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Medien: Und sie bewegt sich doch

Die „Frankfurter Rundschau“ hat einiges vor: Sie will weg vom Image der schwerfälligen Studienratszeitung

ZU MEINEM ÄRGER

Herr Melle, worüber haben Sie sich in dieser Woche in den Medien am meisten geärgert?

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat sein neues Logo und sein neues Corporate Design vorgestellt. Es entspricht der veränderten Positionierung und Rezeptionsgewohnheit in einer aufgeklärten Mediengesellschaft. Schwarz, Rot, Gold verschwinden aus dem Logo. Die sächsische CDU macht daraus einen Fall von Landesverrat und Sachsen zur Lachnummer. Müssen wir mehr Flagge zeigen, um uns unserer selbst sicher zu sein? ARD, ZDF, vom Bayerischen Rundfunk bis zum NDR – alles vaterlandslose Gesellen?

Gab es auch etwas, worüber Sie sich freuen konnten?

Was war nicht alles angedroht worden: Isolation ohne Ende, nie wieder Care-Pakete, Eiszeit bis zum jüngsten Gericht, Teil der bösen Achse Lybien, Cuba … Und dann das: Zwei Männer in Sesseln, Lachen, Handschlag, nichts von Bedeutung gesagt und doch – der Atlantik ist überquerbar. Miteinander Reden hilft. Bitte weiter machen!

Hendrick Melle, Chef der Berliner Agentur Melle, Puffe, hat das neue Logo des MDR entwickelt.

Nein, Roland Koch hat kein Freiabo von der „Frankfurter Rundschau“. „Sie wissen doch, ich bin Schwabe“, sagt Wolfgang Storz. Der Chefredakteur der „FR“ wirkt entspannt. Und das, obwohl bei den Probeläufen alles, was zuvor reibungslos ging, plötzlich nicht mehr funktioniert – und umgekehrt. „Aber keine Sorge, deshalb verschieben wir den Relaunch nicht nochmal“, sagt Storz und spielt damit auf die diversen Ankündigungen der letzten Jahre an. Umgesetzt wurden sie nie. Sie scheiterten an der Zögerlichkeit von Verlag und Redaktion. Oder, wie vor zwei Jahren, an einer für den damals stellvertretenden Chefredakteur Storz „undurchschaubaren Gemengelage zwischen den Chefredakteuren und der Geschäftsführung“. Mittlerweile hat sich einiges geändert. Die Doppelspitze ist abgelöst, Storz regiert allein und sagt über die neue Geschäftsführung, sie denke verlegerisch, strategisch. Früher war das offensichtlich anders.

Früher war noch mehr anders. Da machte man sich bei der „FR“ auch keine großen Geldsorgen. Im schlimmsten Fall wurden Kredite aufgenommen. Doch dann kam die Anzeigenkrise, die Banken drehten den Geldhahn zu, und die „FR“ musste ausgerechnet die hessische CDU-Regierung, also ausgerechnet Roland Koch, den Lieblingsfeind der linksliberalen Zeitung, um eine Bürgschaft bitten. Ein Befreiungsschlag? „Ja“, sagt Storz. Denn damit war klar, so geht es nicht weiter.

In den letzten Monaten glich die Redaktion in der Großen Eschenheimer Straße bisweilen einer Baustelle. Noch verdeckt ein Bauzaun die Sicht auf die neue „FR“. Mit diesem Bild statt der normalen Seite Eins erschien die „FR“ am Sonnabend. In der Montagsausgabe wird der Gag wiederholt. Es war die preisgünstigste Art, um Aufmerksamkeit für den neuen Auftritt zu erregen. Am Dienstag ist es dann soweit, dann erscheint die Zeitung mit ihrem neuen Gesicht. Mehr Farbe, mehr Fotos und Grafiken, sieben statt sechs Textspalten, weißeres Papier – das sind die optischen Veränderungen. Doch darum geht es nicht. Zumindest nicht vordergründig.

Das vorrangige Problem der „Frankfurter Rundschau“ ist ihr Image, sagt Storz – das Image der „FR“ als schwerfälliges, sozialdemokratisches Studienrats- und Gewerkschaftsblatt. Was nicht nur daran liegt, dass die „FR“ in den friedensbewegten 70er und 80er Jahren ihre große Zeit hatte. Es wurde ihr immer eine große Nähe, etwa zum Gewerkschaftsapparat nachgesagt. Zu unrecht, verteidigt Storz sein Blatt und betont, dass die „FR“ auch künftig eine „wertehaltige Zeitung“ bleibe, bei der Humanität, Friedfertigkeit, Solidarität und Gerechtigkeit unverändert die Grundfesten der Redaktion seien.

