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Medien: Wie viel ist eine Rüge wert?

Der Presserat ist das Selbstkontrollorgan der Medien Seine Arbeit ist zu wenig transparent und effektiv, sagen Kritiker

Von Hardy Prothmann

und Ulrike Simon

Am Donnerstag erteilte der Deutsche Presserat, der Verein zur „freiwilligen publizistischen Selbstkontrolle“ der Medien, öffentliche Rügen. Zwei gingen an „Bild“. Die Zeitung hatte unter den Überschriften „Hier wohnt Deutschlands schlimmste Asyl-Familie“ und „Die Asylabzocker“ über eine 16-köpfige Asylbewerberfamilie berichtet und dabei die komplette Anschrift sowie ein Foto des Wohnhauses veröffentlicht. Eine weitere öffentliche Rüge erteilte der Presserat der Zeitschrift „Wirtschaftsforum“, weil sie ein Unternehmen nach Veröffentlichung eines Firmenporträts schriftlich zur Übernahme der Kosten für die Illustration des Textes aufgefordert hat. Die Fälle verstoßen eklatant gegen den Pressekodex, die „Richtlinien für die publizistische Arbeit“. Die betroffenen Blätter sind aufgefordert, die Rügen abzudrucken.

Hinter verschlossenen Türen

In anderen Ländern werden weitaus geringere Vergehen und auch Flüchtigkeitsfehler korrigiert. Bei der „New York Times“ soll die Spalte mit den Korrekturen zu den meist gelesenen Texten der Zeitung gehören. Auch der Schweizer Ringier-Verlag führte eine so genannte „Fairness“-Rubrik ein, als er nach einer umstrittenen Recherche in die Büßer- Ecke gestellt wurde. In Deutschland gehen die Medien mit Berichtigungen eher verschämt um. Doch den Kritikern des Presserats, zu denen auch der Leipziger Journalistikwissenschaftler Michael Haller zählt, geht es vor allem um eklatante Verstöße, etwa gegen die Trennung von Werbung und Redaktionellem, gegen die Pflicht zu gründlicher Recherche oder um die Annahme von Vorteilen. Zu viele Vergehen bleiben vom Presserat, der vor allem auf die Eingaben von Privatpersonen angewiesen ist, unentdeckt, monieren die Kritiker und nennen den Presserat einen „zahnlosen Papiertiger“.

Und sie formieren sich. Zum einen hat sich gerade der Verein „Initiative zur Förderung der publizistischen Selbstkontrolle“ gegründet. Der Vorsitzende ist Horst Pöttker, Journalistik-Professor in Dortmund. Er fordert von den Medien mehr Transparenz und Selbstkritik. So soll der Presserat seine Entscheidungsfindung öffentlich machen, sagt er. Tatsächlich tagt das Gremium hinter verschlossenen Türen. Das würde zu Fensterreden der Beteiligten führen, widerspricht Manfred Protze, Vorsitzender der Deutschen Journalisten-Union und Mitglied des Presserats.

Auch das „Netzwerk Recherche“ positioniert sich gegen den Presserat. Kürzlich legte die Journalistenvereinigung ein Thesenpapier zur „Neugestaltung des Pressekodex“ vor. Demnach soll er um Ethik- und Qualitätsregeln erweitert und in einen Journalismuskodex umgewandelt werden, der Leitbild für alle Medien sein soll, also nicht nur für die Presse, sondern auch für die Sender. Über die elektronischen Medien wachen bisher mit den Rundfunkgremien von ARD und ZDF sowie den Landesmedienanstalten getrennte Institutionen. Ein gemeinsamer Journalismusrat sollte sich Wissenschaftlern und verbandsunabhängigen Mitgliedern öffnen, findet Thomas Leif, Vorsitzender des Netzwerks Recherche und Chefreporter des Südwestrundfunks. Für ihn ist der heutige Presserat „eine geschlossene Veranstaltung, in der Interessenlobbyisten über sich selbst richten und möglichst keine Unruhe ins System bringen wollen. Hier werden Verstöße der Medien und daraus resultierende reale Konflikte juristisch kleingehakt.“

In der Praxis sieht die Bilanz so aus: Zwar stieg von 1997 bis 2002 die Zahl der „Eingaben“ von 482 auf 701 pro Jahr. Und auch die daraus resultierenden Beschwerden stiegen im selben Zeitraum von 182 auf 254, was prozentual jeweils eine Zunahme um rund 40 Prozent bedeutet. Interessant sind die häufigsten Gründe der Beanstandungen: Über 232 betrafen im Jahr 2002 den Wahrheitsgehalt von Informationen, 192 die Privatsphäre, Ehrverletzungen und Diskriminierungen. Nur 35 Mal wurde das Trennungsgebot von redaktionellen Inhalten und Werbung angemahnt, kein einziges Mal aber die Annahme von Vorteilen oder die Bestechung zur Verbreitung oder Unterdrückung von Nachrichten. Weiter schreibt der Pressekodex vor, Falschmeldungen seien richtig zu stellen und von der Redaktion unbearbeitet veröffentlichte Pressemitteilungen kenntlich zu machen. Beides findet kaum statt.

Eine Großaufgabe

Die Kritik nehme man ernst, sagte Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns. In den Sitzungen am Dienstag und Mittwoch hätten die Mitglieder vereinbart, mit den Landesmedienanstalten, Rundfunkgremien und Kritikern Gespräche vorzubereiten. Insgesamt sei das jedoch „eine Großaufgabe, die nur schwer zu lösen ist“. Die neue Sprecherin des Presserats, Ilka Desgranges von der „Saarbrücker Zeitung“, begrüßte Anregungen, die ethischen Grundsätze für journalistische Arbeit für alle Medien gleich zu gestalten. Zugleich bezeichnete sie die bisherige Arbeit des Presserats als erfolgreich und den Kodex als „eine ethische Basis, um den ihn viele beneiden“.

Weitere Informationen unter www.netzwerkrecherche.de

www.presserat.de

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