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TV-Film: Das Leben danach

„Zehn Sekunden“, ein weiterer Film, der sich auf das Flugzeugunglück von Überlingen bezieht

Auf dem Radarschirm eines Fluglotsen geht es minimalistisch zu: Symbole und Zahlen, die sich langsam verschieben. Flugzeuge sind auf blinkende Punkte reduziert, ein Blinken wie ein Herzschlag, wie ein gemeinsamer Rhythmus, in dem sich die Passagiere, zusammengepfercht in einem fliegenden Körper aus Metall und Kunststoff, vereint fortbewegen. Treffen sich zwei Punkte, verschwinden alle Signale. Mehr braucht es nicht, um zu verstehen, dass eine furchtbare Katastrophe geschehen ist. Ein abstraktes, aber aussagekräftiges Bild.

„Zehn Sekunden“ ist bereits der zweite Film, der sich auf das Flugzeugunglück von Überlingen am 1. Juli 2002 bezieht. Beim Zusammenstoß einer russischen Charter- und einer DHL-Frachtmaschine waren 71 Menschen ums Leben gekommen, darunter 45 Schulkinder. Ein Angehöriger der Opfer erstach im Februar 2004 den diensthabenden Fluglotsen. Während sich „Flug in die Nacht“, eine Koproduktion des SWR mit dem Schweizer Fernsehen SRG, im vergangenen Jahr stärker am realen Geschehen orientierte, rücken hier die inneren Zustände der direkt und indirekt Beteiligten in den Mittelpunkt: Ein Polizist, der am Unglücksort war. Ein Angehöriger, der Frau und Kind verloren hat. Und die Ehefrau des Fluglotsen, der sich für allein schuldig hält. Diese Menschen vereint der Schock des Unabänderlichen. Die Katastrophe bestimmt ihr Leben danach, ein Entrinnen ist nicht möglich.

Nicolai Rohde (Regie, Buch), Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser (Buch) verlegen in „Zehn Sekunden“, einer Produktion des „Kleinen Fernsehspiels“ (ZDF) und Arte, das Geschehen nach Leipzig. Franziska Hofer (Marie Bäumer) kehrt mit ihrem Mann, dem Fluglotsen (Wolfram Koch), aus dem Urlaub zurück. Dass sie bald auch ihren Geliebten (Harald Schrott) wieder aufsucht, spricht nicht dafür, dass sich die Distanz zwischen dem Ehepaar allein mit der quälenden Schuld-Frage erklären lässt. Schweigsam und ruhelos streift Erik Loth (Filip Peeters) durch die Stadt. Die junge Daniela (Hannah Herzsprung) fühlt sich von dem seltsamen Fremden angezogen, der sie in einem plötzlichen Ausbruch von Gewalt vor ihrem Ex-Freund beschützt. Bei Polizist Harald Kirchschläger (Sebastian Blomberg) werden die schrecklichen Bilder vom Unglücksort wieder lebendig, als er davon erfährt, dass Loth in der Stadt ist und den Lotsen umgebracht hat. Die drei Handlungsstränge werden im Wechsel, mal parallel, mal zeitlich versetzt erzählt.

Gemeinsam ist ihnen das Thema des schwer zu verarbeitenden Traumas, das in diesem spannungsarmen Film, der im Oktober 2008 auch in den Kinos zu sehen war, in vielen Andeutungen beschworen wird. Die ruhigen Einstellungen der Kamera von Hannes Hubach und das differenzierte Spiel der Hauptdarsteller lassen die bedrückenden Folgen für die einzelnen Figuren spürbar werden. Starke, aussagekräftige Bilder auch hier. Ein Filmkunst-Genuss, leider ein zunehmend bleischwerer, denn den Protagonisten beim Verzweifeln zuzuschauen, mag konsequent sein, ist aber eher deprimierend. Die Nebenrollen bleiben blass und ratlos, von ihnen ist auch keine Hilfe zu erwarten.

Vielmehr steuert das Trio Hofer, Loth und Kirchschläger auf eine finale Begegnung zu, in der geschossen, nicht geschossen und viel geweint wird. Die lange unterdrückten Emotionen dürfen nun endlich heraus, aber das wirkt nicht überzeugend, nur noch konstruiert und gelenkt, als seien die Figuren blinkende Punkte auf einem Radarschirm, die sich unweigerlich aufeinander zu bewegen. Nun berühren sie sich, aber nicht mehr das Publikum. „Zehn Sekunden“ bleibt ein ästhetisch anspruchsvolles, aber letztlich unbefriedigendes Fernsehspiel über die inneren Konflikte der von einer Katastrophe betroffenen Menschen.

„Zehn Sekunden“ , Arte, Freitag, 20 Uhr 15)

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