Konstante 184 000 Exemplare verkauft die „Frankfurter Rundschau“ täglich. Auf dieser Stabilität hat sich die „FR“ lange ausgeruht – was sie weder ökonomisch noch publizistisch voranbrachte. Denn „das alte Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“. Vor der Branchenkrise galt die Regel, dass sich Zeitungen zu einem Drittel aus den Verkaufs- und zu zwei Dritteln aus Anzeigenerlösen finanzieren. Bleiben die Anzeigen aus, gefährdet das ihre Existenz. Storz vermisst die Erkenntnis, dass dies nicht nur ein rein wirtschaftliches, sondern ein politisches Problem ist. Zu detailliert konzentrierten sich die Medienbranche und die Politik seiner Ansicht nach auf Einzelfragen,anstatt sich bewusst zu werden, dass „Qualitätszeitungen, ob regional oder überregional, unentbehrlich sind für eine demokratische Öffentlichkeit. Deshalb ist die Krise dieser Medien auch ein großes Thema für die Politik“.

Publizistisch ist es um die „FR“ ruhig geworden in den vergangenen Jahren. Im Zitate-Ranking des Bonner Instituts Medientenor stand sie abgeschlagen hinter allen anderen überregionalen Tageszeitungen. Das soll sich ändern. „Wir müssen zeigen, dass die ,FR’ noch lebt“, sagte Geschäftsführer Günter Kamissek kürzlich. „Deutlich. Schärfer“ muss die Zeitung werden, so lautet der neue Werbeslogan. Storz formuliert es anders: „Wir wollen eine kräftigere Stimme werden.“

Mehr Kraft soll die „klare, profilierte Deutschland-Ausgabe“ bringen. Publizistisches Herzstück ist das neue vierte Buch mit dem Titel „FR plus“, das sich täglich auf sechs Seiten mit einem Schwerpunkt beschäftigt. Montags ist der Sport dran, dienstags Wissen/Bildung, mittwochs Politik, donnerstags Kultur, freitags Wirtschaft – und sonnabends erscheint wie bisher das „Magazin“. Hätte zum Beispiel gerade Daimler-Chrysler die Geschäftsbilanz präsentiert, könnte das freitags Thema sein. Die ganzheitliche Betrachtungsweise eines Themas und der Volkshochschulcharakter sind die beiden Merkmale von „FR plus“. Am Beispiel von Daimler-Chrysler sagt Storz, könnte man ökologische Folgen und den politischen Einfluss des Unternehmens erläutern. Dazu gibt es freitags stets drei Seiten zu Finanzberatung, Verbraucherservice und Globalisierung.

Profilierter daherkommen will die Deutschland-Ausgabe der „FR“, indem sie die Regionalberichterstattung reduziert und den politischen Teil erweitert. Anders in der Ausgabe für Frankfurt, Rhein- Main und Hessen. Vor einigen Monaten war zu befürchten, die „FR“ würde sich aus dem teuren nationalen Vertrieb zurückziehen und zur reinen Regionalzeitung mutieren. Tatsächlich will sie beides. „Wir müssen unsere ganze Energie auf den regionalen Leser- und Anzeigenmarkt verwenden, um uns den nationalen Auftritt leisten zu können“, formuliert Storz die neue Philosophie. Vor allem auf die rund 40 000 Zuzügler, die jedes Jahr nach Hessen kommen und sich für eine Regionalzeitung entscheiden müssen, hat Storz es abgesehen. Binnen Jahresfrist erhofft er sich eine „deutliche Auflagenerhöhung“ in der Region. Erreichen will die neue „FR“ das Ziel einerseits mit einer erweiterten Stadtteilberichterstattung. Andererseits mit der 48-seitigen Veranstaltungsbeilage „Plan F“, in die das wöchentliche Fernsehprogramm integriert ist. „Plan F“ erscheint jeden Donnerstag und tritt in Konkurrenz zu den zweiwöchentlich oder monatlich erscheinenden Stadtmagazinen „Prinz“, „Fritz“ und „Journal Frankfurt“ – obgleich die „FR“-Beilage im Tabloid-Format breiter angelegt ist und die Leser bis 55 Jahren ansprechen soll.

Den finanziellen Aufwand für die redaktionellen Entwicklungen beziffert Storz mit 150 000 Euro. Unverändert hält der Verlag am Ziel fest, Ende 2004 wieder schwarze Zahlen zu schreiben. Und dann? Unser erstes Ziel ist es, dieses „Ding“ loszuwerden. Mit „Ding“ meint Storz die Bürgschaft des Landes Hessen. Die öffentliche Aufregung habe sich zwar gelegt, meint Storz. Der „FR“-Korrespondent in Wiesbaden ist dennoch nicht zu beneiden. Er kann schreiben, was er will. Stets wird ihm unterstellt, Roland Koch im Hinterkopf zu haben.

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