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Staatsfeind Nr. eins? So wird Julian Assange zumindest in Teilen Amerikas wahrgenommen. Foto: dpa

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Whistleblower-TV: Vom Hacker zum Rockstar

Eine Phoenix-Dokumentation zeigt das Leben von Julian Assange und die Geschichte von Wikileaks.

Der ruhelose Julian Assange, der keinen festen Wohnsitz hat und häufiger mal die Frisur wechselt, sitzt zurzeit mit Fußfesseln auf einem Landsitz in England fest. Doch die Informationen, die Wikileaks seit 2006 ins globale Netz stellt, sind nicht mehr einzufangen. Mit der Veröffentlichung umfangreicher Geheimdokumente zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan sowie zuletzt der Depeschen der US-Botschaften hat die Internetplattform insbesondere die Regierung in Washington und das US-Militär in Bedrängnis gebracht.

Wikileaks ist ein mächtiges neues Medienphänomen und der 39-jährige Australier Assange wahlweise der „Rockstar“ oder auch der „Robin Hood des Informationszeitalters“. So sehen es wohl nicht nur Jesser Huor und Bosse Lindquist, die Autoren der Dokumentation „Wikileaks – Rebellen im Netz“. Der weitgehend aktuelle, im vergangenen Jahr gedrehte Film des schwedischen Fernsehens SVT wurde vom österreichischen ORF für den deutschen Sprachraum bearbeitet und in der ORF2-Reihe „Menschen & Mächte“ kurz vor Weihnachten ausgestrahlt. Phoenix übernimmt nun diesen hilfreichen Beitrag, der den Werdegang von Assange und die Entwicklung der vergangenen Jahre nachzeichnet. Ob Assange tatsächlich zwei Schwedinnen vergewaltigt hat, bleibt selbstverständlich ungeklärt.

Mit 20 Jahren stand er in Australien erstmals vor Gericht, weil er diverse Server gehackt hatte. Der Richter sah in Assange einen „sehr neugierigen Menschen ohne böse Absichten“ und beließ es bei einer milden Strafe. Vom Hacker zum politischen Aktivisten wandelte sich Assange, nachdem er wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente von Scientology bedroht worden war. 1999 wurde leaks.org ins Leben gerufen, 2006 schließlich Wikileaks. Die Plattform enthüllte Details über die Folterpraktiken im US-Gefängnis Guantanamo, über die Verklappung von niederländischem Giftmüll vor Afrika oder über den Bankrott isländischer Banken. Besonders ausführlich widmet sich der Film den schockierenden Helikoptervideos, die belegen, wie rücksichtslos das US-Militär im Irak gegen Zivilisten vorging.

In dem Interview, das Assange vor seiner Verhaftung den schwedischen Autoren gab, erklärt er, dass er zu Beginn auf eine größere Beteiligung von Journalisten an Wikileaks gehofft habe. Mittlerweile arbeitet Wikileaks gezielt mit Medienprofis zusammen: Die Irak-Berichte und die diplomatischen Geheimdepeschen waren zeitgleich im Internet und in verschiedenen Publikationen veröffentlicht worden, darunter im „Spiegel“. Die Auswertung der umfangreichen Irak-Akten besorgte das Londoner Büro für Investigativen Journalismus, deren Chefredakteur Iain Overton in dem Film ebenso zu Wort kommt wie Wikileaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson, ein isländischer Journalist, und der Deutsche Daniel Domscheit-Berg, der Wikileaks im September 2010 im Streit mit Assange verließ.

Hier bleibt der Film ein bisschen dürftig: Der angeblich autoritäre Führungsstil von Assange wird ebenso wenig thematisiert wie die heikle Frage nach der Transparenz in einer Organisation, die wie keine andere grenzenlose Informationsfreiheit propagiert. Die Filmautoren erklären nur knapp, dass die weltweiten Wikileaks-Mitarbeiter „über eine geheime Mailingliste zusammenarbeiten“, und enthüllen selbst keine Interna. Verständlich angesichts der Drohungen, die konservative US-Politiker ausstoßen. Christian Whiton, in der Bush-Ära beim Außenministerium beschäftigt und heute ein Kommentator beim Sender Fox, sieht Assange als Terroristen und spricht von einem „politischen Krieg gegen uns“. Falls sich Assange mit seinen wechselnden Frisuren tarnen wollte: Diese Zeiten dürften endgültig vorbei sein. Thomas Gehringer

„Wikileaks – Rebellen im Netz“; Phoenix, Donnerstag, 21 Uhr

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