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TV und Tourismus: Nicht ohne seine Ziegen

Von der „größten Geschichte aller Zeiten“: Ein Dokumentarfilm über die Oberammergauer Passionsspiele.

Der eine Jesus ist Pressesprecher, der andere Psychologe. „Vielleicht hilft das“, sagt er unter dem Gelächter des Publikums. Frederik Mayer und Andreas Richter sind die Jesus-Darsteller bei den Passionsspielen in Oberammergau 2010 gewesen. Seit 1634 wird in dem kleinen Ort in Oberbayern das Stück über die letzten Tage Jesu aufgeführt. Alle zehn Jahre beleben die gerade mal 5000 Einwohner ihre große Tradition neu, denn alle Beteiligten stammen aus dem Ort oder müssen dort mindestens 20 Jahre lang gelebt haben. Was ursprünglich einen erneuten Ausbruch der Pest verhindern sollte, löst heute einen Ansturm von Touristen aus. Ein opulentes, religiöses Schauspiel und nicht zuletzt ein Wirtschaftsfaktor.

Der Dokumentarfilmer Jörg Adolph hat die 41. Passionsspiele seit Beginn der Vorbereitung im Jahr 2008 begleitet. Die Kamera war bei der Auswahl der Schauspieler dabei, bei den Theaterproben, bei einer Vorbereitungsreise nach Jerusalem, dem Entwerfen von Bühnenbildern und Kostümen und schließlich hinter den Kulissen während der Aufführungen: Wenn die Apostel im Garten Gethsemane herumalbern, kurz bevor sich der Vorhang hebt, oder Jesus zwischen Kreuzigung und Wiederauferstehung schnell noch einmal duschen muss.

So erzählt „Die große Passion“ unterhaltsam, hintergründig und dennoch nicht respektlos von dem kleinen Ort im Zeichen der „größten Geschichte aller Zeiten“, vom künstlerischen Ringen mit dem religiösen Mythos. Inklusive der Tücken bei der Probe mit Jesus am Kreuz oder der naturgemäß schwer zu inszenierenden Wiederauferstehung. „Die Szene zerbeißt mi“, sagt Spielleiter Christian Stückl, natürlich gebürtiger Oberammergauer.

Der evangelische Hesse Adolph, zuletzt für „How To Make a Book With Steidl“ mit dem Deutschen Dokumentarfilm-Preis ausgezeichnet, beweist seinen Blick für die bisweilen bizarren Begleiterscheinungen. Da sind die lokalen Politiker, die mit den Passionsspielen den Haushalt sanieren und nebenbei dem Spielleiter das Rauchen untersagen wollen. Als schließlich aus Kostengründen die Ziegen gestrichen werden sollen, schimpft der erboste Stückl bei den Proben über die „Idioten“ bei der Gemeinde, was zu einem mittleren Erdbeben führt. Da sind die sensiblen Gespräche mit den jüdischen Gästen aus den USA. Und wie lässt sich die stockende Nachfrage ankurbeln? Zwei Hauptdarsteller reisen zur PR-Tour in die Staaten und treten bei Bibel TV auf. Am Ende weist Talkmaster Paul Crouch jr. seine Zuschauer noch auf die heimische Alternative hin, das Holy Land Experience in Orlando/Florida. Dem von Adolph eingebauten Werbespot nach zu urteilen eine Art Disneyworld der Frohen Botschaft. Dann doch lieber Oberammergau.

Zumal mit Christian Stückl, der 2010 bereits zum dritten Mal die Passionsspiele inszenierte, ein sympathisch verwuscheltes Energiebündel im Mittelpunkt steht.

Fast immer qualmend, zappelig, impulsiv und im schönsten Oberbayerisch kämpft der Oberammergauer mit der Passionsgeschichte und den Begleitumständen. Adolph bescheinigt ihm „messianische Züge“. Unter seiner Leitung seien die Passionsspiele „längst keine fromme Folklore mehr, sondern ein lebendiges Laboratorium“. Sein Film beweist es. Stückl selbst sagt am Ende zu seinem Dramaturgen, dem ebenfalls recht unterhaltsamen Otto Huber: „Ich glaub, wenn der Jesus hier hocken tät, der würde sich kaputtlachen über uns.“ Thomas Gehringer

„Die große Passion“, Karfreitag, 22 Uhr 50, Bayerisches Fernsehen

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