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Der Kinoerfolg „Fack Ju Göhte“ mit Elyas M'Barek und Karoline Herfurth.

© picture alliance / dpa

Tristesse nach der Fußball-WM: Was die TV-Fiktion von dem Großereignis lernen kann

Nicht mal eine Woche nach Klose, Schweinsteiger und Lahm kann der Zuschauer wieder die Nase voll haben von dem, was im fiktionalen Bereich geboten wird.

Es waren die Wogen des Spiels, die über uns brandeten. Das schreckliche Hin und das herrliche Her. Es war die aufwühlende Ungewissheit, wohin es uns Zuschauer wohl am Ende treiben würde. Es war die Abwesenheit von Dialog, Erklärung, ausgeklügelter Regie. Angstlust pur, die Bilder siegten immer. Die Körpersprache schlug mit ihrer Klarheit jede Grammatik, jede Dialogpointe. Der Ball, dieser kugelige Gott, belohnte, zerbrach und entschied: Brust Götze, Fuß Götze, Tor Götze, und mit ihm hatte ein ganzes deutsches Team getroffen, ein Heldenstück von allen Helden.

Nachgeträumt darf noch werden. Von einem Fernsehwahnsinn, der vier Wochen das Nebenbei-Medium zur Hauptsache machte. Gerade jetzt, wo der graue Star der Routine mit unerbittlicher Ladenhüterei und gestriger Betulichkeit die Bildschirme trübt. Nicht mal eine Woche nach Klose, Schweinsteiger und Lahm kann der Zuschauer nämlich wieder die Nase voll haben von dem, was im fiktiven Bereich geboten wird. Vierte Liga statt Spitzensport.

Gauchos können gar nicht so gebückt gehen wie es die ARD gleich nach der WM tut: „Paulette“ lief am Montag, zwar französisch und neu, aber vollkommen dämlich. Am Mittwoch: „Frösche petzen nicht“, ein dramaturgisch unsäglicher Ladenhüter aus dem Rottensack der Doris Heinze. Es folgen „Reiff für die Insel“ (friesisches Gähn) und „Kennen Sie Ihren Liebhaber?“ (Wiederholung mit der lebenden Wiederholung Christine Neubauer), kein Klose hilft mehr. Dazu passt die Nachricht, dass der ARD bessere Ware leider im Moment nicht zur Verfügung steht, Zulieferungsschwierigkeiten, beim Sonntagskrimi, ausgerechnet. Das hätte mal Manager Oliver Bierhoff sagen sollen.

Eleganz des männlichen Geschlechts

Der Glanz der WM leuchtet in die sommerliche Tristesse der ARD-Fernsehfilm-Verließe. Es wird dauern und Ende August werden, bis sich die Kunstlage hoffentlich bessert. Inzwischen bleibt Zeit, darüber nachzudenken, ob und was der Rausch der WM am Geist der deutschen TV-Filme verbessern kann. Ob überhaupt etwas? Sind nicht Dramen und Sport zwei Kontinente ohne Verbindung? Im Prinzip ja. In der Wirklichkeit nicht. Geschichten entstehen nicht allein im Gehirn eines Autors. Stimmungen, Generationsbefindlichkeiten, Glücksgefühle sollten an Drehbüchern mitschreiben. Man muss sie nur lassen und nicht in die Routine flüchten. Diese WM hat Gesten, Choreografien und Gefühle gebracht, die Routinen aufbrechen könnten.

Das Erste, was die Fernsehfilmmacher aus der Fußball-WM lernen sollten, ist die Wiederentdeckung des Charmes, der Eleganz und der Willensstärke des männlichen Geschlechts. Das letzte Wort über dieses vermeintliche Mangelwesen ist nämlich noch längst nicht gesprochen. Leider: Unter femininer Fernsehaufsicht haben Männer, zumal in Mannschaftsrudeln, eine Abwertung erfahren. In Gemeinschaft, ohne Frauen, stehen sie auf dem Bildschirm des Fiktionalen für bemitleidenswerte Säcke, die nichts ohne weibliche Anleitung auf die Reihe bringen. Schon gar keine genialen Teams.

