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Kaum Verbrechensschwerpunkte, aber jede Menge Alltag müssen Polizeihauptkommissar Jürgen und seine Kollegen in Münster bewältigen.

© ZDF/Michael Weihrauch

TV-Doku „Die Wache“: Allrounder auf Streife

Die 3sat-Dokumentation „Die Wache“ begleitet die Polizei in Münster bei ihrer Arbeit.

Die Streife hat einen Mann geschnappt, der in einem Seniorenheim als falscher Handwerker aufgeflogen war. Den Trick mit der Verkleidung „habe ich im Fernsehen gesehen“, antwortet der Tatverdächtige während der Fahrt treuherzig auf eine Frage der Beamtin am Steuer. „Bei ,Aktenzeichen‘ kam das mal durch.“

Die Polizistin nimmt das ohne erkennbare Gemütsregung zur Kenntnis. Als wäre es das Normalste von der Welt, dass ein ZDF-Zuschauer und „deutscher Rentner“, wie man später auf der Wache erfährt, im Blaumann ins Seniorenheim spaziert, um sich mit der Bemerkung, er müsse nach der Heizung sehen, Zutritt zu den Zimmern und womöglich Zugriff auf die Wertsachen zu verschaffen.

Was aus dem Fall und dem Tatverdächtigen geworden ist, erfährt man im noch vor der Pandemie gedrehten Dokumentarfilm „Die Wache“ nicht. Auch der aggressive Ehemann, der Supermarkt-Räuber, der bei seiner Flucht mit einem Messer um sich sticht, der mutmaßliche Drogendealer und der betrunkene Lkw-Fahrer bleiben Randfiguren, die nicht einmal ins Bild kommen und deren Stimmen nur verzerrt zu hören sind. Denn im Mittelpunkt stehen die Polizistinnen und Polizisten der Wache Friesenring in Münster. Autorin Eva Wolf stellt gleich zu Beginn ihres Films klar: Hier gebe es „kaum Verbrechensschwerpunkte, aber jede Menge Alltag“. Im Film ist sie nur mit zwei Fragen zu hören, auf eigene Kommentare verzichtet sie.

[„Die Wache“, Montag, 22 Uhr 25, 3Sat ]
Polizei-Alltag gibt es zwar in Kino und Fernsehen reichlich zu sehen, auch aus Münster („Wilsberg“, „Tatort“), aber der ist fast ausnahmslos erfunden, dramatisch überhöht, verkürzt oder zugespitzt. Insbesondere der, der so tut, als wäre er das Gegenteil, nämlich wahr – wie zum Beispiel in der Sat1-Serie „Auf Streife“, deren Drehbücher „auf Basis echter Polizeiberichte“ entstehen und in der „echte Beamte“ sich selbst spielen.

Eva Wolf dagegen erwarb mit zäher Ausdauer die Drehgenehmigung vom nordrhein-westfälischen Innenministerium und fand schließlich auch Polizistinnen und Polizisten, die der vier Monate währenden Kamera-Begleitung zustimmten. „Das Vertrauen zu schaffen, war mit Abstand die schwierigste Hürde“, sagt die Autorin und Regisseurin. Die Angst unter den Polizisten sei groß, „von den Medien falsch dargestellt zu werden, aber auch sein Gesicht zu zeigen und dafür auch im Privatleben angefeindet zu werden“.

In „Die Wache“ gibt es keine Inszenierungen, aber natürlich hat auch der beobachtende Dokumentarfilm seine Grenzen. Denn wie „authentisch“ wird sich jemand in seinem Berufsalltag verhalten, wenn er oder sie ständig von drei Kameras beobachtet wird? In die finsteren Ecken kann Eva Wolf auf diese Weise nicht blicken. Er habe „noch nie“ mit einem rechten Kollegen zu tun gehabt, sagt einer der Polizisten im Film. „Bei uns“ wäre für so jemanden „auch gar kein Platz“. Und die Kollegen mit Migrationshintergrund „gehören genauso dazu“. Das ist schön gesprochen, aber es gibt sie eben doch, die Beamten, die rechtsextreme und rassistische Inhalte teilen – nur halt immer woanders.

Unangenehm: Tatverdächtige, die grundsätzlich geduzt werden

Unangenehm fällt im Verhalten der Münsteraner Polizei allenfalls auf, dass sie Tatverdächtige notorisch duzen, und dieses Du ist eher eines von oben herab als eines auf Augenhöhe, besonders gegenüber denen, die nur gebrochenes Deutsch sprechen. Und weil die Stimmen verzerrt und keine Untertitel angeboten werden, verstärkt sich im Film der Eindruck eines obrigkeitsstaatlichen Gefälles.

Im übrigen hat Eva Wolf mit „jede Menge Alltag“ nicht zu viel versprochen. Zwar sorgen die Einsätze in regelmäßigen Abständen für kleine oder größere dramatische Höhepunkte (sofern die Streife nicht ratlos auf der Suche nach einem Flüchtigen durch Münster kurvt). Aber die Kamera läuft auch bei Besprechungen, zeigt die Beamtinnen und Beamten beim Berichte-Schreiben am Computer oder auch mal beim Schießtraining.

Interessant sind vor allem die Gespräche im Streifenwagen, in denen sich Privates, die Erinnerung an berufliche Schlüsselerlebnisse und aktuelle Ereignisse mischen. Hier erweist sich, wie prägend und belastend der vermeintlich harmlose Polizei-Alltag sein kann. „Wir leisten Kern- und Basisarbeit“, sagt ein Beamter. Man sei Allrounder, Ansprechpartner der Bürger, auch Seelsorger. „Eigentlich bist du alles.“

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