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Gedenkstätte nahe dem Unglücksort für die Opfer des Flugzeugabsturzes in Frankreich

© AFP/Anne-Christine Poujoulat

TV-Kritik "Anne Will": Angemessene Trauerarbeit als rarer Fernsehmoment

Bei "Anne Will" wurde über die Folgen des Flugzeugunglücks für die Hinterbliebenen der Opfer gesprochen - gesittet und unaufgeregt, nicht aufgedonnert wie bei anderen TV-Talks. Kein leichte Kost, sondern eine anspruchsvolle Aufarbeitung.

150 Tote. 144 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder. 72 Deutsche. Der Germanwings-Flug 4U9525 – der schlimmste Unfall einer deutschen Verkehrsmaschine. Schreckliche Zahlen. Die Medien auf Hochtouren. Es wird erklärt, eingeordnet, analysiert und dargestellt.

Sondermeldungen. Sondersendungen. Brennpunkte. Interviews. Live-Schalten. Experten. Betroffenheit. Dienstagabend. „Menschen bei Maischberger“, aufgedonnert zu einer geschwätzigen Spekulationsshow. Ungenießbar. Gescheitert. Bei Twitter eher geschmacklos.

Ganz anders Anne Will. Bei ihr geht es um Trauerarbeit. Um das Verarbeiten. Psychologische Probleme und Spätfolgen. Der Titel „Der Tag nach dem Absturz – Deutschland trauert“ angemessen, unaufgeregt. Die Gäste: Nikolaus Schneider, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, Dagmar Eckers, Psychologin, Elmar Giemulla, Rechtsanwalt und Experte für Luftrecht und Luftverkehrsrecht und Andreas Spaeth, Luftfahrtjournalist.

Gesittete Fragen und Antworten

Vertreter verschiedener Denkschulen. Verschiedene Standpunkte. Der Theologe. Der Medienmann. Der Jurist. Die Trauma-Therapeutin. Es fehlt die Gegenstimme. Der Gegenpart. Eine konträre Kraft, die polarisiert. Die aus einem Talk eine Show macht. Hier wird gesittet gesprochen. Gediegen gefragt. Gediegen geantwortet. Man erfährt, dass so eine Katastrophe eine ganz besondere Situation ist. Unerwartet. In bestimmten Augenblicken vielleicht befürchtet, aber trotzdem ein tiefer Einschnitt in das normale Leben.

Für Nikolaus Schneider ist vor allem der abrupte und unerwartete Tod von Kindern nur schwer zu akzeptieren. Und er versteht, warum bei solchen Unglücken sehr schnell die Frage nach Gott kommt. Wieso Gott das zulässt? Schneider erläutert, dass wir ja alle nicht wissen würden, was und wie Gott denkt. Deshalb käme der zweite Aspekt des Gottesbildes zum Tragen. Gott sei auch denen nah, die ein zerschlagenes Gemüt haben, ein gebrochenes Herz. Wir erfahren, dass die Angehörigen der Toten, die Hinterbliebenen, nie mehr zur normalen Tagesordnung übergehen könnten, dass sie ein Leben lang mit Trauerarbeit beschäftigt sein werden.

Anerkennung für Politiker und Manager

Es wird über Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gesprochen, die zusammen mit den Hinterbliebenen der Opfer gedenken. Lästige, politische Pflichterfüllung? Ritualisierte Trauerzeremonien? Schneider anerkennt wirkliche Anteilnahme bei den Politikerinnen. Für Elmar Giemulla sind offizielle Vertreter an der Unglücksstelle ein Zeichen der Solidarität, personifizierte Aufmerksamkeit.

Außerdem bemerkt Giemulla bei Lufthansa und Germanwings eine Veränderung der Unternehmenskultur. Die beiden Vorsitzenden Carsten Spohr und Thomas Winkelmann hätten sich, unüblich bei solchen Katastrophen, zu Wort gemeldet. Auch auf die Gefahr, dass so etwas als Schuldeingeständnis missverstanden wird.

Fazit: Ein Talk, gut geeignet für Betroffene. Die haben aber sicher andere Probleme im Kopf, als entspannt vor dem Fernseher zu sitzen. Für den großen Rest, keine einfache Gesprächsrunde. Man musste sich auf das Thema einlassen. Kein mediales Fast-Food. Schwer erkämpft. Rarer öffentlich-rechtlicher TV-Genuss.

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