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Beinahe täglich informiert derzeit Luc Walpot, der Leiter des ZDF-Studios in Istanbul, die Zuschauer des „heute-journal“ über die Vorgänge in der Türkei.

© Tsp

Türkei-Korrespondenten: Die Angst dreht mit

Noch sind es eher Sticheleien und keine drastischen Behinderungen, von denen Auslandskorrespondenten in der Türkei berichten. Doch die Sorge ist groß, dass sich das schnell ändern könnte.

Seit dem gescheiterten Putsch in der Türkei wurden Haftbefehle gegen beinahe hundert missliebige Journalisten erlassen, in den Bildern des türkischen Fernsehen unterscheiden sich diese Verhaftungen nur wenig von denen abgeführter Putschisten. Derzeit läuft kaum eine Ausgabe von „Tagesschau“ und „heute-journal“ ohne weitere erschreckende Berichte aus der Türkei, häufig aufgenommen mit dem Bosporus im Rücken der Korrespondenten. Doch wie frei können sich die TV-Reporter oder andere deutsche Journalisten überhaupt noch in Istanbul und anderen Orten der Türkei bewegen? Wie viel Druck übt die Regierung von Recep Tayyip Erdogan auf die Korrespondenten aus?

Den Zorn einiger Türken bekam im April das ZDF-Studio in Istanbul zu spüren. Nach dem Schmähgedicht von Jan Böhmermann auf den türkischen Präsidenten in ZDFneo wurde das Istanbuler ZDF-Studio Ziel einer Eierwurfattacke. Weitere Angriffe dieser Art hat es zwar seither nicht gegeben, weder beim ZDF noch bei der ARD. Die Arbeit der TV-Korrespondenten hat sich dennoch verändert, berichtet Luc Walpot, Leiter des ZDF-Studios in Istanbul. „Drehvorhaben auf offener Straße sollte man jetzt immer auf mögliche Behinderungen durch Behörden oder Polizei prüfen, da im Ausnahmezustand auch ohne Angabe von Gründen Platzverbote, vorübergehende Festnahmen oder Ähnliches auch von Journalisten möglich sind“, sagte er dem Tagesspiegel.

Viele Gesprächspartner halten sich nun zurück

Eine ganz praktische Folge des Ausnahmezustands und der Festnahmen ist dagegen die Zurückhaltung vieler Gesprächspartner, die derzeit lieber nicht vor die Kamera eines ausländischen Senders möchten. Auch wenn es keine Zensur im eigentlichen Sinne gebe, seien einige Quellen als Folge der Verhaftungswellen versiegt. „Es bleiben aber immer noch Ansprechpartner außerhalb der Regierungspartei AKP“, sagte Walpot.

Michael Schramm, Leiter des Istanbuler ARD-Studios, beschrieb die Lage für die Auslandskorrespondenten als eine Phase der Ängste. Im Moment gebe es zwar keine konkreten Behinderungen oder gar Angriffe, auch von Zensur könne nicht gesprochen werden. Dafür gibt es kleine Nadelstiche. So bleiben Einladungen zu offiziellen Regierungs-Pressekonferenzen inzwischen aus. Die „Festakte“ auf dem Taksim-Platz würde Schramm mit seinem Drehteam nur noch ohne sichtbares Senderlogo für Reportagen aufsuchen, das gleiche gelte für bestimmte AKP-Hochburgen. „Es gibt Gegenden, die werden von vielen Kollegen und mir als ,No-go-Areas‘ empfunden“, so Schramm. Zudem müsse befürchtet werden, dass sich die Situation verschlechtere, speziell wenn der EU-Flüchtlingsdeal mit der Türkei scheitert, sagte Schramm. „Dann könnte möglicherweise sehr bald ausländischen Kollegen das Leben schwer gemacht werden.“

Bei vielen Erdogan-Befürwortern, auch in Deutschland, genießen die ausländischen Medienvertreter ohnehin den Ruf, ein verzerrtes Bild der Türkei zu zeichnen. Zudem werden sie als parteiisch wahrgenommen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirft deutschen Medien vor, fremdgesteuert gegen die Türkei und ihren Staatspräsidenten Stimmung zu machen. „In den meisten europäischen Ländern sind die Medien nicht frei. Vor allem in Deutschland sind sie überhaupt nicht frei“, sagte Cavusoglu am Freitag dem regierungsnahen Sender TGRT. ZDF-Mann Walpot berichtet, dass er als Korrespondent zwar nicht direkt für die deutsche Politik verantwortlich gemacht, aber generell als Vertreter der Erdogan-Kritiker angesehen werde. „Viele türkische Bürger sind überzeugt, dass wir nicht fair berichten, sondern einseitig das Bild der Türkei und ihres Präsidenten schlechtmachen.“

Angst vor negativen Folgen

Längst nicht alle Auslandskorrespondenten berichten so offen über ihre Arbeitsbedingungen wie Walpot und Schramm. So kritisch die Journalisten in ihren Berichten sind, so verschlossen sind sie, wenn es um die eigene Person geht, hat auch der Deutsche Journalisten-Verband festgestellt. Für Verbandssprecher Holger Zörner ist das ein klares Zeichen für die Ängste der Journalisten vor einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, sollten sie sich negativ über ihre Aufenthaltssituation äußern.

Diese Sorge gilt offenbar nicht nur für Journalisten, die als Einzelkämpfer arbeiten, sondern genauso für größere Institutionen. Obwohl die Lage für Journalisten, die für deutsche Medien arbeiten, derzeit in der Türkei weniger bedrohlich sei, als nach den Berichten zu befürchten wäre, wolle man sich nicht öffentlich zu den Arbeitsbedingungen äußern, heißt es dann. Die dahinterstehende Sorge: aus kritischen Äußerungen könnte den Korrespondenten „ein Strick gedreht werden“.

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