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Verschleppt, verkauft, vergewaltigt: Die Jesidin Shirin hat die Kraft gefunden, vor der Kamera über ihre schrecklichen Erlebnisse zu sprechen.

© SWR/Oxford Films

TV-Doku in der ARD: Die "Sklavinnen des IS" klagen an

Kampf um Gerechtigkeit: Die Doku „Sklavinnen des IS“ ist zugleich der Ruf nach juristischer Aufarbeitung. Der Autor des Films ist selbst Teil des Rechtsstreits.

„Wie kann ich noch eine Frau sein, nachdem ich verkauft worden bin? Ich wollte ein Mann sein und sterben wie meine Brüder“, sagt die Jesidin Shirin. „Ich bin eine von Tausenden, die entführt worden sind, die so viel erlitten haben. Uns sind die schrecklichsten Sachen angetan worden. Die ganze Welt soll wissen, wer wir Jesiden sind und was der ,Islamische Staat‘ uns angetan hat“, wünscht sich Lewiza mit nahezu ausdrucksloser Stimme.

Die beiden Frauen waren vom IS verschleppt, verkauft und über Monate vergewaltigt worden. Dass sie die Kraft gefunden haben, vor der Kamera zu sprechen, ist überaus bemerkenswert. Um ihr Schicksal und ihren Kampf um Gerechtigkeit geht es im Dokumentarfilm „Sklavinnen des IS“, den das Erste an diesem Mittwoch ausstrahlt.

2014 eroberte der IS weite Gebiete im Nordirak, auch jene, in denen die Jesiden leben. Der „Islamische Staat“ bezeichnete die Jesiden als Ketzer und Teufelsanbeter und sprengt deren Heiligtümer in die Luft. Als die Kurden dem IS Widerstand leisteten, kam Hoffnung unter den Jesiden auf. Vergeblich, die vermeintlichen Glaubenskrieger töteten so gut wie alle jesidischen Männer in Shirins Dorf und verschleppten die Frauen.

Handyvideos, offenbar von Mitgliedern des IS selbst aufgenommen, belegen die Schilderungen. Untereinander schickten sich die IS-Kämpfer Fotos von gefangenen jesidischen Frauen. „Brüder, wer will seine jesidische Sklavin verkaufen?“, fragt einer und findet sofort einen Anbieter. Der Westen versuchte unterdessen, die Jesiden in den noch nicht eroberten Gebieten mit Hilfslieferungen zu unterstützen. „Wir müssen diesen Menschen jetzt helfen“, forderte der damalige US-Präsident Barack Obama.

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Baden-Württemberg nahm 1000 Jesidinnen auf

Autor der Dokumentation ist der britische Jurist Philippe Sands. Dass er zugleich am juristischen Verfahren beteiligt ist, dürfte eher ungewöhnlich sein. Sands beschäftigt sich seit 25 Jahren mit dem Völkerrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 2014 wurde er auf das Leid der Jesiden aufmerksam – auch durch die Arbeit des deutsch-türkisch-jesidischen Psychologen Jan Kizilhan. Er hatte auch Shirin und Lewiza nach deren Flucht aus der Schreckensherrschaft des IS in sein Rettungsprogramm für misshandelte Jesidinnen aufgenommen, das er in Baden-Württemberg mit Hilfe von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ins Leben rief. Kizilhan hatte zuvor schon andere Menschen behandelt, die wie in Bosnien systematisch misshandelt wurden.

Kizilhan ist überzeugt, dass die seelischen Verletzungen der jungen Frauen nur geheilt werden können, wenn ihnen auch juristisch Gerechtigkeit widerfährt. Zugleich wollen die Jesiden von der Weltgemeinschaft als eigene ethische Gruppe anerkannt werden. Kizilhan bringt Shirin und Lewiza mit Philippe Sands zusammen. Gemeinsam machen sie sich auf die zermürbende Suche nach Gerechtigkeit. Sie führt über einem Zeitraum von drei Jahren vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bis hin zur höchsten Klage-Instanz der Bundesrepublik, dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe.

Den Schmerz und die Trauer der Menschen kann man mit einem Gerichtsprozess nicht ungeschehen machen, sagt Psychologe Kizilhan. Aber es gehe auch darum, aus dem Verständnis der Geschichte eine bessere Zukunft zu entwickeln, sagt Kizilhan. Doch der politische Wille, die Drahtzieher des IS international vor Gericht zu bringen, scheint zu fehlen. Viele Regierungen ziehen die außergerichtliche Liquidierung durch Kampfdrohnen vor, befürchtet Jurist Sands – der sich für Verfahren nach dem Vorbild der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg ausspricht. Shirin jedenfalls will Anwältin werden, für alle Menschen kämpfen, denen ihre Rechte genommen wurden.

„Sklavinnen des IS“, ARD, Mittwoch, 22 Uhr 45

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