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Gemeinsam gegen die Finanzkonzerne. Junganwältin Aylin (Senna Gammour) ist sich ihrer Kompetenz bewusst. Paul (Leonard Lansink) sieht das eher kritisch.

© ZDF

TV-Komödie mit Leonard Lansink: Du Opfer!

Ein Angestellter muckt auf: Eine ZDF-Komödie mit dem Wilsberg-Darsteller Leonard Lansink. Von seiner westfälischen Nüchternheit bleibt wenig übrig.

Schon die Morgenstund’ hat für Paul Schneider (Leonard Lansink) Frust im Mund. Der Ticketautomat der Berliner S-Bahn grüßt hauptstädtisch: „Außer Betrieb“. Die Fahrkartenkontrolleurin – muss sie ausgerechnet heute auftauchen? – verlangt zur Überprüfung der Kundenentschuldigung die Nummer des defekten Geräts. Paul muss natürlich passen. Ein junger Flegel verweigert einem Gehbehinderten den Sitzplatz. Der Straßenmusikant klampft nervig durch den Waggon. Die Werkstatt meldet über Handy, dass es mit Schneiders Auto noch dauert und die Reparatur teurer werde.

Aus dem ersten Kaffee an Schneiders Arbeitsplatz in einer Versicherung wird es so schnell nichts: Der aasige Kollege Klostermann (Martin Brambach, die wunderbare TV-Kanalratte) reißt den Becher an sich und textet Schneider mit den Vorzügen der neuen Formulare zu, durch die Kunden noch länger auf Regulierung und ihr Geld warten müssen.

Drehbuchautor Stefan Rogall („Der Stinkstiefel“) und Regisseur Thomas Jahn („Knockin’ on Heaven’s Door“) haben einen Parcours von Hindernissen aufgebaut, die ein alltagsgrauer Gaul wie Paul allesamt reißen wird, weil er eine Welt nicht mehr verstehen möchte, die ihn nicht mehr verstehen will. Es dauert 90 unterhaltsame Minuten, bis dieser Dickschädel mit den Resten von Prinzipien im Kopf zum anarchisch-weisen Wutbürger herangereift ist. Der Reiz dieses im Kern aufklärerischen Renitenz-Theaters stellt sich besonders dann ein, wenn Rogall und Jahn die Lügenwelt der Banken- und Versicherungshierarchen aufs Korn nehmen. Die gierigen Ober-Haie gleiten selbstsicher durch die Aquarien ihrer Parallelwelt. Sie beißen zu, wie es ihnen passt.

Die neue Zeit der Unverschämtheit ergreift nicht nur die Haie, sondern auch die kleinen Fische. Intriganten-Würstchen wie der von Brambach gespielte Kollege Klostermann versuchen sich mit Denunziationen im Raubfischfach. Ein junger Unterschichts-Rambo ohne Manieren, in Wahrheit ein verwöhntes Muttersöhnchen namens Kevin (herrlich blöd-frech: Tim Kalkhof), will ein neues Mofa bei der Versicherung abstauben. Bei Paul beißt der Möchtegernhai auf Granit, die Bürobegegnung endet handgreiflich. Der zynisch-verlogene Chef (Paul Freilinghaus) nutzt den Eklat, um Paul loszuwerden. Was Unverschämtheit ist, definiert das Geschäftsinteresse der Assekuranz, das besteht neuerdings in fürs Volk aufgewärmter Haifischsuppe: „Zurück ins Glück, wir lassen Sie nicht hängen“. Eine dubiose Wohltätigkeitssause mit Promis zur Imagepflege steht ins Haus. Kevin stellt sich zudem öffentlich als Opfer dar, da passt eine knittrige Spaßbremse wie Paul nicht mehr ins Bild.

Platz für sperrige Charakter

Auch sonst gibt es keinen Platz für Pauls sperrigen Charakter. Der entstammt einer altmodischen Wehrhaftigkeit gegen die Übergriffe des modernen Lebens. Was Wunder, dass Kunde Paul im Handyladen ausrastet, weil er sich nicht vom arroganten Verkäufer und seinem IT-Chinesisch niederstrecken lassen will. Die Scheidung von seiner Frau (Angela Roy) verwandelt sich im Zuge der neuen Rücksichtslosigkeit zu einem seelenverachtenden Vorgang: Paul will ein Bilanzgespräch, die Frau nur die unterschriebenen Scheidungspapiere. Ratz, fatz –funktionieren ist alles.

Ob S-Bahn-Fahren, eheliche Liebe, Kredit, Arbeitsethos oder Handyvertragsklärung, alles verlangt klaglose Einsicht ins Idiotische und Verlogene, das Einstecken-Müssen und Unterwerfung. Die westfälische Nüchternheit kommt Paul im Laufe der Handlung ebenso abhanden wie sein Abwehrphlegma. Er marschiert unerbittlich in den Ungehorsam. Lansink spielt das behutsam und überzeugend.

Zum Schluss einer TV-Komödie muss es zum Guten kommen. Alle Renitenten unter der Führung einer Anwältin (Senna Gammour, die Sängerin der Girlgroup Monrose als Schauspieldebütantin) tun sich auf reichlich wundersame Weise zusammen und greifen die Haie an. Da leuchtet der auf harte Kante geschliffene Dialog noch einmal auf. Da fallen aber auch die Masken, da pöbelt es aus allen Kanonen der Guten und der weniger Guten: „Du Produkt debiler Eltern“, „fette Büroschnecke“, „Asylnutte“, „Hobelschrunze“, „Schneeflittchen“... Das schlimmste Schimpfwort aber in „Nur nicht aufregen!“ heißt: „Du Opfer!“. Hart ist hier die Sprache der Ehrlichkeit.
„Nur nicht aufregen“, Donnerstag, ZDF, 20 Uhr 15

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