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Überfordert: Moderator Günther Jauch.

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TV-Kritik zum Talk über Flüchtlinge: Günther Jauch konnte Björn Höcke nicht Paroli bieten - oder wollte er nicht?

"Pöbeln, hetzen, drohen - wird der Hass gesellschaftsfähig?" war die Titelfrage am Sonntag bei "Günther Jauch". Der Moderator ließ den AfD-Politiker Björn Höcke ungestört seine hetzerischen Thesen verbreiten. Immerhin bezog Anja Reschke dagegen Stellung.

Blöd, dass Günther Jauch selbst auf den letzten Metern Sendung noch seiner Macke treu bleibt, nie mehr als eine Frau in seine gute Stube zu lassen. Schließlich hat ihn die eine diesmal - nur diesmal? - gerettet. Anja Reschke, Innenpolitikchefin des Norddeutschen Rundfunks, übernahm den Job, für den der Gastgeber offensichtlich ungeeignet war: Der Sache wenigstens ab und zu eine Richtung zu geben und die Zumutungen des AfD-Politikers Björn Höcke zurechtzurücken.

Der AfD-Fraktionschef im Thüringer Landtag hat zwar wegen seiner unklaren Abgrenzung Richtung NPD selbst mit dem eigenen nationalkonservativen Flügel Probleme, aber bei Jauch durfte er reden, und nicht nur das: Die Deutschlandfahne, die er zu seiner Unterstützung mitgebracht hatte, hing für die Kamera eine Stunde Sendung lang wie ein altdeutscher Polsterschoner von seiner Sessellehne. Als Justizminister Heiko Maas neben ihm sich darüber mokierte, wurde er von Höcke über die besondere Schutzwürdigkeit dieses Staatssymbols aufgeklärt. Ach deswegen.

Ob man einen wie Höcke einladen muss, ist eine Frage (eine andere, die hier zu weit führt, wäre, wer diesen Oberstudienrat durchs Geschichtsstaatsexamen winkte). Keine Frage sollte sein, dass man ihm Paroli bietet. Der Gastgeber wollte oder konnte das nicht. Nicht einmal die Steilvorlage, die die eigene Redaktion lieferte, verwandelte Sportsfreund Jauch: Da schwadronierte Höcke im Einspieler von einer Kundgebung in Erfurt, "der Senegalese" habe immer noch seinen Senegal, wenn er nach Deutschland komme, "der Syrer sein Syrien" - nur des Deutschen Vaterland versinke in den Flüchtlingsfluten.

Da schlafe ich lieber völlig mittellos mit Flüchtlingen unter einer Brücke oder lebe in einem komplett islamisierten Land, um mal die allerschlimmsten Szenarien der besorgten Bürger zu nehmen, als dass ich in einem Land lebe, in dem so ein Typ etwas zu sagen hat.

schreibt NutzerIn feihung

Kriegsflüchtlinge als Privilegierte, die deutsche Wohlstandsgesellschaft als ihre Opfer: Da hätte sich das grause Weltbild des besorgten Bürgers auch ohne großen intellektuellen oder rhetorischen Aufwand schnell mal aus den Angeln heben lassen können. Doch keiner tat's, nicht einmal Reschke, die zum Glück an anderer Stelle eingriff, Höcke etwa stellte, als er sich mehrfach als Vertreter der Mehrheit, des Volks, aufspielte: "Das sind Sie nicht"! Oder ihn um Belege bat, nachdem er von der Gefahr geraunt hatte, in der deutsche Frauen schwebten wegen Männern "aus Kulturkreisen, in denen die Frau nicht die Stellung genießt wie bei uns". Ob er Jauchs Sendung meinte?

Hängte eine Deutschlandflagge über seinen Stuhl: Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.
Hängte eine Deutschlandflagge über seinen Stuhl: Björn Höcke, Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.

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Titelfrage mit Höckers Einladung beantwortet

Reschke nutzte auch eine Chance, als sie die Rolle zurückwies, die ihr offenbar zugedacht war, die der Betroffenen. Jauch fragte sie nach dem Shitstorm, der über sie hereinbrach, nachdem sie in einem Tagesthemen-Kommentar mehr Bürgermut vor rechter Hetze gefordert hatte. Pflichtschuldig betroffen wirkte Reschke nicht. Klar sei das "nicht besonders angenehm", wiegelte sie ab und gab auch ein paar besonders hässliche Mails gegen "die Hure Reschke" zum besten. Aber die Mehrheit der Reaktionen sei erstens positiv gewesen und außerdem habe sie "viel mehr Sorge" wegen des Hasses gegen Flüchtlinge und Politiker, die deren Lage anerkennen, die Kanzlerin zum Beispiel.

So war die Journalistin Reschke die einzige, die ab und an den falschen Rahmen sprengte, in dem die Sendung gefangen war und jenseits dessen erst das Reden gelohnt hätte. Wer einen wie Höcke als Stimme des Volks durchgehen lässt, wer ihn aggressiv nach "Obergrenzen" der Flüchtlingszahlen fragen lässt, ohne zurückzufragen, welche Zahl er denn hat und woher er sie nimmt, der umkreist den Kern des Themas nicht mal. "Pöbeln, hetzen, drohen - wird der Hass gesellschaftsfähig?" Gastgeber Jauch missverstand die eigene Titelfrage, die schon die Einladung von Höcke halb mit ja beantwortet hatte, denn auch eher als Überschrift über einen Benimmkurs.

Über den Galgen für Gabriel und Merkel auf der Pegida-Demo war man zum x-ten Mal empört - und nicht mal auf die naheliegende Replik des AfD-Manns vorbereitet, den hätten die TTIP-Demonstranten auch mitgeführt. Schon wieder ein Punkt für Björn Höcke.

Die eingeladenen Politiker hätten vielleicht genug von Politik verstanden, um ab und an einen anderen zu setzen. Der Bundesjustizminister von der SPD und Saarlands Innenminister, der Christdemokrat Klaus Bouillon, mussten aber, willig oder weniger, in Jauchs Harmlosigkeitsevent mitspielen: Ihre Parteien haben schließlich in dieser Woche Asylverschärfungen auf den Weg gebracht, von denen sich Höcke und Kameraden bestätigt fühlen dürfen.

Auch auf Twitter wurde Jauchs Passivität heftig kritisiert. Hier können Sie die Diskussion live verfolgen:

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