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Drama, Drama. Die Einführung der Massenstarts, Verfolgungsrennen und Mixed-Staffeln im Biathlon wurde auch auf Druck der Medien durchgesetzt. Foto: dpa

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Wintersport im TV: Unter der Spidercam

Der Hype um den Wintersport Biathlon ist auch ein Erfolg der Medien. Doch müssen sie und die Werbekunden mit einem großen Risiko leben: dem Athleten.

Es ist leise im Stadion. Die Biathletin liegt auf einer Matte, versucht ihren Puls zu beruhigen und zielt auf eine 50 Meter entfernte Scheibe. Dann klickt der Abzug. Ein lautes „Hey“ der Zuschauer begleitet den Schuss und den nächsten und den übernächsten. Nach fünf „Heys“ setzt ein lauter Jubel ein, die Schützin springt auf, läuft im Skating-Schritt aus dem Stadion und ist verschwunden. So kennen die Fans im Stadion den Biathlonsport. Die Zuschauer vor den Fernsehgeräten hingegen sehen durch das Splitscreenverfahren nicht nur die Athletin in Nahaufnahme, sondern gleichzeitig die Zielscheibe, können durch Zeitlupenwiederholungen genau verfolgen, wie knapp das Ziel getroffen wurde und begleiten die Sportler über etliche Kameras auch außerhalb des Stadions. Für diese Inszenierung ist ein großer Aufwand notwendig. So auch dieser Tage in Ruhpolding, dort findet die Weltmeisterschaft im Biathlon statt, der in Deutschland wohl populärsten Wintersportart.

Dafür haben ARD und ZDF ein Großaufgebot an Personal, Technik und Sendezeit bereitgestellt. Die 45. Weltmeisterschaften im Biathlon bezeichnen die Sender als „Höhepunkt der diesjährigen Wintersportsaison“, mit täglicher Live-Berichterstattung bis zu acht Stunden. Erwartet wird eine Reichweite, die den Spitzenwert der Biathlon-Saison – knapp 30 Millionen Zuschauer beim Weltcup in Oberhof – übersteigt.

Davon profitieren auch die WM-Sponsoren. „Wir erwarten, dass Deutschland als Gastgeberland neue Rekorde aufstellt“, sagt Bruno Marty von Infront Sports & Media, dem Vermarktungspartner des Biathlon-Weltverbandes IBU. „Noch dazu bestreitet mit Magdalena Neuner die Sportlerin des Jahres 2011 ihren letzten Profiwettkampf. Die öffentliche Aufmerksamkeit von Medien und Fans ist außerordentlich hoch.“ Um diesem Interesse gerecht zu werden, sind ARD und ZDF mit 39 Kameras und bis zu 30 Kilometer Kabel im Stadion und an der Strecke unterwegs. Eine Neuerung wird der Einsatz der sogenannten „Spidercam“ sein. Diese an vier Masten befestigte Kamera soll Eindrücke aus der fliegenden Perspektive liefern und wird sonst nur beim Fußball verwendet.

Das zeigt, wie groß die Popularität des Biathlons mittlerweile ist. Das „ist sukzessiv mit den enormen Erfolgen der vergangenen zehn Jahre gewachsen“, sagt Jens-Uwe Nieland von der Sporthochschule Köln. „Biathlon ist damit ein Paradebeispiel für die Sportarten, die besonders unter dem Einfluss der Medien stehen.“ Der Experte beschreibt den Schulterschluss zwischen Sportlern und Medien, von dem beide Seiten profitieren. Die Athleten und Verbände können sich präsentieren, wodurch sie sich für Sponsoren interessant machen und finanziell absichern. Für die Medien springen höhere Einschaltquoten heraus, weil sie über attraktive Inhalte berichten. Dieses symbiotische Verhältnis hat seinen Ursprung in der Inszenierung der Tour de France im Jahr 1903 durch die Sportzeitung „L’Auto“, die sich das Thema ihrer Berichterstattung quasi selbst schuf.

„Sportarten, die ihren Erfolg präsentieren wollen, um bekannter zu werden, müssen sich aber auch auf die Medienlogik einlassen“, sagt Nieland. Das trifft auch auf den Biathlonsport zu. Die Einführung der Massenstarts, Verfolgungsrennen und Mixed-Staffeln wurde auch auf Druck der Medien durchgesetzt. Die Arenen werden medienfreundlich konstruiert, so dass man von der Tribüne nicht nur die Schießanlage, sondern auch Anstiege dahinter durch Glaswände beobachten kann. So lockt die für 16 Millionen Euro renovierte Chiemgau-Arena in Ruhpolding 30 000 Zuschauer zu den Rennen – modernste Arbeitsbedingungen für Journalisten. Hohe Investitionen, die ein gewisses Risiko mit sich bringen.

Das größte Risiko ist – der Athlet. Bleibt der Erfolg aus, sinken die Zuschauerquoten und damit die Attraktivität für die werbenden Unternehmen. Für die Medien sei der Abschied von Magdalena Neuner eine „mittlere Katastrophe“, sagt Nieland. Es drohe ein ähnliches Szenario wie beim Skispringen, das nach Sven Hannawalds Karriereende in eine Art deutsche Sinn-Krise rutschte und dem damaligen TV-Rechteinhaber RTL Verluste bescherte. Bei den umjubelten Sportlern Hannawald und Neuner stellt sich daher die Frage, ob es die Medien mit ihrem Eingreifen in die Sportarten nicht übertreiben. Bei Magdalena Neuner sieht das Nieland durchaus positiv: „Durch ihre Entscheidung zeigt sie, dass die Sportler dem zunehmenden Einfluss der Medien doch etwas entgegenzusetzen haben. Nämlich ihre eigenen Entscheidungen.“

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