Der Respekt vor den Gefühlen, Geheimnissen und der Kraft von Männern in Gemeinschaft wird im fiktiven Fernsehen so selten besungen wie deren Attraktivität. Die Orgien männlicher Körperlichkeit aus Brasiliens Stadien, sieht man von den Tätowierungen ab, ist auch indignierten (vielleicht auch faszinierten) Frauenaugen zuzumuten. Auf jeden Fall kann es sehr reizvoll sein, Schauplätze aufzusuchen, an denen im Geschlechterkrieg Waffenstillstand herrscht und nicht das Dauerleiden der Männer an sich selbst.

Eine weitere Lücke im Fiktionsangebot deckt die WM ebenso auf: Es ist die offene Freude am Triumph. Durch die protestantische Selbstbestrafungslust der obwaltenden Fernsehdramaturgie müssen die Helden des Movies immer verschämt bleiben, ein drucksendes Lächeln höchstens, wenn ein Verbrechen gelöst ist. Nie aber Stolz, Jubel, und Ausgelassenheit. Eine TV-Lyrik für Triumphe gilt als Sünde und Hoffart.

Die WM hat zudem gezeigt, wie faszinierend es ist, wenn Helden das Einsamkeitspathos aufgeben und aus dem einen Hero ein ganzes Team wird. Noch immer klebt der Fernsehfilm an dem Schema, ein Ich wird erst dann ein Ich, wenn es ganz allein durch die Finsternis zum Licht schreitet. Diese monadische Heldensicht schafft Figuren, die zwischen narzisstischem Größenwahn und der Furcht vor der Welt gefangen bleiben. Das Aufgehobensein in einem Kollektiv, das Herstellen von Nähe zu einem oder mehreren Schicksalsgenossen wird als künstlerisch weniger spannend erachtet.

Man sieht es täglich: Missgelaunte Stoppelbärte, kindische Melancholiker, bärbeißige Traumaten wüten (erstaunlich erfolgreich) durch die Krimis. Deren schicke Asozialität schüchtert die Zuschauer ein. Sie erzeugt ehrfürchtige Schauer, wenn man sieht, wie das Böse in seiner Erhabenheit aufscheint. Der Zuschauer verfällt dann leidenschaftlich gern in existentielle Hingebungsstarre. Ein passives Glück, künstlerisch gefeiert, stellt sich ein, aber in Wahrheit auch Drückebergerei vor dem Zeigen von Lösungen.

Das Betrachten der WM weckt eine träumerische Erwartung: Könnte man nicht mal vom dauerdepressiven Heldenautismus wegkommen und die Entstehung eines Heldenkollektivs zeigen? Beispiele gab es. „Der Große Bellheim“ – lauter abgehalfterte Oldies retten ein Warenhaus – war ein frühes Beispiel für die Feier eines ganzen Teams. Der Dreiteiler „Die Wölfe“ von Friedemann Fromm von 2009 – eine jugendliche Freundesclique kämpft sich durch die Berliner Nachkriegszeit – , war auch nichts anderes als die liebevolle Beschreibung einer ganzen Mannschaft und deren Kampfgeist.

Und „Fack Ju Göhte“, dieser berechtigte Kinoerfolg, verflüssigte – anarchieverliebt – die dramatischen Hierarchien. Ob Knastologe oder aufgegebener Schüler, es schien, als sähe man zu, wie eine ganze Generation frei von Schablonen ihren eigenen Bildungsroman erzählt. Was heißt überhaupt erzählt? Heiter herunterrast, wäre der bessere Ausdruck, wie ein gelungenes Umschaltspiel beim Fußball.

Guter Fußball und gute Fernseherzählung brauchen Schwung. Den kann nur ein Kalkül erzeugen, das den Figuren Raum gibt. Dass man meint, sie würden nicht mehr am Gängelband eines Drehbuchs gehen, sondern mit uns, den ebenso ahnungslosen Zuschauern, durch ihre Rolle wandern. Hier entsteht Offenes und die Wahrheit, die Addi Preissler, der Urgott der Fußballgötter, die „aufm Platz“ genannt hat. Hier ist der Ort für rollende Fernsehwogen, für Authentizität, für raffinierte Unschuld, für eine knäbische Jungs- und Mädchenlust, die nicht alt werden kann, selbst wenn Götzes großer Augenblick längst zur Legende versteinert ist.

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