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Medien: Unbemerkt, unerhört

Wie der Staat Bürger ausspioniert: Doku zum „Großen Lauschangriff“

Sechs Jahre lang werden Hauke Benner und seine zwei Mitbewohner abgehört, observiert und gefilmt. Der Verdacht ist groß – die drei sollen eine terroristische Vereinigung gebildet haben. Die Beweislage aber ist dünn. Die Berliner gelten als linksradikal, sie engagieren sich in der Anti-Atom-Bewegung. Konkrete Hinweise auf mögliche Straftaten gibt es aber nicht. Trotzdem fährt die Polizei eines ihrer schwersten Geschütze auf: den „Großen Lauschangriff“.

Dieser verletzt in der geltenden Form die Menschenwürde, urteilte das Bundesverfassungsgericht letzte Woche. Zahlreiche Kommentare haben sich seitdem mit den juristischen und politischen Konsequenzen des Urteils beschäftigt. Doch was es für einen Menschen bedeutet, wenn der Staat – in den Worten des Verfassungsgerichts – einen Angriff auf seine Menschenwürde startet, war nirgendwo zu lesen. Diese Lücke füllt die Dokumentation „Im Fadenkreuz des Staates“.

„Dass meine sämtlichen Bewegungen in der Stadt aufgezeichnet wurden, das überstieg meine Vorstellung“, sagt Hauke Benner heute. Nach sechs Jahren ständiger Überwachung ist das Verfahren gegen seine Mitbewohner und ihn wegen Mangels an Beweisen eingestellt worden. Lange Zeit hat die WG nur den Verdacht, dass sie observiert wird. Erst als eine Hundertschaft Polizisten eines Morgens die Kreuzberger Wohnung stürmt und durchsucht, wird der Verdacht zur Gewissheit. Was die Polizei an unbemerkten Aktionen durchführte, haben die Autoren Hans-Carl Schultze und Ulrich Stoll anhand der Ermittlungsakten rekonstruiert.

Gemeinsam mit der WG stellen sie nach, wie Hauke Benner auf dem Weg in die Kneipe verfolgt oder das WG-Auto verwanzt wird. Sie setzen dabei auf aufwändige Kameraeinstellungen und atmosphärisches Licht. Dadurch ähnelt ihr Film eher einem „Tatort“ als herkömmlichen Dokus, in denen durch verwackelte Kamera und Unschärfe Authentizität beschworen wird. „Wenn wir schon nachstellen, dann soll es auch gut aussehen“, erklärt Ulrich Stoll.

Interviews mit Politikern, aber auch Beamten vom Verfassungsschutz ergänzen die nachgestellten Szenen. Auch hier wurde kein Aufwand gescheut: Noch bis zu diesem Wochenende haben die Autoren daran gearbeitet, das aktuelle Urteil des Bundesverfasfassungsgerichts einzubauen. So haben sie unter anderem die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger vors Verfassungsgericht begleitet. Dort erleben sie mit, wie diese mit ihrer Klage den „Großen Lauschangriff“ faktisch kippt. So schließt sich der Kreis und endet ein sehenswerter Film.

„Im Fadenkreuz des Staates“: WDR-Fernsehen, 22 Uhr 30

Hannah Pilarczyk

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