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Medien: Unter Druck

Zensur, Informationsblockade, 42 getötete Journalisten: Die Pressefreiheit ist in Gefahr – auch in Europa

Die Gesichter sind ernst, man ist sich einig. „2003 war kein gutes Jahr für die Pressefreiheit“, heißt es bei der Veranstaltung von „Reporter ohne Grenzen“ („RoG“) und dem Bund Deutscher Zeitungsverleger zum „Tag der Pressefreiheit“, der am Montag zum zehnten Mal begangen wird. In der Tat: Gab es 2002 noch 25 getötete Reporter, starben im vergangenen Jahr laut „RoG“ 42 Journalisten bei der Ausübung ihres Berufs. Die meisten, 14, wurden im Irak umgebracht. Zudem saßen mehr als 120 Journalisten weltweit in Gefängnissen, 501 Medien wurden zensiert oder geschlossen – ein neuer Höchststand –, zwei Drittel der Menschheit hatte keinen Zugang zu freien Informationen. Nein, 2003 war kein gutes Jahr für die Pressefreiheit.

Und 2004 wird wohl kaum besser: 13 Journalisten wurden in diesem Jahr bislang getötet. In Gefahr begibt sich meist, wer sich mit dem korrupten Konglomerat aus Politik und Wirtschaft anlegt. Neben bekannten Gefahrenherden (Kolumbien, China) betrachtet „Reporter ohne Grenzen“ die Entwicklung in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion mit wachsender Sorge. „Die Geister aus kommunistischen Zeiten spuken wieder“, sagt Miodrag Soric, Chefredakteur der Deutschen Welle Radio. Auch und gerade in Russland, wo Präsident Putin ein System aus Zensur und Gleichschaltung installiert hat. „Es ist zum Beispiel nahezu unmöglich geworden, über den Tschetschenien-Krieg zu berichten“, beklagt der ZDF-Korrespondent Dirk Sager. Die russische Journalistin Anna Politkowskaja weiß warum: „Alle sind darauf getrimmt, nichts zu schreiben, was sie in Konflikt mit der Macht bringt.“ Wer es dennoch tut, muss um seinen Job bangen – oder um seine Gesundheit. Politkowskaja: „Volontäre, die mir in Tschetschenien geholfen haben, mussten das mit ihrem Leben bezahlen.“

In den Nachbarstaaten bedient man sich ähnlicher Methoden, um unliebsame Kritiker loszuwerden. Ruslan Scharipow, diesjähriger Träger der „Goldenen Feder der Freiheit“, wurde wegen „homosexueller Praktiken“ zu fünf Jahren Haft verurteilt. In Wahrheit hatte er über Polizeikorruption und Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan berichtet. „Ich weiß nicht, wie der Westen diesen Staaten helfen kann“, sagt Politkowskaja.

Der hat auch selbst genug zu tun, die Pressefreiheit zu verteidigen. Der US-Sender CBS hielt auf Drängen der Regierung wochenlang Bilder zurück, auf denen amerikanische Soldaten Iraker folterten. Auch die Berichterstattung über das Gefangenenlager Guantanamo wird von der Bush-Administration laut „RoG“ „strengstens überwacht“.

Selbst in Europa bröckelt die Freiheit des Wortes. Nicht etwa in den neuen EU-Ländern, die von „RoG“ für das „Respektieren der Pressefreiheit“ gelobt werden. Aber in Italien, wo Silvio Berlusconi erst vor wenigen Tagen einen weiteren Schritt in die Presselandschaft seiner Träume getan hat: Das neue „Gesetz Gasparri“ begünstigt sein Imperium Mediaset und benachteiligt unabhängige Medien.

Und Deutschland liegt nach Ansicht des Journalistik-Professors Michael Haller nur „im hinteren Mittelfeld“. Mehr und mehr Behörden kämen ihrer Auskunftspflicht nicht nach, verschwiegen bewusst Informationen. Darum fordert er ein Informationsfreiheitsgesetz. Statt dessen verabschiedete der Bundestag am Freitag das so genannte „Paparazzi-Gesetz“. Es soll die Intimsphäre in „geschützten Räumen“ bewahren. Benno Pöppelmann, Justitiar des Deutschen Journalistenverbands, ist das zu schwammig: „Was bedeutet das? Wie hoch muss der Zaun sein, damit es sich um einen geschützten Raum handelt?“

Zumindest fielen Journalistenbüros zuletzt seltener in diese Kategorie. Der Deutsche Presserat beschwerte sich darüber, dass immer wieder die vier Wände deutscher Reporter durchsucht würden, wie vor kurzem die des „Stern“-Korrespondenten Hans-Martin Tillack in Brüssel. Um über eine Durchsuchung an Material – und somit auch an Quellen und Informanten – zu gelangen, „konstruieren Ermittlungsbehörden gelegentlich sogar eine strafbare Handlung von Journalisten“. Klingt ein wenig nach Usbekistan.

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Christian Hönicke

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