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Als die FDP noch etwas vorzusingen hatte, war Walter Scheel mit dabei. „Hoch auf dem gelben Wagen“, damit war er als Außenminister 1973 Hitparadenstürmer. Als vierter Bundespräsident sang er weniger, als Ex-Bundespräsident bei nahezu jeder Gelegenheit. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Vor der Wahl: Best of Bundespräsident

Von Theodor Heuss bis Christian Wulff: Eine ARD-Doku präsentiert und bilanziert die zehn bisherigen Amtsinhaber.

Christian Wulff ist schon Geschichte, aber nicht nur er. Mit einem Rückblick auf die Amtszeiten der zehn bisherigen Bundespräsidenten verbringt die ARD die letzte Nacht vor der (mutmaßlichen) Wahl von Joachim Gauck am Sonntag. Und obwohl der um das Wachbleiben seiner Zuschauer besorgte Moderator Jörg Schönenborn „auch viel Persönliches, Nettes, Amüsantes“ verspricht, summiert sich hier in zweieinhalb Stunden überwiegend Politisches zu einer spannenden Zeitreise durch die (Medien-)Geschichte der Bundesrepublik und später des vereinten Deutschlands. Da darf dann zwischendurch auch mal ein kleiner Leopard aus dem Berliner Zoo Walter Scheel in die Anzugjacke beißen.

Aber auch Scheels Urlaube in West-Berlin hatten ja politische Dimensionen. Seltsame Bilder aus fernen Zeiten sind das: Wie der Bundespräsident 1975 wie ein normaler Tourist über den Kudamm schlendert oder mit dem Ausflugsschiff auf dem Wannsee an der Mauer vorbeischippert. Der FDP-Politiker verstand sich gut aufs Unters-Volk-Mischen, er war ein beliebter Präsident, wurde aber 1979 abgelöst von Karl Carstens, weil die CDU/CSU mittlerweile die Mehrzahl der Delegierten in der Bundesversammlung stellte. Im Vorfeld kam es zwischen den Parteien zu wahlkampf-ähnlichen Scharmützeln.

„Das ist neu in der Bundesrepublik, wenn auch nicht sehr eindrucksvoll“, kommentierte Friedrich Nowottny im Februar 1979 süffisant im „Bericht aus Bonn“. Scheel trage den Streit mit Fassung, attestierte ihm der ARD-Journalist, „denn nicht seine Würde steht auf dem Spiel“. Wobei Nowottny das Pronomen „seine“ betonte.

Wie viel Kritik verträgt das Amt und seine Würde? Das ist nicht erst seit Horst Köhler und Christian Wulff ein Thema. Die „Nacht der Bundespräsidenten“ beginnt mit einer Fernseh-Erklärung von Heinrich Lübke aus dem Jahr 1968. Lübke war vorgeworfen worden, er habe während der Nazizeit als Mitarbeiter eines Architekturbüros KZ-Baracken geplant. Die Kampagne war vom DDR-Ministerium für Staatssicherheit initiiert worden, allerdings stimmten die Vorwürfe im Kern. Lübke schied im Juni 1969 drei Monate früher aus dem Amt, nicht zuletzt auch wegen gesundheitlicher Probleme. Fast noch spannender, auch medienhistorisch betrachtet, ist der folgende längere Ausschnitt aus dem „Internationalen Frühschoppen“. Darin offenbarte „Stern“-Chefredakteur Henri Nannen gleich zu Beginn, dass Gastgeber Werner Höfer gedroht hatte, die Sendung abzubrechen, falls jemand über das Staatsoberhaupt Lübke sprechen wolle. Was Nannen natürlich doch tat. Die Grenze des Respekts gegenüber dem Bundespräsidenten sei da erreicht, „wo der Mann, der das Amt gerade inne hat, dem Amt Schaden tut“. Sagte Henri Nannen 1968.

Auch an die Flugaffäre von Johannes Rau wird erinnert. Vor allem aber an die Staatsbesuche und die Reden, die Hauptbeschäftigung der politisch weitgehend machtlosen Präsidenten. Alle haben ihre Spuren hinterlassen, bis zu Christian Wulff („Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“). Die größte Wirkung erzielte aber wohl Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach dem Tag des Kriegsendes, den der CDU-Politiker einen „Tag der Befreiung“ nannte. Noch ein Jahr später berichtete Eberhard Piltz im „Bericht aus Bonn“ über die anhaltende Nachfrage im Bundespräsidialamt nach dem Wortlaut der Rede. „Was für ein Mangel offenbar besteht an politischer Kultur“, kommentierte Piltz. Ein Satz von zeitloser Dimension.

Nur wenige Bilder gibt es vom ersten Bundespräsidenten, von Theodor Heuss. Lübke, der zweite, dagegen ist schon mehrfach präsent. Auf Besuch in seiner Heimat, im Sauerland. Und in Afrika. Man spottete damals über den bisweilen abwesend wirkenden Präsidenten. Hier zeigt die ARD einen mehrminütigen Nowottny-Beitrag über Lübkes letzte Afrika-Reise vom Februar 1969, das eindrucksvolle Beispiel eines politischen Feuilletons, das mit feiner Ironie einen Präsidenten charakterisiert, ohne ihn lächerlich zu machen. Überhaupt ist Nowottny so etwas wie der heimliche Star dieser langen Sendestrecke, und am Ende wünscht man sich – ein wohl eher unfreiwilliger Nebeneffekt beim Griff ins WDR-Archiv – nicht nur einen neuen Präsidenten von Format, sondern auch ähnlich wortmächtige Hauptstadt-Journalisten. Vielleicht sogar wieder in der ARD.

„Die Nacht der Bundespräsidenten“, ARD, 23 Uhr 45

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