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Medien: „Wir schöpfen alle aus dem Leeren“

Christoph Maria Herbst über den Grimme-Preis für seine Comedy „Stromberg“, Selbstzweifel und den deutschen Humor nach Loriot

Herr Herbst, Sie haben gerade den Grimme-Preis für die Serie „Stromberg“ bekommen, in der Sie als fieser Bürochef Bernd Stromberg zu sehen sind. Hatten Sie nicht zuerst Angst vor dem Risiko, eine so negative Figur zu spielen?

Nein, eher war ich mir unsicher, ob ich ein Frontschwein werden soll. Ich arbeitete ja vor allem mit Anke Engelke, war ihr Trittbrettfahrer sozusagen. Wenn „Ladykracher“ untergegangen wäre, dann wäre das Ankes Flop gewesen, nicht meiner. Bei „Stromberg“ dachte ich: Eine Serie in Deutschland ist schwierig. Wenn’s funktioniert, kriegt man den Professor Brinkmann-Stempel. Wenn’s nicht funktioniert, ist man bloß der Gefloppte aus dieser Serie.

Kannten Sie eigentlich vor „Stromberg“ „The Office“, die britische Sitcom, die ähnlich funktioniert?

Nee. Wir fingen an, „Stromberg“ zu drehen, und in Drehwoche vier oder fünf drückte mir der Kollege Oliver Wnuk, der sich sehr gut auskennt auf dem Comedy-Markt, diese DVD in die Hand und sagte: „Guck mal hier.“ Und auf dem Cover sah ich einen vollschlanken Herrn auf so einem Stuhl sitzen, mit diesem Klobrillen-Bart …

… den Sie als Bernd Stromberg auch tragen …

Ja! Ich hab diese eine Folge nicht mal zu Ende geguckt, habe die DVD in eine Tüte getan und Olli zurückgegeben. Ich sah sofort die künstlerische Verwandtschaft zu „Stromberg“ und wollte mich für meine Arbeit an der Rolle nicht befangen machen lassen.

Jetzt untertreiben Sie aber! Die Gemeinsamkeiten sind so groß, dass die BBC mit einer Urheberrechtsklage drohte. Seit der zweiten Staffel ist deshalb im Abspann zu lesen: „Stromberg – Inspired by the UK BBC series ,The Office‘ created by Ricky Gervais and Stephen Merchant“. Sie müssen sich doch erschrocken haben, als Sie zum ersten Mal die Ähnlichkeit der Serien sahen …

… deshalb habe ich ja direkt ausgemacht. Ich wollte mir um Gottes willen nicht abgucken, wie der brillante Gervais …

… der den Bürochef von „The Office“ spielt …

… in England tut, was ich hier mache. Der auch noch Autor ist, und Mitregisseur. Wenn ich schon seit Jahren Ricky-Gervais-Fan gewesen wäre, und dann wäre Brainpool, die Produktionsfirma, angekommen und hätte gesagt, „So, das wollen wir machen, und dir Christoph, dir bieten wir den Ricky Gervais an“ – dann hätte ich’s, glaube ich, gelassen. Von daher bin ich gottfroh, dass ich so uninformiert war.

Sie bezeichnen sich in Interviews als Selbstzweifler, der denkt „Ich krieg das nicht hin, die sind alle so gut um mich herum“. Wann sind Sie von sich selbst überzeugt?

Wenn ich hinterher sehe, dass funktioniert, was ich getan habe. Mein in Ehrfurcht getränkter Respekt vor Anke Engelke, das war schlimm. Bei „Ladykracher“, 2001 war das, hatte ich den ersten Drehtag mit Anke. Es war direkt eine fünf-DIN-A4-seitige zwei Personen-Geschichte. Ich habe zu meiner Freundin gesagt: „Die Anke bläst mich von der Platte.“ Dann stellte ich während der Dreharbeiten fest: „Hoh! Diese Frau Engelke, die ist ja genauso aufgeregt. Die hat da auch einen Hänger gehabt, einen trockenen Mund, genau wie ich!“ Wir schöpfen alle nicht aus dem Vollen, sondern eigentlich aus dem Leeren, und versuchen gemeinsam etwas entstehen zu lassen. Das ist ein sehr schöner Vorgang.

Wie sieht der typische „Stromberg“-Zuschauer aus?

