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In den Fernsehbildern auch der "Tagesschau" sah es so aus, als ob die Politiker den Trauermarsch für die Opfer des Anschlages auf "Charlie Hebdo" angeführt hätten. Tatsächlich liefen Politik und Bevölkerung getrennt.

© dpa

Unter Bloggern: Verschwörer versus Systempresse

Leser, Hörer, Zuschauer - das Publikum ist vernetzt wie nie. Journalisten und Blogger brauchen darum zweierlei: Demut und Kritikfähigkeit.

Es ist schon erstaunlich, wie schnell man Journalisten in Rage versetzen kann. Ein einziges (Un-)Wort, und selbst gestandene Chefredakteure verlieren ihre Contenance. „Mir langt’s“, poltert etwa Kai Gniffke, ARD-Chefredakteur im „Tagesschau“-Blog auf die Vorwürfe von Zuschauern, die „Tagesschau“ berichte nicht objektiv über die Demonstrationsveranstaltungen nach den Morden von Paris.

Auslöser waren Bilder, die seit Tagen durch die sozialen Netzwerke wandern. Sie zeigen den Pariser Trauermarsch aus zwei unterschiedlichen Perspektiven. Das eine Bild zeigt die Staats- und Regierungschef „geschlossen unter den Millionen“ (O-Ton „Tagesthemen“). Das andere Bild, das man in den Nachrichtensendungen nicht gesehen hat, zeigt dieselbe Szene, diesmal jedoch aufgenommen aus einer erhöhten Kameraperspektive. Jetzt erkennt man, dass sich die Staatsleute mitnichten an der Spitze des Zuges befanden, sondern auf einer abgesperrten, menschenleeren Straße, weitab von der Masse.

Es wäre für die „Tagesschau“ ein Leichtes gewesen, das zu zeigen oder auch nur in einem Halbsatz zu erwähnen. Hat sie aber nicht. Stattdessen schreibt der Chefredakteur trotzig: „Halten wir es doch einfach mal aus, dass es eine große Geste von Millionen von Menschen und zahlreichen Politikern gab, an der nichts auszusetzen ist.“ Das klingt so gar nicht nach dem ehernen Grundsatz von Hanns Joachim Friedrichs, wonach sich ein Journalist niemals mit einer Sache gemein machen soll, und sei sie noch so gut.

Bei aller Sorgfalt machen auch Journalisten Fehler

Die wichtigste Lektion, die man als Blogger lernt, ist Demut. Demut vor dem Publikum, das heute vernetzter ist wie nie zuvor. Bei aller Sorgfalt: Auch wir Journalisten machen Fehler. Und natürlich sind wir nicht unvoreingenommen. Jeder Journalist hat eine Meinung, die sich auch immer wieder, bewusst oder unbewusst, in die Berichte schleicht; in Form einer Formulierung etwa, durch die Wahl eines Bildausschnittes, oder, wie kürzlich erst, ebenfalls in der „Tagesschau“, durch fragwürdige Kameraschwenks auf die Beine einer FDP-Politikerin.

Ein anderer Muskel, den wir Journalisten noch trainieren müssen: Kritikfähigkeit. Auch diese Eigenschaft gehörte lange Zeit, mangels Rückkanal, nicht unbedingt zu unserer Kernkompetenz. Nicht jeder Journalist, der mal einen Fehler macht, ist ein notorischer Lügner. Nicht jeder Zuschauer, der Journalisten kritisiert, ein Verschwörungstheoretiker. Beiden Seiten stünde es gut zu Gesicht, rhetorisch abzurüsten und zu lernen, Argumente auszutauschen, auf Augenhöhe, statt sich gegenseitig zu beschimpfen. Das Internet ist weder Wahrheits- noch Propagandamaschine, es ist nicht gut oder schlecht. Es ist da. Und es ist an uns, was draus zu machen.

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