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Medien: "Vera Brühne": Eine Frau, die so nicht sein durfte

München, Justizpalast am Karlsplatz, 4. Juni 1962: "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Erstens Ferbach, Johann, zweitens Brühne, Vera Maria, sind schuldig zweier der Mittäterschaft begangener Verbrechen des Mordes.

München, Justizpalast am Karlsplatz, 4. Juni 1962: "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Erstens Ferbach, Johann, zweitens Brühne, Vera Maria, sind schuldig zweier der Mittäterschaft begangener Verbrechen des Mordes." Sie sinkt auf den Stuhl der Anklage-Bank zurück, von dem sie zuvor aufgestanden war, um mit bebendem Kinn und kreidebleich der Verlesung des Verdikts zuzuhören. Eine Welt bricht für Vera Brühne zusammen, eine Fotografen-Meute fällt wie ein gieriger Wolf über sie her, das Blitzlichtgewitter prasselt auf sie ein, alle wollen sie es festhalten, diesen Moment, dieses Zusammensacken, ihre Aufgabe, die auch Geständnis sein mag.

"Aber wir sind doch ... nicht schuldig" ist die Stimme der Brühne-Darstellerin (Corinna Harfouch) aus dem Off zu hören, ganz verhalten nur, zögernd, beinahe stöhnend, hauchend. Und es ist, als sei dies Brühnes letzter Lebenshauch. Lebenslänglich! Wegen Mordes! Niemals mehr über die Münchner Leopoldstraße flanieren und den betuchten älteren Herren schöne Augen machen, so wie dem Starnberger Arzt Dr. Dietrich Schwarz (Anton Pointecker). Niemals mehr einen Mann oder auch mal eine Frau bei sich haben, sie, die sie ja keine "Kostverächterin" war, wie der Vorsitzende Richter Dr. Vogt (Bernd Fischerauer) vor vollem Saale meinte feststellen zu müssen. Welch ein empörtes Raunen und neugieriges Recken der Köpfe fand da statt: Das also auch noch! Was hat die blonde Lebedame noch alles ausgefressen?

Nur einer von vielen entwürdigenden, demütigenden Momente während der 22 Münchner Prozesstage, denen bereits etliche Verhöre in der Untersuchungshaft vorausgingen. Verhöre, in denen Oberstaatsanwalt Böck (Ulrich Noethen) triumphierend ein vermeintliches Indiz an das nächste Indiz reiht, um die Verdächtige Brühne zu überführen, jenes ominösen Mordes an dem Arzt Dr. Schwarz und seiner Gefährtin Elisabeth Huhn. Brühne beteuert bis zum Schluss des Prozesses und bis an ihr Lebensende ihre Unschuld.

Wiederaufnahme des Verfahrens

1971 kommt der Tübinger Rechtswissenschaftler Dr. Haddenhorst (Hans-Werner Meyer) nicht nur einer Ungereimtheit im Mordfall auf die Spur, sondern es gibt in der Gerichtsmedizin nun endlich die Möglichkeit, Todeszeitpunkte genau zu bestimmen. Und der Tod von Dr. Schwarz und Frau Huhn kann nicht zum seinerzeit festgelegten Zeitpunkt eingetreten sein! Haddenhorst besucht Vera Brühne im Zuchthaus Aichach, beredet mit ihr sein Vorhaben, den Fall neu aufzurollen. Sieben lange Jahre soll es noch dauern, bis ihm die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligt wird. Es ist der 15. Dezember 1978, als Vera Brühne wie aus heiterem Himmel und ohne Begründung vom bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß begnadigt wird. Merkwürdige Koinzidenz! Wer wollte da nicht, dass Licht ins Dunkel kommt? Bis heute ist daran nicht mehr gerüttelt worden.

Parallelen zu Nitribitt

Nun haben Bernd Eichinger und Hark Bohm einen Film über Vera Brühne gemacht: "Für uns war das von Anfang an eigentlich viel mehr als nur ein Film über einen Kriminalfall. Es geht hier um ein Phänomen, wahrscheinlich um das größte Medienereignis seiner Zeit. Mich hat vor allem interessiert, was da solche unglaublichen Energien freisetzte und eine ganze Nation - über mehrere Jahre! - in Atem halten konnte", sagt Produzent Bernd Eichinger. Diesem Phänomen wollten er und Bohm, der Regisseur und Autor, auf die Spur kommen. Deswegen heißt der Film auch nicht "Der Fall Vera Brühne", sondern eben "Vera Brühne". Eichinger sieht Parallelen zu seinem Film "Das Mädchen Rosemarie", zum Mordfall Rosemarie Nitribitt Mitte der 50er Jahre: "Auch eine Frau, die so nicht sein durfte, die auf ihre Art ihr Leben geführt hat, sich unabhängig und unempfindlich gegenüber den gesellschaftlichen Anforderungen gezeigt hat. So wurde sie zur Bedrohung für die Gesellschaft." "Das Mädchen Rosemarie", "Vera Brühne", zwei Fernsehfilme also über Menschen, nicht über Kriminalfälle.

