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Rote gegen Schwarze? Auf den ersten Blick scheinen die Fronten klar in der Urheberrechtsdebatte, und doch sind die meisten Diskutanten nicht ehrlich, sagt unser Autor.

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Urheberrechtstreit: Seid endlich ehrlich!

Die Urheberrechtsdebatte könnte sachlicher werden – indem man sie eskalieren lässt. Unser Autor plädiert dafür, endlich zuzugeben, dass es um mehr geht als um Verträge und Bezahlmodelle.

Man hat es nicht leicht. Ständig erzählen Menschen von ihrem Ärger über irgendwelche Beiträge zur sogenannten Urheberrechtsdebatte. Da sind die Literaten- und Künstlerfreunde, die um den Lohn für ihre Arbeit fürchten und auf „die Piraten“ einteufeln, die zugunsten eines freien Zugangs aller Netznutzer zu Kulturgütern die Künstler „verrecken“ ließen. Auf der anderen Seite sind die Netzmenschen, die das freie Internet in Gefahr sehen, weil „die Künstler“ und „die Verwerter“, Verlage und Labels also, angeblich lieber einen Überwachungsstaat hätten, der routinemäßig Festplatten nach illegalen Downloads durchsucht, als dass sie auch nur auf ein Fitzelchen ihrer Einkünfte verzichten würden. Dazwischen steht man und fragt sich, wie je wieder Frieden einkehren soll zwischen den Fronten. In einer Debatte, die von Beginn an falsch geführt worden ist.

Aus heutiger Sicht ist der Startpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung über das Urheberrecht– die Wutrede des Sängers und Autors Sven Regener – ihr Hemmnis. Zu viele Prämissen haben darüber ihren Weg in die Diskussion gefunden. Weil Regener von Labels und der Musikindustrie sprach, ist die Debatte bis heute unterschwellig eine über Songs geblieben: über zurechenbare ästhetische Einheiten, die im Netz als Entität vertrieben werden und es so beiden Seiten ermöglichen, sich argumentativ daran abzuarbeiten: „Schaut doch mal ins Netz“, sagen die einen, „es gibt doch noch Musik, gefühlt sogar mehr denn je.“ „Ja, aber,“ sagen die anderen. „Nicht mehr in der alten Form, nicht mehr auf dem alten Niveau, nicht mehr in alter Professionalität.“ „Das kommt wieder“, sagen die einen. „Wenn es erst mal Vermarktungsmodelle gibt.“ „Dann ist es für uns zu spät“, sagen die anderen. Usw.

Würde man diese zurechenbaren Einheiten – neben Songs geht es auch um Bücher, Filme und ein bisschen um Bildende Kunst – wegnehmen, die Debatte zerfiele ehrlicherweise. Dann würde endlich offenkundig, woran der Dialog zwischen progressiven und konservativen Beiträgern krankt: daran, dass sich die Gegner nur zum Schein auf die selbe Kultur berufen. Am Ende ist es das trügerische Verständigungspotenzial der Sprache, das es Netzwesen ermöglicht, über Bücher und Alben zu reden, die sie nicht lesen und nicht hören, und klassischen Mediennutzern, eine konstruktive Meinung zur Zukunft des Internets zu äußern, in dem sie sich nur notgedrungen bewegen.

Was dank Regener eine Debatte fast allein darüber ist, welchen Platz Romane, Filme, Musikstücke in der Netzwelt einnehmen können, müsste viel grundsätzlicher diskutiert werden: Wie viel Lebenszeit verbringen wir mit welcher Art von Kultur – und wie viel Bedeutung ist den jeweils anderen Sphären vor diesem Hintergrund beizumessen? Im Netz, wo kulturelles Schaffen nicht mehr notwendig als großes, profitables Paket, als Buch oder CD, angeboten werden muss, entwickeln sich beständig neue Kulturformen – zumeist kleinformatiger als jene des vorangegangenen Buch- und Tonträgerzeitalters. Die Grenzen zwischen Profis und Amateuren verschwimmen. Das gilt es bei der Frage danach, welchen Wert Schöpfungen im Netz haben sollen, im Auge zu behalten. Die Frage darf nicht mehr sein, wie viel ein digital vertriebenes Werk kosten soll, sondern welchen Platz die Kategorie „Werk“ in der digitalen Welt überhaupt beanspruchen kann.

