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Medien: TV-Verschwörung: Die Lärmbedienung

Früher war die Fernbedienung die Macht. Kam Werbung, wurde weggezappt.

Früher war die Fernbedienung die Macht. Kam Werbung, wurde weggezappt. Rief die Mutter an, wurde leiser gestellt. Wer die Fernbedienung in der Hand hielt, hatte im Haushalt die Hosen an, gab das Abendprogramm vor, die Lautstärke. Das ist vorbei. Wenn die Werbung kommt, werden wir wirklich fernbedient. Da können wir auf die Tasten drücken, wie wir wollen und so fest wir wollen: Der Werbeblock ist plötzlich einfach lauter als das Programm davor und danach.

Jeder hat das schon mal erlebt. Harald Schmidt hat gerade einen guten Witz erzählt. Gleich kommt die Werbepause. Man muss auf die Toilette oder will Bier holen, stellt das Fernsehen noch ein bisschen lauter, so laut, dass es den Nachbarn gerade nicht so stört. Zimmerlautstärke. Plötzlich, man ist nebenan, kommt die Werbung. "Wummmm!!" Ein Kinospot, laut, lauter jedenfalls als Harald Schmidt vorher. Die Fernbedienung! Denkt man, aber die liegt unberührt auf dem Tisch. Es ist einfach nur ein technischer Trick. Ein abgekartetes Spiel der Kreativagenturen und Tontechniker, die die Werbespots produzieren, den Fernsehsendern zuschicken und bei der Ausstrahlung für mittlere Schocks bei den Zuschauern sorgen.

Agenturen und Sender schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. "Dagegen können wir gar nichts machen", verteidigt sich zum Beispiel Matthias Schwarz von der Agentur IP, die die Werbung für RTL, RTL 2, Vox und Super RTL vermarktet. Das Gleiche gilt für Sat 1, Pro 7, Kabel 1, N 24 und Premiere und deren Vermarktungsagentur SevenOne Media. "Bei der Herstellung der Spots werden die Ober- und Untertöne weggefiltert. So wird der Ton komprimiert, ein Satz von vier Sekunden Länge dauert beispielsweise nur 3,9 Sekunden; das ergibt eine stärkere Dynamik", erklärt Matthias Schwarz. Das Merkwürdige dabei: Rein messtechnisch verändert sich bei der Ausstrahlung der Werbeblöcke kaum etwas. Nur im Ohr des Zuschauers kommen die Stimmen, Töne, Musikfetzen schriller an. Nicht anders beim Radiohörer, denn auch bei der Hörfunk-Werbung schlägt der Pegel aus.

Die Hersteller der Werbe-Beiträge, die Agenturen, sind sich keiner Schuld bewusst. "Für die ausgestrahlte Lautstärke der Spots sind einzig die TV-Sender selber verantwortlich", behauptet Jürgen Blomenkamp, Sprecher der Düsseldorf Kreativagentur MediaCom. Tatsache ist, dass die Macher die technische Vorgabe von null Dezibel einhalten. Das ist ein "relativer Wert", der laut Matthias Schwarz nicht überschritten werden darf. Die Komprimierung der Spots umgeht diese Vorgabe. Das Motto der Werber ist einfach: Schön laut, unerwartet laut, dann bleibt es auch im Schädel.

Fernseh- und Radiosender, sonst um keinen Trick verlegen, mehr Werbezeit herauszuschlagen (Liberalisierung der Werbezeiten, virtuelle Werbung, Bildschirm-Splitting, Sponsoring-Auswüchse), sie geben sich machtlos. Und das betrifft nicht nur die privaten, sondern auch die öffentlich-rechtlichen Sender.

"In der Senderegie können wir das Level etwas herunterspiegeln, per Hand. Das ist eine teure, idiotische Lösung, noch dazu mit minimalem Erfolg", beschwert sich ZDF-Werbeforscher Jost Windrath. Müssen sich Sender und Zuschauer den großen Lauschangriff also einfach so gefallen lassen? Unmut macht sich breit. Die Beschwerdebriefe in den Zuschauerredaktionen häufen sich. In den vergangenen Monaten hat sich der Zentralausschuss der Werbewirtschaft eingeschaltet. Mit wenig Erfolg. Die Diskussion ist ins Stocken geraten. Rein rechtlich ist nichts zu machen. Die Angelegenheit scheint kein Fall für den Werberat zu sein. "Der Schwarze Peter wird nicht bei den Verursachern gesucht", sagt ZDF-Mitarbeiter Windrath.

Bleibt die Hoffnung auf eine freiwillige Selbstbeschränkung der Werbewirtschaft. Oder auf eine intelligente Fernsehsteuerung mit Geräten, die automatisch Schluss machen mit dem großen Lauschangriff. Die so genannte "Fernsehfee" schaltet bei Werbung ab oder auf einen anderen Sender. Wenn Harald Schmidt wieder loslegt, steht dann alles wieder auf Empfang. Dafür sitzen Studenten vor dem Bildschirm und drücken aufs Knöpfchen, wenn Werbung kommt. Der technisch recht anspruchsvolle, schwarze Kasten kostet knapp 400 Mark, ist für das Koblenzer Unternehmen TC aber anscheinend kein großer Erfolg. Verkaufszahlen wurden auf Anfrage nicht herausgegeben.

Statt der guten "Fernsehfee" fürchten RTL, Sat 1 & Co. viel mehr die digitalen Videorekorder, deren digitale Festplatte Unerwünschtes bei Wiedergabe automatisch überspielen kann. "Die sind, Gott sei Dank, erst in ein paar Jahren marktreif", sagt der IP-Sprecher. Die Sache mit der plötzlich lauten Werbung bleibt also weiterhin ein Ärgernis, wenn es nicht von Hand geregelt wird. Guter Rat zum Schluss: mit der Fernbedienung den Ton herunterdrehen, bevor es zum Bierholen oder auf die Toilette geht.

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