Es ist ein überdurchschnittlich intelligenter, eher männlicher Zuschauer, der Oberstufenschüler, der Harald-Schmidt- Gucker. Menschen, die in der Lage sind, einen Hauptsatz und einen Nebensatz zu formulieren und fehlerfrei auszusprechen. Die „Stromberg“-Hasser sagen: „Watt soll datt denn? So ist mein Alltag im Büro auch. Guck ich mir abends nicht mehr an.“ Ich weiß von Leuten, die regelrechte „Stromberg“-Abende machen. Die setzen sich zu mehreren in den Party-Keller oder ins Wohnzimmer, schauen drei, vier Folgen und reden den ganzen Abend in dieser Stromberg’schen Attitüde. Wie geil ist das denn?!

Sprechen Sie selbst manchmal „Stromberg“-Deutsch?

Ich setze das bewusst ein. Etwa: „Da muss der Papa aber jetzt mal überlegen.“ Oder: „Man soll den Arsch nicht höher heben, als man scheißen kann“, oder: „Der Teufel ist ein Eichhörnchen, und als Chef musst du das Eichhörnchen sein: Das immer noch ein paar Extranüsse versteckt hat, damit die anderen Eichhörnchen die nicht finden. Damit du, damit die …“ Das ist ein klassischer Stromberg. Das ist die Art, wie er sich selbst um Kopf und Kragen redet, Redewendungen, ganze Passagen nicht zu Ende kriegt, weil das Mundwerk zu schnell ist.

Sie mögen den Bernd Stromberg schon?

Man kann ihn ja nicht packen, er ist der Pudding, den du versuchst an die Wand zu nageln. Niemand würde auf die Idee kommen zu sagen, der ist DVU-Wähler. Ich glaube, Stromberg ist FDP-Wähler. Der ist nicht an und für sich ein Schwein, deshalb ist er eine Shakespeare’sche Figur und kein Rosamunde-Pilcher-Charakter.

Sie haben nicht Schauspieler, sondern Bankkaufmann gelernt. Wer wäre bei der deutschen Bank weiter gekommen, Christoph Maria Herbst oder Bernd Stromberg?

Christoph Maria Herbst hätte irgendwann den Stromberg raushängen lassen müssen. Darüber wäre ich organisch krank geworden. Ich hätte mir meinen Schneid, meine Wut dem ganzen System gegenüber ja abkaufen lassen müssen.

Sie haben den wunderbaren Begriff des „Fremdschämens“ geprägt.

Das habe ich mal über das Funktionieren von „Stromberg“ gesagt. Es folgt letztlich dem aristotelischen Begriff des Theaters: Wir lassen an unserer Stelle Leute leiden und lieben. Deshalb funktionieren so Sachen wie „Traumschiff“. Ich lasse Schauspieler, die ich kenne, für mich die Karibikreise machen, weil ich mir diese Reise nicht leisten kann. Das Fremdschämen meint, dass ich Figuren in einer Situation sehe, die ich nie erleben möchte.

Loriot hat sich gerade ein weiteres Mal, wohl endgültig, vom Fernsehen zurückgezogen. Er sagte: „Meine Komik ist für dieses Fernsehen nicht mehr zu gebrauchen. Das Fernsehen ist zu schnell.“

Als ich das las, habe ich mich ertappt, vor mich hinzumurmeln: „Nein, Herr von Bülow, das stimmt so nicht ganz.“ Wenn Sie mich jetzt fragen, wen ich in Deutschland verehre, dann hätte ich den Loriot genannt. Loriot durchzieht mein Leben. Wenn es mir schlecht geht, schaffen Loriot-Filme es sofort, mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Mit Freunden kann ich stundenlang nur in Loriot-Zitaten reden.

Was mögen Sie an ihm?

Loriot lässt die agierenden Figuren, wenn es zwei sind, in einer einzigen Kamera-Einstellung. Er macht mich und dich damit zu einem mündigen Zuschauer. Weil man wie im Theater selbst entscheiden kann, wo gucke ich jetzt hin, zur Evelyn Hamann oder zum Vico. Loriot sagt über seinen Humor, dass der sich aus dem sezierenden Beobachten des menschlichen Miteinanders speist. Da kann ich nur sagen: Willkommen bei „Stromberg“!

Wenn jede Zeit ihren Humor hat, leben wir dann in Stromberg’schen Humorzeiten?

Dafür fehlt die Massenkompatibilität. Wir leben in einer „Alles Atze“-Gesellschaft. Oder in einer „Ritas Welt“-Gesellschaft. Dabei trinkt sich’s leichter ein Bierchen oder sogar vier. Bei „Stromberg“ würde man so nicht viel mitkriegen. Da gibt es erst nachher ein Bier.

Das Interview führten Joachim Huber und Jeannette Krauth.

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