"Vera Brühne" dauert etwa fünf Stunden, aufgeteilt auf zwei Abende (am Donnerstag und am Freitag um 20 Uhr 15 in Sat 1), ausgestattet mit einem Budget von zwölf Millionen Mark, mit einer Drehzeit von Mitte Juni bis Anfang Oktober 2000. Ein Film, dem jahrelange intensive Recherchen vorausgingen, und an dessen Drehbuch sich mehrere Autoren die Zähne ausbissen, bis man in Hark Bohm ("Nordsee ist Mordsee"), der früher selbst einmal Jurist war, den Richtigen fand, einen Leidenschaftlichen, den Mensch und Fall gleichermaßen faszinierten. Von Material, das einem buchstäblich "in den Händen explodierte", spricht Eichinger.

Und sicher, der Film ist partiell durchaus spannend - sieht man einmal völlig davon ab, dass die Werbeblöcke des auffallend auf Fernsehfilm-Qualität setzenden Privatsenders Sat 1 das Verstehen der knifflig strukturierten Dramaturgie erschweren werden. Doch der Film, der ursprünglich einmal in drei Partien aufgeteilt werden sollte, ist zu lang geraten.

Es ist ja gut, dem Zuschauer etwas abzuverlangen, indem man ihm mit einem unbestreitbaren Qualitätsfilm begegnet. Doch "Vera Brühne", so löblich und redlich und ambitioniert das Projekt auch ist, es verlangt dem TV-Konsumenten zuviel ab. Man habe sich schon eingeschränkt, habe allzu vieles weggelassen, heißt es. Doch musste man derart oft bis ins Detail die möglichen Mord-Varianten durchgehen, die Protokolle Satz für Satz nachinszenieren? Das kann für Verwirrung sorgen, wenn man zum x-ten Male den Tathergang sieht, einmal mehr variiert, aber einmal mehr auch mit den beiden Leichen im Close Up - und alles unterlegt mit einem reißerischen, an Hitchcocks "Psycho" erinnernden Klangteppich von Stephan Zacharias, der die Geigen nur so peitschen läßt. Aber all dies habe schließlich so stattgefunden, beteuern Bohm und Eichinger entschieden; nichts, aber auch nichts sei hier fiktiv. Und also müsse es auch so gezeigt werden.

"Vera Brühne" in seiner kaleidoskopischen Sicht ist ein ambivalentes Unterfangen. Hervorragend von Bernd Lepel ("Die Blechtrommel") ausgestattet, in Maske und Kostüm atemraubend detailbesessen, natürlich mit Schauspielern in Haupt- und Nebenrollen besetzt, die - allen voran die bravouröse, chamäleonartig agierende Corinna Harfouch - ihr Bestes geben. Selbst einem Fritz "Harry" Wepper gewinnt man als Brühnes Verteidiger neue Seiten ab.

Brühne am Set

Doch wer will diesen Menschen-Fall, dieses "klassische Fehlurteil" (Bohm), diesen bundesrepublikanischen Hexenprozess, in der epischen Länge und derart akribisch seziert sehen? Wer überhaupt kennt sie heute noch, die Münchner Lebedame von einst, deretwegen Menschenmassen den Münchner Justizpalast stürmten? Noch am Set in München, den sie im Spätsommer 2000 besuchte, sagte sie immer wieder "Ja, so war es, genau so war es" und sprach von ihrer Unschuld. Niemand von den Anwesenden mochte der alten zierlichen Dame nicht glauben, und es hieß, sie habe sich durch den Film etwas versprochen. Und auch Produzent Eichinger schien ihr verfallen: "Sie war eine sehr schillernde, sehr interessante Frau. Sehr witzig, sehr charmant. Und zum Teil durchaus durchtrieben, auch berechnend. Dann auch wieder ganz offen. Eine tolle Person." Und immer wieder wurde über die vielen Jahre hinweg von Rehabilitierung gesprochen, von der Wiedergutmachung an dieser Frau, die immer älter wurde, die mit einer Begnadigung als Mörderin lebte, nicht aber mit einem begründeten Freispruch.

Am 19. April 1960 fand man die beiden Starnberger Leichen, es war der Dienstag nach Ostern. Am 17. April 2001, es war just wieder ein Osterdienstag - da starb Vera Brühne mit 91 Jahren in München. Nun war es ein für alle Mal zu spät.

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