zum Hauptinhalt

Undercover-Reportage auf RTL: Günter Wallraff: „Es hat sich ausgejuxt“

Deutschland bekanntester Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat für RTL zusammen mit einer Reporterin Missstände in der Hotelbranche aufgedeckt. Im Interview spricht er über den harten Job der Zimmermädchen, seine Zusammenarbeit mit dem Privatsender und wie eine neue "Generation Wallraff" entstehen kann.

Von Caroline Fetscher

Herr Wallraff, Sie und RTL, wie passt das zusammen?

Über RTL erreicht man derzeit, anders als bei als bei öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, junges Publikum. Und wir müssen mit sozialen Themen die Jüngeren erreichen. Aber für andere Medien wie die „Zeit“ werde ich weiterarbeiten.

Zusammen mit der RTL-Reporterin Pia Osterhaus haben Sie am Montag in der Sendung „Team Wallraff – Reporter Undercover“ über Missstände in der Hotelbranche berichtet. Gab es bei RTL Bedenken gegen das Undercover-Format?

Im Gegenteil: Da haben wir offene Türen eingerannt. Schon mein RTL-Beitrag als Paketauslieferer hatte eine große Resonanz, eine Folgesendung und ein Buch sind in Vorbereitung. Chefredakteur Peter Kloeppel und die verantwortlichen Redakteure haben Pia Osterhaus – die getarnt als Zimmermädchen recherchierte – und mich, von Anfang an unterstützt. Zugleich war die Diskretion vorbildlich. Es gibt ja bei dieser Methode immer das Risiko, dass man auffliegt.

Haben Hotels besonders viel zu verbergen?

Wir fanden unhaltbare Arbeitsverhältnisse vor. Wo eine luxuriöse Übernachtung oft 300 und mehr als 1000 Euro kostet, verdient eine Reinigungskraft kaum drei Euro pro Zimmer. Mit Stücklohn und mittels Subunternehmen unterlaufen die Hotels den Mindestlohn der Reinigungsbranche, der neun Euro pro Stunde beträgt. Oft brauchen die Frauen für ein Zimmer mehr als eine Stunde, der Zeitdruck ist enorm. Die Frauen, viele aus Osteuropa, werden schikaniert und respektlos behandelt. Kaum ein Gast ahnt, was hinter den Kulissen passiert – das zu dokumentieren war dringend notwendig, und das Fernsehen ist das geeignetste und beweiskräftigste Medium dafür.

Sie sind jetzt 70 Jahre alt. Wird diese Art der Undercover-Arbeit nicht langsam zu anstrengend für Sie?

Ich bin noch gut belastbar und bereite einige eigene Rollen vor. Als „Zimmermädchen“ hätte ich mich allerdings schlecht tarnen können! Da war die Zusammenarbeit mit der Reporterin Pia Osterhaus ideal. Ich konnte ihr aus meiner Praxis Rat geben, und sie ist couragiert, hält durch und engagiert sich. Im Moment hilft sie Frauen beim Aussteigen aus der Fronarbeit im Hotel.

Wie kann eine nächste „Generation Wallraff“ entstehen?

Sie wächst schon heran, und darauf bin ich ein bisschen stolz. Weil ich die Prozesse, die es wegen meiner Veröffentlichungen regelmäßig gab, gewonnen habe, macht meine Methode jetzt Schule. Dabei wurde sie lange Zeit gern als „verwerflich“ bezeichnet. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs im Fall meiner Rolle als „Bild“-Reporter wurde klargestellt, dass man bei gravierenden Missständen auch unter anderer Identität und mit versteckter Kamera filmen und veröffentlichen darf.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Nachwuchs?

Wenn jetzt eine Reporterin der „Süddeutschen“ sechs Monate undercover in Altersheimen gearbeitet hat und die grausamen Zustände dort ans Licht bringt, finde ich das großartig. Oder dass ein SWR-Reporter mit Leiharbeitern bei Daimler-Benz am Band stand. Unverdeckte Beobachtung, wie die der „Zeit“-Kollegin, die drei Monate in einem Jobcenter zu Gast war, kann ebenso aussagestark sein. Es ist ermutigend, dass eine neue Generation von Chefredakteuren solche Arbeit möglich macht.

