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TV-Doku: Alltag in Srebrenica

Vierzehn Jahre nach dem Massaker sammelt eine TV-Dokumentation Stimmungsbilder aus Bosnien.

Srebrenica 2009: Der serbische Pope Mitar, ein stattlicher Mann mit weißen Haaren und Vollbart, stapft durch den Schnee. Er müsse als guter und anständiger Mensch leben, sagt er, aufrichtig, gerecht und fromm. In seiner Kirche hängt ein Bild des zurzeit in Den Haag vor Gericht stehenden ehemaligen Serbenführers Radovan Karadzic. Mitar versichert seiner Gemeinde in der Predigt: „Wir haben keinen Genozid begangen.“ Bürgermeister Malkic, ein Moslem, der im Krieg selbst Angehörige verloren hat, hört sich in der Sprechstunde die Probleme der Einwohner an und wirkt genervt. Eine Frau klagt, eine Hilfsorganisation habe an ihrem Haus, als sie das Dach in Ordnung bringen sollte, mehr kaputt gemacht als repariert. Sie werde dokumentieren, „wie man mit einer Märtyrerfamilie umgeht“. Und wenn sich Malkic darum nicht kümmere, „bringe ich mich um“.

Die 18-jährige Samira lebt mit den Eltern und einer etwas unübersichtlichen Zahl von Geschwistern in einem Haus auf engstem Raum, „wie die Sardinen, einer neben dem anderen, unerträglich“, sagt sie. Im Krieg Mitte der neunziger Jahre versteckte sich ihre Familie in Erdlöchern im Wald. So entkam ihr Vater dem Massaker, bei dem bosnische Serben im Juli 1995 mehrere tausend Männer töteten. Nach einer jahrelangen Odyssee durch mehrere Länder und vergeblicher Asylsuche lebt Samiras Familie nun wieder in Srebrenica. Kein guter Ort für einen Teenager, der von einem besseren Leben träumt. „Hier ist es schlimmer als in der Hölle“, sagt Samira.

Der kleine Ort Srebrenica in Bosnien-Herzegowina ist zum Symbol für die Verbrechen während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien geworden. In dem 70-minütigen ZDF-Dokumentarfilm „Überall nur nicht hier“ blickt Tamara Milosevic, 1976 in Frankfurt/Main geboren und serbischer Abstammung, auf das Leben in Srebrenica vierzehn Jahre nach dem Massaker. Dabei geht es Milosevic weniger um eine detaillierte Dokumentation der politischen und ethnischen Verhältnisse als um gesellschaftliche Stimmungsbilder.

Wie in ihrem mit mehreren Preisen ausgezeichneten Dokumentarfilm „Zur falschen Zeit am falschen Ort“, für den sie zwei Jahre nach der Ermordung eines 16-Jährigen durch drei Mitschüler das brandenburgische Dorf Potzlow besucht hatte, montiert Tamara Milosevic ihre Beobachtungen ohne Kommentar. Serben und bosnische Moslems, so scheint es, leben in Srebrenica bestenfalls neben- und nicht miteinander. Während die orthodoxen Serben den Wiederaufbau ihrer im Krieg zerstörten Kirche feiern, eröffnen der Ministerpräsident und der US-Sondergesandte an anderer Stelle eine neue Straße. Nur Bürgermeister Malkic kommt leider zu spät. Er wäre sowieso lieber Trainer oder Manager einer Fußballmannschaft geworden.Thomas Gehringer

„Überall nur nicht hier“, ZDF, 0 Uhr 10

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