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Medien: Wider den Mief von 50 Jahren

Was nicht in der Zeitung steht, ist nicht passiert, hat nie stattgefunden. Denken die Journalisten.

Was nicht in der Zeitung steht, ist nicht passiert, hat nie stattgefunden. Denken die Journalisten.

Regierungen kommen und gehen, nur die Bürokratie bleibt immer bestehen. Glauben die Bürokraten und ihre Opfer.

In Wahrheit ist alles ganz anders. Die Verhältnisse ändern sich, und Regierungen wechseln ebenso wie die Damenmoden, und wenn es nicht das Kabarett gäbe, hätten wir das meiste schon vergessen! Was aber bleibt, haben die Kabarettisten aufgespießt!

Schon als Schüler hockten wir in den frühen sechziger Jahren am Silvesterabend, wenn die Eltern noch den Punsch anrührten, am Radio, um voller Schadenfreude auf Kosten der Mächtigen im Lande das Programm der Lach- & Schießgesellschaft zu hören: Ein Ensemble-Auftritt, aber am meisten imponierte der Pointen-Feuerwerker Dieter Hildebrandt.

Das waren Befreiungsschläge gegen den Mief einer spießigen Nachkriegsgesellschaft mit immer mehr restaurativen Tendenzen. Hildebrandts Abrechnungen mit alten Nazis, die sich unheimlich schnell wieder überall hin durchschlängeln konnten, seine Empörung über die Wiederbewaffnung, die so unfassbar glatt über die bundesdeutsche Bühne gehen konnte, sein makaberer Spott über die lachhaften, aber hochoffiziellen Bemühungen, einen drohenden Atomkrieg mit Zivilschutz-Vorkehrungen komfortabel zu überleben, sein Widerwille gegen autoritäres Gehabe, hierarchische Strukturen, militaristische Traditionen und volkstümelnde Ideologien – all das waren wahre Befreiungsschläge.

Dies alles hat das junge Publikum geprägt, hat kritisches Bewusstsein geschaffen, Beispiele für Zivilcourage gesetzt und übrigens auch Lust auf Politik gemacht, denn Hildebrandt hat ja nie eine snobistisch näselnde „Ohne-mich-Haltung“ propagiert und nie ein resignatives „Die-da-oben-machen-ja- doch-was-sie-wollen“ vertreten, sondern kenntnisreich zur Einmischung animiert, mit einem politischen Urteilsvermögen, das politische Parteien durchaus unterscheiden kann, solange sie es auch selber tun und Akteure unterschiedlich zu bewerten weiß, ohne sich je vereinnahmen zu lassen. Als später nicht nur das Kabarett, sondern ganze Studentenjahrgänge „außerparlamentarische Opposition“ machten, war es wiederum Dieter Hildebrandt, dessen Unabhängigkeit und Souveränität imponierte, denn er behielt seinen Witz und seinen Humor, als der Protest in blutleeren Dogmen zu erstarren drohte.

In den siebziger Jahren trugen Hildebrandts „Notizen aus der Provinz“ widerspenstigen Geist in alle guten Stuben der Nation und seit 1980 funktioniert er das Fernsehen mit seinem „Scheibenwischer“ zumindest zeitweise in eine kritische Anstalt um. Was anfangs nur in Schwabing zu besichtigen war – eine Kleinkunstbühne als Forum von Unterhaltung und Aufklärung – ist mittlerweile eine nationale Errungenschaft.

Obwohl uns Hildebrandt vor allem als Solist mit häufig tagesaktuellen und steten brillanten Solos gegenwärtig ist, muss er auch ein guter Partner sein: Als Co-Produzent von Samy Drechsel in der Frühphase der Lach & Schieß, als Duo-Partner von Werner Schneyder (von 1974 bis 1982), als Partner von Gerhard Polt und der Biermösl Blosn (unvergesslich: die gemeinsame Attacke auf die monströse Fehlplanung des Rhein-Main-Donau- Kanals) als Mitgesellschafter der Kumpane, die der Lach & Schieß eine Zukunft sichern wollen, als Familienmensch und Ehemann sowieso, aber auch als Entdecker von Nachwuchstalenten, die dem ersten Auftritt im „Scheibenwischer“ sehr viel zu verdanken haben.

Mit seiner Buch-Trilogie von „Was bleibt mir übrig?“ über „Denkzettel“ bis zum „Gedächtnis auf Rädern“ hat er seinem mittlerweile mehrere Generationen umfassenden Publikum das Wesentlichste noch einmal gebündelt zugänglich gemacht: Ein fabelhaftes Kontrastprogramm zum krebsgeschwürartig um sich greifenden Comedy-Schwachsinn, der kalauernd und Grimassen schneidend die besten Sendezeiten totschlägt.

Alter hin, Alter her: Dieter, du wirst noch gebraucht! Mit herzlichen kollegialen Grüßen,

Dein Christian Ude

Christian Ude ist Oberbürgermeister von München und steht selbst hin und wieder als Kabarettist auf einer Bühne in München Schwabing.

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