Es ändert sich etwas?

Ich habe Hoffnung, wenn ich sehe, dass Solidarität mit Schwächeren und Entrechteten auch in großen Medien kein Tabu mehr ist. Die nur verblödenden Spaß- und Jux-Formate sind langsam ausgereizt, haben ausgejuxt. Dass ein Sender wie RTL inzwischen solche Reportagen wie unsere aktiv fördert und unterstützt, lässt wirklich hoffen.

Das Interesse der Zuschauer ist groß: 3,66 Millionen Menschen in der Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen haben Sie am Montagabend erreicht. Wie ist das weitere Echo auf die Enthüllungen ?

Unglaublich! Nach dieser Sendung fängt die Arbeit erneut an. Wir werden geradezu überschwemmt mit Hunderten von Zuschriften und Anrufen. Die meisten kommen von Betroffenen aus der Hotel- und Reinigungsbranche. Und auch aus anderen Branchen melden sich viele Menschen, die unter ähnlich entwürdigenden Arbeitsbedingungen leiden.

Was hören Sie von den Hotelangestellten?

Aus ganz Deutschland berichten Betroffene von Überarbeitung, Zeitdruck, Erniedrigung und Stress, der krank macht. Es gibt Extremfälle mit Arbeitszeiten von fünf Uhr früh bis elf in der Nacht, willkürliches Feuern, Unterbezahlung – das erinnert an Manchester-Kapitalismus. Und Sie müssen bedenken, dass sich die Putzkräfte, die meist wenig Deutsch können und in einem Klima der Angst und Entrechtung leben, selber bisher kaum zu Wort melden. Man gibt ihnen zu verstehen: „Du bist nichts wert“ oder „Du bist austauschbar“.

Ihre Reportage hat also in ein Wespennest gestochen?

In der gesamten Branche ist diese illegitime und illegale Praxis Usus. Hotels sind wie ein Symbol für die Gesellschaft der Gegenwart: Oben leben die Reichen im Luxus, im Keller schuftet unsichtbar die Kaste der Unberührbaren, unsere Parias. Da viele vom Hungerlohn nicht leben können, müssen sie aufstocken – auf dem Umweg finanziert der Steuerzahler den Luxushotels die Reinigung.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich?

Die Reportage soll Hotels unter Druck setzen, Verantwortung zu übernehmen. Sie sollten dafür haftbar gemacht werden, was Leiharbeitsfirmen anrichten – ein anständiges Hotel stellt seine Leute selber an, statt sich halb krimineller Subunternehmen zu bedienen. Der deutsche Zoll als Aufsichtsbehörde müsste Kontrollen verstärken und Bußgelder gegen solche Hotels verhängen. Und die Gewerkschaft IG Bau braucht innovative Wege, um diese prekär Beschäftigten zu erreichen, zu organisieren, zu schützen.

Was raten Sie Hotelgästen?

Schon beim Buchen sollte man sich erkundigen, wie die Zimmermädchen – eigentlich müssten sie Zimmerfrauen heißen – entlohnt werden. Als Gast kann ich mit dem Personal das Gespräch suchen und den Frauen Trinkgelder geben – aber immer nur persönlich in die Hand. Liegt Trinkgeld nach der Abreise im Zimmer, stecken es oft die fest angestellten Hausdamen ein. Sehr gut wäre es, wenn im Internet eine Checkliste der Hotels zustande käme, auf der Gäste und Betroffene Erfahrungen austauschen.

Das Gespräch führte Caroline Fetscher.

Günter Wallraff, 70, ist Deutschland bekanntester Enthüllungsjournalist. Für RTL setzt er nach der Pilotfolge am Montag die Reportagereihe „Team Wallraff – Reporter Undercover“ fort.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false