Lesen Sie auf der zweiten Seite: Gebt endlich zu, dass ihr das Ende des Buches in Kauf nehmt

So sehr eine solche Neujustierung zunächst die Gräben vertiefen würde: Es würde auch zu etwas führen, das man analog zum Terminus „Versachlichung“ eine „Verehrlichung“ der Debatte nennen könnte. Die Fürsprecher des freien Internets wären aufgefordert, ihre schwammige „Das wird schon alles wieder werden mit eurem Geld“-Haltung aufzugeben. Sie müssten dann sagen: Ja, wir nehmen billigend in Kauf, dass es bestimmte kulturelle Darreichungsformen in Zukunft schwer haben werden. Wir nehmen in Kauf, dass Urheber einen Großteil ihrer Zeit damit verschwenden, Finanzierungen für einzelne Projekte anzuleiern – zumindest in einer Übergangszeit, in der die alten Verwerter aus dem Spiel, aber neue Organisatoren professionellen Kulturschaffens sowie politische Mehrheiten für das bedingungslose Grundeinkommen und die Kultur-Flatrate nicht in Sicht sind. Wir nehmen in Kauf, dass dann noch mehr als jetzt die findigen Vermarkter bevorzugt werden – und nicht die, die wirklich einzigartig schaffen und schöpfen. Es gibt darüber hinaus keinen Grund anzunehmen, dass das Netz auf Dauer und aus sich heraus „klassische“ Kategorien wie Buch, Album, professionelles Künstlertum oder auch bezahlten Journalismus unterstützt. Vor dem Hintergrund der Art, wie wir Medien nutzen – nämlich nicht als Rezipienten, sondern als nimmermüd’ kommunizierende Kultur-Prosumer – können wir dazu nur sagen: Warum auch?

Die Bewahrer klassischer Künste und Publikationsformen könnten sagen: Ja, es stimmt! Weil wir wollen, dass an der Verlagskultur gewachsene Einheiten wie Buch, Album, Künstler, Journalist e.a. fortbestehen, nehmen wir in Kauf, uns bezüglich des Internets reaktionär zu verhalten. Und zwar, indem wir seine Freiheit zugunsten einer be- und errechenbaren Entlohnung unseres Schaffens und damit auch seiner Ermöglichung einschränken lassen wollen. Wir wissen, dass wir uns damit konservativ gegen die Logik der größten medialen und damit auch ästhetischen Revolution unserer Zeit wenden. Uns ist bewusst, dass wir damit den Anspruch aufgeben, als Schöpfer von Neuem uneingeschränkt Avantgarde zu sein – kulturgeschichtlich eine neue Rolle für uns. Als Schöpfer von Werken müssen wir dem Werkvernichter Internet aber sagen: Bis hierhin. Und nicht weiter! Was wir unter Kultur verstehen, funktioniert nicht als Open-Source-Modell.

Das wäre so wunderbar ehrlich – und am Ende käme man so endlich auch zu ehrlichen Fragen: Wie viel von der Kultur des Internets ist man bereit, zugunsten klassischer Kulturerzeugnisse zu opfern? Und welche klassischen Kulturerzeugnisse sind in einem Zeitalter, dessen Gegenwart maßgeblich im Netz geschaffen wird, verzichtbar?

Das alles wäre natürlich nicht ergebnisorientiert. Es würde keine juristische Lösung für das Problem nahelegen, wie der Schutz von Inhalten im Netz gewährleistet werden kann, ohne die Persönlichkeitsrechte der Nutzer zu gefährden. Letztlich wäre es aber die einzig mögliche Grundlage für eine konstruktive kulturelle Debatte, ehrlich anzuerkennen, dass das Privilegieren einer Kultur in diesem Fall die jeweils andere in ihrem Dasein gefährdet. Erst von hier aus ließe sich weiterdenken: welche Rolle klassisches Urhebertum im Verwertungszusammenhang des Netzes haben könnte; inwieweit man sich mit Regularien gegen die mediale Logik des Internets stellen muss, um zu bewahren; inwieweit andererseits ein neues, kollaboratives Künstlertum im Netz zu fördern wäre. Das Krawall-Potenzial dieser Debatte wäre eher gering, vorausgesetzt, beide Seiten und all jene, die sich irgendwo dazwischen verorten, sprechen den jeweils anderen eine Daseinsberechtigung im Hier und Jetzt zu. Die Scheindebatte über skrupellose Downloadkids hier und geldgeile Rechteverwerter dort ist deutlich einfacher zu führen. Ergebnisorientiert ist sie jedoch noch viel weniger, allen konkreten Forderungen nach einer Urheberrechtsreform zum Trotz, die beide Seiten mit ihren Polemiken verbinden. Schlimmer noch: Sie wird es in der jetzigen Form nie sein – weshalb auch weiter nichts zu sagen bleibt.

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