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Kai Wiesinger spielt in der Webserie „Der Lack ist ab“ zusammen mit seiner Lebensgefährtin Bettina Zimmermann das Mittvierziger-Ehepaar Tom und Hanna, er Grafikdesigner, sie Kinderbuchautorin.

© dpa

Web-Serie "Der Lack ist ab": Szenen einer Ehe

Rettung für die Über-40-Jährigen: Mit der Mini-Serie „Der Lack ist ab“ gibt Schauspieler Kai Wiesinger sein Regiedebüt – im Internet.

Am Anfang war da ein Abendessen unter Kollegen und Freunden. Die Speisekarte mit ihrer zu kleinen Schrift, die Kai Wiesinger, Jahrgang 1966, ohne Brille nicht lesen konnte. Ein Scherz hier, ein Lamento dort, schnell ergab sich in der Runde das Thema, welches, meint Wiesinger, im deutschen Unterhaltungsfernsehen zu wenig beleuchtet wird. Mit Fragen wie: Was droht, außer Gleitsichtbrillen, noch alles an Einschlägen, Beschwernissen für die Ehemänner und Ehefrauen Ü40 oder schon fast 50? Wie lange ist oder fühlt man sich jung? Ab wann ist man eher gedanklich bei der Rente als noch in der Uni? Nur knapp fünf Monate nach diesem Abendessen gibt es erste Antworten: „Der Lack ist ab“, eine zehnteilige Mini-Serie, die seit Mittwoch im Netz unter MyVideo.de zu sehen ist.

Kai Wiesinger steht zusammen mit seiner Lebensgefährtin Bettina Zimmermann als Mittvierziger-Ehepaar Tom und Hanna nicht nur als Protagonist für die Serie. Er hat auch an den Büchern mitgeschrieben und erstmals Regie geführt. „Ich bin 25 Jahre im Film- und Fernsehgeschäft, aber so eine straffe Umsetzung einer Idee in so kurzer Zeit habe ich noch nie erlebt“, erzählt der Schauspieler bei der Präsentation der ersten Serienepisoden, stilecht im Soho House Berlin, und schwärmt von den uneitlen Produktionsbedingungen, der kompletten Freiheit beim Kreieren dieses Web-Formats.

Die kurzen Episoden schildern nicht nur auf komödiantische Weise die Herausforderungen des modernen Familienlebens, sie setzten sich auch mit dem Altern auseinander. Geplausche unter Vätern und Müttern über das, was die Kinder so auf ihren Smartphones machen, übers Küssen und Spontanität nach 20 Jahren Ehe/Familie, über den richtigen Zeitpunkt zum Aufsetzen des Testaments. Das ist meistens recht kurzweilig, erinnert in besseren Momenten an Woody Allen und ist mit jeweils zehn Minuten so lang, dass es ohne Konzentrationsmängel auf einem Smartphone angesehen werden kann.

„Wir erzählen von den Themen, von denen man mit 20 noch nie gehört hat"

Im Grunde sind das Themen, die nicht unbedingt bei der jungen Zielgruppe vermutet werden, die mit dem klassischen Fernsehen nicht mehr viel am Hut hat und sich auf Sozialen Netzwerken oder YouTube umtut. Irrtum, sagt Manuel Uhlitzsch von MyVideo, einer Tochter von ProSiebenSat1. Die größten Wachstumsraten auf diesen Portalen gebe es bei den Über-30-Jährigen. Der Erfolg von Streamingdiensten wie Netflix mit ihren Erwachsenen-Serien beweise, dass da rezeptionstechnisch ein Umbruch stattfindet, weg vom Fernsehen, verstärkt hin zum Internet. „Mit ,Der Lack ist ab’ wollen wir eine Zielgruppe erreichen, die genauso alt ist wie wir selber und für die es viel zu wenig gute Unterhaltung im Netz gibt“, sagt Wiesinger, „Wir erzählen von den Themen, von denen man mit 20 noch nie gehört hat und die einen mit 40 überrollen.“

Vielleicht ist „Der Lack ist ab“ eine Initialzündung. MyVideo hat die Konzeption weiterer Webserien im Auge. Welcher Wertschätzung sich so ein Format erfreut, zeigt die Liste der Gastdarsteller: Anja Kling, Silke Bodenbender, Ben Becker, Sonja Gerhardt, Benjamin Sadler, Ralph Herforth und Katja Wagner treten in „Der Lack ist ab“ auf, mal näher, mal weiter weg von den Befindlichkeiten des Paares Wiesinger/Zimmermann.

Natürlich müssen auch solche Projekte refinanziert werden. Product Placement in der Serie und Bannerwerbung auf MyVideo alleine dürften Kai Wiesinger & Co. nicht bezahlen. Konkret möchte MyVideo-Mann Uhlitzsch noch nicht werden, Anfang Mai wolle man bekannt gegeben, was sich die Macher da haben Ungewöhnliches einfallen lassen. „Die Werbetreibenden wissen, dass es für Inhalte wie ,Der Lack ist ab’ einen Markt gibt.“

Ein Manko hat das Ganze. Binge-Watching, alle Folgen von „Der Lack ist ab“ am Stück gucken wie bei „Breaking Bad“, das geht nicht, obwohl das bei jeweils zehn Minuten kein Problem sein dürfte. Die zehnteilige Serie wird nicht komplett auf einmal, sondern im 4-3-3-Modus ins Netz gestellt, das heißt erst vier Episoden, dann nach ein paar Tagen die nächsten drei Folgen und so weiter. Zeit für viele Abendessen und neue Ideen.

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