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© ddp

Wahlkampf: Koch und Kellner

Wolfgang Clement mischt sich mal wieder in den Wahlkampf ein und unternimmt damit einen Versuch zur Machtsicherung im Mediengetümmel.

Instrumentalisiert die Politik die Medien für Wahlkampfzwecke? Natürlich. Was denn sonst! Ohne Medien geht gar nichts. Was nicht wenigstens fotografiert wurde, hat nicht stattgefunden. Mit einem spektakulären Interview bei "Hart aber fair" mischte sich der ehemalige SPD-Arbeits- und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erneut in den hessischen Wahlkampf ein. In Richtung seiner hessischen Parteifreundin Andrea Ypsilanti verdeutlichte er: "Auf Deutsch gesagt: Ich würde sie nicht wählen." Ein Dolchstoß sei das nicht, lediglich "ein unüberbrückbarer Gegensatz“.

Frank Plasberg baute das aufgezeichnete Interview mit dem "Trouble maker" am Mittwoch in seine Talkshow ein und bewies so erneut seinen Sinn für Brisanz. Nicht zuletzt die "Hart aber fair"-Ausgabe vom 9. Januar hatte dokumentiert, dass Roland Kochs Hessen-Wahlkampf bundesweit im "Agenda setting" erfolgreich war. Der CDU-Politiker griff tief in die Kiste „Innere Sicherheit“ mit dem Spezialfach „Gewalt junger Ausländer“. Alle Medien zogen mit. Das heißt nicht, dass sie keine autonomen redaktionellen Entscheidungen getroffen hätten; sie empfanden lediglich Themen und Thesen als relevant und plausibel.

An den US-Medien gibt es die Kritik, sie betrachteten die aktuellen Vorwahlen nur wie ein "horse race“. Tatsächlich analysieren sie jede Wahlkampagne darauf hin, ob sie zum Machterwerb taugt. Muss Barack Obama die Großbegriffe "change“ und "hope“ nicht stärker realpolitisch unterfüttern? Ist es Hillary Clinton ausreichend gelungen "to humanize herself“, sich menschlich zu machen? Bei uns halten es kritische Journalisten gelegentlich schon für ausreichend, eine Kampagne als Kampagne zu entlarven. Dass es um die Macht geht, ist verdächtig. Angeblich muss "Sachpolitik" im Zentrum stehen. Das klingt sympathisch demokratisch, ist aber auch geheuchelt.

Selbstverständlich verfolgte Roland Koch mit seinem "Agenda setting“ den Zweck der Machtsicherung. Anfangs wirkte seine Kampagne auch gut synchronisiert mit den Themen der "Bild“-Zeitung. Das zigfach ausgestrahlte Überwachungsvideo aus der Münchener U-Bahn verlieh Kochs Kampagne Schwung und emotionale Aufladung. Nach einer Schrecksekunde aber fiel das Thema ins Stimmengewirr des Medienpluralismus. Alle diskutierten. Jeder hatte eine Meinung, von der ARD bis zur "Zeit“. Freigestellt war das Dafür oder Dagegen, nicht aber die Anerkennung des Themas.

Christian Wulff gibt in Niedersachsen den guten Fürsten

So hatte Roland Koch zwar "sein“ Thema diktiert – musste aber herabsteigen vom Thron einer überlegenen Position mitten hinein ins Schlachtgetümmel. Wider das Gerücht, derartige Begriffe seien obsolet, gibt es "rechte“ (Sicherheit) und "linke“ (Gerechtigkeit) Themen. Wichtig ist, für jede Formation über einen glaubwürdigen Stopfen zu verfügen, der eine Überschwemmung durch Themen der anderen Seite verhindert. Diese Funktion erfüllten früher Otto Schily und Norbert Blüm. Jetzt gibt es undichte Stellen. Da bohren nicht nur politische Gegner, sondern auch Journalisten gerne nach.

Roland Koch wählte ein polarisierendes Thema. Das ist für einen regierenden Landesvater ungewöhnlich. Normalerweise spricht ein Amtsinhaber darüber, wie viel ihm bereits gelungen sei und dass er zur Vollendung jetzt erneut ein Votum des Vertrauens brauche. So macht es Christian Wulff in Niedersachsen. Er ist der gute Fürst für alle; nur sein Gegner Wolfgang Jüttner (SPD) ist Partei.

Dick Morris, der erfolgreiche Wahlstratege Bill Clintons, nennt diese Strategie "Triangulation“: Wer gewinnen will, muss die Niederungen des Parteienkampfes glaubhaft in Richtung einer "höheren Mitte“ verlassen haben. Dazu aber ist der "harte“ Roland Koch einfach nicht der Typ. Er ist kein "charming boy“, dem die Herzen zufliegen.

So entstand Raum für Alternativen. Es ging um Toleranz und Härte, Integration und Ausgrenzung, mit einem Wort um das politisch-kulturelle Klima. Deswegen und nicht wegen ihrer "Sachthemen" hat Frau Ypsilanti in der Schlussphase des Wahlkampfes aufgeholt. Erst Wolfgang Clement, der auch weiß, dass die SPD-Kandidatin nicht wegen ihrer Pläne einer Energiewende oder der Hinwendung zu finnischer Schulpolitik punktet, hat wieder die Realpolitik gegen Frau Ypsilanti in Stellung gebracht.

Und er weiß, dass die Kandidatin keine glaubhafte machtpolitische Alternative verkünden kann. Was will sie denn tun, wenn Rot-Grün eine minimal stärkere relative Mehrheit bekommt als Schwarz-Gelb? Und die Medien? Indem sie diese Konstellation durchschaubar machen, halten sie im Großen und Ganzen auf Distanz.

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