand. Nach Bitterfeld und Rathenow, nach Halle, Jena, Magdeburg und Görlitz schwenkt die Kamera, während die Uhr läuft und sich von Stunde zu Stunde das Gesicht jenes Streiks, der vielleicht gar eine Revolution war, verändert, die Ereignisse an Tempo und Dramatik gewinnen. Die Herrschenden im Lande und in der Sowjetunion schauen starr vor Schrecken auf jenes Volk, das sie so selbstbewusst, so mutig nicht gewollt, nicht erwartet haben.

Wenn Artem Demenok und Andreas Christoph Schmidt in die Geschichte vor 50 Jahren eintauchen, entfaltet sich ein tiefenscharfes und personenreiches Panorama jener zwei Tage, die in der DDR in der Zeit danach totgeschwiegen, in der Bundesrepublik totgefeiert wurden. Am Anfang steht ein Propagandafilm in Agfacolor, der von Arbeitslosigkeit im Westen kündet und von Massenfluchten in den Osten. Am Ende laufen Schauprozesse gegen West-Berliner, wird berichtet von Folter, Deportation, Todesurteilen. Amüsiert oder noch immer bitter erinnern sich Zeitzeugen an jene kleinen, mal grotesken, mal tragischen Szenen, aus denen sich ein historisches Ereignis zusammensetzt. Dazwischen erscheinen die authentischen Bilder, Fotos, Filme, gar ein neu aufgefundenes Super-8-Privatdokument aus Leipzig: junge Gesichter, vor Euphorie und Hoffnung auf Freiheit und Demokratie leuchtend in den Straßen, wechseln ab mit alten Gesichtern, steinern in ihrer ratlosen Machtfülle. Die Rolle des Westens bleibt so marginal und undurchsichtig, wie sie wohl wirklich war.

Die Filmemacher erzählen die Geschichte entschieden von innen heraus, von dort aus, wo sie entstand: den Demonstranten gehört ihr Herz, jenen, denen niemand sagte, was sie tun sollten, die ihre Redner spontan beriefen, die keine Rädelsführer kannten. „Helden ohne Ruhm" ist ein engagierter Dokumentarfilm, der endlich denen Gerechtigkeit verschaffen will, die bisher unsichtbar und namenlos blieben.

Nur - brauchen wir wirklich neue Heldengeschichten? Muss dieses packende Geschehen unbedingt mit den pathetischen Klangkaskaden von Schostakowitsch (von denen nur Musikexperten wissen, dass sie nicht so sozialistisch-realistisch gemeint sind, wie sie vordergründig klingen), so aufgeladen werden, dass sich die leuchtenden jungen Leute in eherne Helden-Denkmäler verwandeln? Haben die Produzenten nicht gemerkt, dass sie die Glaubwürdigkeit ihres Werkes infrage stellen?

Das RTL-Missverständnis

RTL sendet heute und am Dienstag den zweiteiligen Dokumentarfilm „Wir da drüben - die Geschichte der DDR erzählt von Peter Kloeppel". Es wäre durchaus interessant gewesen, verschiedene Arten von televisionärer DDR-Geschichtsschreibung für verschiedene Arten von Publikum zu vergleichen. Doch von den 100 Minuten zeigte der Kölner Sender bei einer „Pressekonferenz" lediglich einen schick und effektbewusst zusammengeschnittenen Trailer von 10 Minuten Länge, Kassetten gab es nicht vor der Ausstrahlung. „Die Zuschauer sollen sich unbeeinflusst darauf einlassen", sagt Anchorman Peter Kloeppel und will damit offenbar im Ernst seine Journalistenkollegen als RTL-Werbeagenten benutzen. Sie sollen eine Katze im Sack empfehlen, von der sie nicht einmal wissen können, ob das Wesen überhaupt lebt.

„Helden ohne Ruhm“: heute, 22 Uhr 05, Arte, am Dienstag, 21 Uhr 05, ARD. Das Begleitbuch von Thomas Flemming „Kein Tag der deutschen Einheit – 17. Juni 1953“ ist im be.bra-Verlag erschienen.

„Wir da drüben“: heute und am Dienstag,

22 Uhr 15, RTL.

Mechthild Zschau

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