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Medien: Was trieb Joseph Goebbels?

Dreiteilige Dokumentation über Hitlers Propagandaminister in der ARD

Noch eine Nazi-Biographie. Irgendwann, denkt man, ist es genug. Sollten wir uns nicht für die Lebensläufe ganz anderer Menschen interessieren? Grundsätzlich ja. Aber man muss schon sehr ignorant sein, um sich dieser ARD-Dokumentation über den Propagandaminister des Nationalsozialismus zu entziehen. Vielleicht ist Goebbels der Interessanteste von allen. Und dennoch – wie die anderen – nicht eigentlich als Mensch interessant, sondern als Indiz. Allerdings versteht man das Indiz nicht, wenn man den Menschen nicht kennt. So viel zur Rechtfertfigung des Vorhabens einer Goebbels-Dokumentation.

Im Übrigen hat dieser Dreiteiler von Andrea Morgenthaler Rechtfertigungen gar nicht nötig – er ist, das sieht man sofort, sorgfältig gemacht und findet ein sehr gutes Maß zwischen Darstellung und Kommentar. Man ertappt sich dabei, von vielem nur die Hälfte zu wissen. Den Goebbels-Ton hat vielleicht jeder im Ohr, diesen Bücherverbrenner-Ton, aber wer weiß, dass die Bücherverbrennung gar nicht seine Idee war? Die nationalsozialistische Studentenschaft wollte ein Zeichen setzen. Könnte er da nicht eine Rede halten? Und als der Fanatiker Jahre später erklären ließ, er sei der festen Überzeugung, dass der Frieden in Europa erhalten werden müsse, so sei das keine Propaganda-Finte gewesen. Goebbels habe wirklich den Frieden in Europa gewollt. Er wollte auch nach Stalingrad dem deutschen Volk die Wahrheit sagen. Erklärt Andrea Morgenthaler. Muss man hinzufügen, dass all das nichts relativiert? Nur unser Blick auf einen der ungeheuerlichsten Mörder der Geschichte bekommt eine andere Tiefenschärfe.

Dass Goebbels, als er seinem Volk die letzte verbale Großinjektion setzte und zum „totalen Krieg“ aufrief, an gar nichts mehr glaubte, ahnten wir. Was für eine schauspielerische Leistung! Was der reine Wille und – sollte man das Wort wirklich benutzen? – der „Geist“ vermag, macht dieser Mann anschaulich. Ohne ihn wäre das, was Joachim Fest so gewöhnungsbedürftig den „Untergang“ nennt, früher gekommen. Hitler verschlägt das nahende Ende die Sprache. Goebbels redet wie um sein Leben – und weiß dabei längst, dass es verloren ist. Wie das Phänomen Goebbels erklären?

Die ARD-Dokumentation schafft etwas Bemerkenswertes. Jede Antwort wird eine neue Frage – und die richtigen Fragen stellt man wohl erst jetzt, beim Zusehen. Dieser Mann lebt aus einem übergroßen Hass. Oder sagen wir: Goebbels’ Leben ist eine einzige Überreaktion auf eine Demütigung durch Natur und Kultur gleichermaßen.

Der Film nennt Goebbels einmal den „erfolglosen, gehbehinderten Schriftsteller“. Außerdem war er bemerkenswert klein. Wenn das Leben eines Menschen sich als die Kompensation seiner mitgebrachten Mängel beschreiben lässt – Goebbels hatte besonders viel zu kompensieren. Es war wohl leichtsinnig, den promovierten Absolventen der Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik nicht ernst zu nehmen. Hätte Goebbels literarischen Erfolg gehabt, und Hitler wäre Maler geworden – wer weiß, was der Welt erspart geblieben wäre. Andrea Morgenthaler deutet es an.

Goebbels’ Sündenbock, jeder weiß es, waren die Juden. Dass die Sündenbock-Suche besonders mies und außerdem archaisch ist, haben wir gelernt. Und doch, das sollte niemand vergessen, liegt dem beinahe ein Rationalitätsprinzip zugrunde: Es muss doch eine Ursache dafür geben, dass ich keine Chance habe! Dabei war Goebbels intelligent genug zu wissen, dass an seinem Klumpfuß unmöglich die Juden schuld sein können.

Und Demütigungserfahrungen sind die haltbarsten seelischen Eindrücke überhaupt. Ist der Hass eine spezifisch nationalsozialistische Eigenschaft?

Andrea Morgenthaler hat viele Zeitzeugen befragt. Goebbels’ Sekretärin, die Schauspielerin Mady Rahl, die öfter auf sein Landhaus eingeladen war: „Wer so Klavier spielt, kann nicht ganz schlecht sein.“ Hat sie sich damals gesagt. Ja, das Monster war charmant. Es konnte sogar lieben, nicht unbedingt seine Frau, wohl aber die tschechische Schauspielerin Lida Baarova. Im Umgang mit diesem Verhältnis mangelte es dem großen Demagogen an jeder Professionalität, sagt die Herausgeberin der Goebbels-Tagebücher. Lieber habe er Krawatten in Japan verkaufen wollen, als auf die Geliebte zu verzichten. Der Propagandaminister als kopfloser Liebhaber, der erst auf Hitlers Befehl, dann allerdings ohne Zögern, die Geliebte fallen lässt. Bemerkenswert ist auch Goebbels’ Rundfunk-Rede. Die Ansprache klingt, als wäre sie von heute (Und „Experimente gehören ins Laboratorium!“).

Hitlers Pathos, immer an der Schwelle zur Komik, erzeugt von selbst historischen Abstand. Bestimmte Verführbarkeiten sind einfach nicht wiederholbar. Goebbels ist auch deshalb interessanter als Hitler, weil sein rhetorischer Gestus zeitgenössischen Ohren kompatibler ist.

Zu erklären bliebe die sklavische seelische Abhängigkeit von Hitler. Im Verhältnis zu ihm ist der Brandredner wie ein gefallsüchtiges Kind. Dieses Phänomen klärt auch Andrea Morgenthaler nicht.

„Der Scharfmacher“: 21 Uhr 45, ARD; weitere Folgen am 6. und 11. Oktober

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