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"Sexpertin" Paula Lambert reist auf Sixx

© dpa

Was bringt ProSiebenSat1?: Die Entertainer

Die Programmpräsentation von ProSiebenSat1 in Hamburg brachte es mal wieder an den Tag: Der Sendergruppe geht es um nichts außer Unterhaltung und das aus voller Überzeugung. Ein Überblick von Kabel 1 bis ProSieben.

Man kann über ProSiebenSat1 sagen, was man will: Dass die Sender der Gruppe gern Fernsehen für Intellekt- und Verantwortungsverweigerer machen; dass Geiz dabei geiler ist als Anspruch oder Niveau; dass Informationen allenfalls der Vollständigkeit halber laufen und Seriosität als ähnlich bedeutsam gilt wie Antimaterie im All – angeblich existent, zu weit weg, um Gedanken daran zu verschwenden.

Denn eines lässt sich dem Medienkonzern aus Münchens Speckgürtel nicht vorwerfen: Entertainment nur zu liefern. Im Gegenteil: er lebt es. Und wie glaubhaft, das zeigt sich jedes Jahr um diese Zeit in Hamburg.

Ein Multiplex-Kino nahe der Alster bietet Mittwochabend gerademal genug Platz für 300 Gäste einer Programmpräsentation, die Realität und Relevanz, Kriege und Krisen für ein Stündchen vor den Eingang verweist. Auf der Leinwand besteigt unterdessen Wolfgang Link, Geschäftsführer der TV-Holding, ein sehr (sehr (sehr)) dickes Auto und entlockt den Verantwortlichen seiner sechs Sender darin ein paar Höhepunkte ihres saisonalen Angebots. Kamera-Laien beim heiteren Selbstinszenieren mit PR-Fokus – so was endet schnell peinlich.

Meistens.

Hier aber ist es der selbstbewusste Ausdruck eines Unterhaltungskonzeptes, den jeder von Links Zulieferern mit der Muttermilch aufgesogen hat. Als Kaspar Pflüger zu Beginn den Wagen besteigt, schmettert der schüttere Sat1-Chef mit seinem ebenso dünn behaarten Boss windschief, aber hingebungsvoll einen Popsong mit Programmbezug ("I Can’t Stop The Feeling"), bevor er als sensationell verkauft, was Arte-Fans in die Flucht triebe.

So überträgt die „Karawane der Köche“ den Kochboom auf hipstertaugliche Foodtrucks, die ab Herbst im Wettstreit ums beste Schnellgericht durchs Land reisen. Zugleich tritt stereotype Comedy wie „Rabenmütter“ und „Knallerkerle“ die Humorpfade von M. Hill bis M. Barth aus, während Matthias Schweighöfers erste Fernsehproduktion „Jack the Ripper“ mit noch mehr Effekthascherei und Haut garniert als die 50 Verfilmungen zuvor.

Eine Unbekannte hat zwar kein Gedächtnis, aber massig Tätowierungen

Nach dem Prinzip funktioniert auch der NBC-Import „Blindspot“: Eine Unbekannte hat zwar kein Gedächtnis, aber massig Tätowierungen, von denen 23 Folgen lang jede auf ein Verbrechen hindeutet. Das wirkt spannend, leuchtet aber vor allem den Traumkörper der Hauptdarsteller aus.
Überhaupt – das Leibliche.
Als sich Christina Kuby in den SUV setzt und nach kurzer Gesangseinlage (Amadeus) die Sixx-Ware vorstellt, bleibt nur Physisches hängen: Eine „Tattoo-Competition-Show“ namens „Pain & Gain“ mit der eher äußerlich als inhaltlich vermarkteten Sophia Thomalla (Oktober). Und „So kommt Deutschland“ mit „Sexpertin“ Paula Lambert auf erotischer Rundreise. Der nächste Beifahrer René Karl feiert seinen Männer-Kanal Pro7Maxx sodann zu „Wild Boys“ als Heim harter Kerle der NFL. Und als ProSieben-Chef Daniel Rosemann am Ende der Tour seine Saison darlegt, wird Inhalt endgültig von Form gefressen.

In „Global Gladiators“ müssen „Promis“ nach dem Vorbild der sadomasochistischen Zugpferde Joko & Klaas auf vier Kontinenten „Challenges“ meistern, die unbekannte Kandidaten bei „Mission Wahnsinn“ im eigenen Land angehen – etwa beim Achterbahnmarathon Hotdogs essen, wie der Einspielfilm irritierend deutlich illustriert. Ab 27. Juli läuft die US-Serie „Quantico“, in der eine FBI-Agentin ihre Unschuld nach einem Terroranschlag auf der Flucht beweisen muss – und dabei wie fast alle Darsteller so schick ist, dass Heidi Klum im Frühjahr wohl ein paar Fotos für sie hätte.

Abgesehen von den gewohnt zugkräftigen Dokusoaps, die ihre Sozialfälle öffentlich demütigen, gibt es nur ein Format, dass zwischen all den Models Normalität duldet: In „Look Into My Eyes“ sollen sich Entzweite beim Augenkontakt versöhnen. Wolfgang Link hat das angeblich zu Tränen gerührt.

Und irgendwie ist ihm das zu glauben. In einer Sendergruppe, deren PR-Film sinnbildlich fürs künftige Programm steht: Im Proll-Auto für Grill-Fans singend durch ein zusehends zerrüttetes Land fahren und seine Bewohner mit heißen Kurven, viel Testosteron, sorglosem Shopping, juveniler Partyprosa und dem lautesten, was Hollywood in petto hat, von den Alltagsorgen abzulenken. Dafür lagert Kabel1 ab September alles, was lehrreich sein könnte, in den eigenen Doku-Kanal aus. Und "Galileo" testet weiter, was blinkt und knallt und Spaß bereitet. They love to entertain us. Nicht weniger, nicht mehr.

Jan Freitag

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