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Medien: „Wir sind nicht im Krieg, wir sind im Wahlkampf“

„Spiegel“-Chef Stefan Aust verspricht: „Solange die mich nicht rausschmeißen, ist die Redaktion unabhängig.“ Ein Gespräch über Journalismus und Macht

„Wohl nie zuvor ist die Unsicherheit über die strategische Ausrichtung des Unternehmens so groß gewesen.“ Von wem ist die Rede, Herr Aust?

Ich nehme an, dass Sie den „Spiegel“ meinen. Von der Sache her sehe ich das gar nicht so.

Das steht im „Spiegel“ über Bertelsmann.

Ach so.

Für den „Spiegel“ gilt der Satz nicht?

Nein. Wenn es, wie bei uns mit Mario Frank, einen neuen Verlagsgeschäftsführer gibt, stellt sich immer die Frage: Wohin will er? Das wird sich bei uns bald herausstellen. Ich bin für eine gute Zusammenarbeit offen. Es ist ja beim „Spiegel“ nicht nur der Geschäftsführer, der bestimmt, wie das Unternehmen in die Zukunft geht. Da gibt es auch noch die Redaktion, und die ist nicht von Weisungen des Verlages abhängig. Redaktion und Verlag sind sauber getrennt, so steht es in unserer Satzung, das ist unsere Tradition, und so hat Rudolf Augstein das auch gesehen.

Es gibt beim „Spiegel“ eine Dreiteilung der Macht: 50,5 Prozent des Verlags gehören der Mitarbeiter KG, 25,5 Prozent Gruner + Jahr, der Rest Augsteins Erben. Ist das eine Struktur für eine einheitliche Strategie?

Ich weiß nicht, ob Sie sich Ihre Gesellschafter aussuchen können. Man kann nur insofern wählen, als dass man dorthin geht, wo einem die Struktur behagt. Ich bin von Rudolf Augstein vor zwölf Jahren zum „Spiegel“ geholt worden. Ich habe gewusst, wohin ich gehe, und ich wusste auch, wie sich die Gesellschafterstruktur nach seinem Tod verändern würde; dass die Erben ein Prozent abgeben müssen, wodurch Gruner + Jahr und die Mitarbeiter KG zusammen immer die Mehrheit haben. Ich finde das keine schlechte Lösung.

Aber?

Aber es kommt darauf an, wie Leute mit der ihnen verliehenen Macht umgehen. Ob sie verantwortungsvoll im Sinne des „Spiegel“ handeln oder ob sie nur ihre eigenen persönlichen Interessen oder die als Gesellschafter im Auge haben. Ich kann nur hoffen, dass unsere Gesellschafter vor allem im Interesse des Gesamtunternehmens handeln. Aber das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Die Schlagzeilen aus Ihrem Haus sprechen eine andere Sprache. Von einer „Schlacht“ ist die Rede, die „FAZ“ sieht bereits „Stahlgewitter“ aufziehen.

Also, beim „Stahlgewitter“ habe ich mich echt gefragt, was die damit meinen. Wir sind hier nicht im Ersten Weltkrieg, auch nicht im Zweiten Weltkrieg.

In welchem Krieg sind Sie denn?

Wir sind überhaupt nicht im Krieg. Wir sind im Wahlkampf um die Geschäftsführung der Mitarbeiter KG. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Mitarbeiter sind bei uns der größte Gesellschafter. So etwas gibt es in diesem Lande wohl kein zweites Mal. Die Frage, wie die Spitze der KG neu besetzt wird, ist für die Zukunft des „Spiegel“ von außerordentlich großer Bedeutung.

Ist der Einfluss der KG zu groß?

Die Mitarbeiter KG hat schon in der Ära Augstein eine wesentliche Rolle gespielt, aber keine so große Rolle wie jetzt. Es ist damals so gewesen, dass alle wesentlichen Entscheidungen, wie die Besetzung des Chefredakteurpostens und des Geschäftsführers, von Augstein geprägt waren. Die KG konnte das ablehnen, in meinem Falle hat sie das damals sogar ganz massiv versucht. Aber am Ende hat sich Augstein durchgesetzt. Karl Dietrich Seikel war der letzte von ihm eingesetzte Geschäftsführer und ich bin der letzte von ihm eingesetzte Chefredakteur.

Augstein lebt nicht mehr, und Seikel wurde gerade abgelöst.

Vor allem die Mitarbeiter KG hat es für richtig gehalten, Herrn Seikel vor Ablauf seiner regulären Vertragslaufzeit durch einen neuen Mann zu ersetzen, Seikel, der außerordentliche Verdienste um das Unternehmen hat. Wenn ich anfangen würde, die alle aufzuzählen, würde das den Rahmen dieses Interviews sprengen. Die Mitarbeiter KG war die treibende Kraft hinter seiner Abberufung und der Neuberufung seines Nachfolgers. Das ist ja kein Geheimnis. Sie wird auch eine entscheidende Rolle spielen, wenn es um meine Vertragsdauer geht – und um die Frage, wer mein Nachfolger wird. Die Gesellschafter sind schließlich die Eigentümer des Unternehmens.

Welche Folgen wird der Ausgang der Wahl für Ihre persönliche Zukunft haben, Herr Aust?

Für meine persönliche Zukunft gar keine. Was meine Tätigkeit beim „Spiegel“ angeht, wird das Wahlergebnis sicher eine gewisse Rolle spielen. Wenn ich statt 2010 schon Ende 2008 gehen soll, müssen die Gesellschafter meinen Vertrag bis Ende 2007 kündigen. Wenn die neu gewählte Mitarbeiter KG das will, muss sie nur Gruner + Jahr überzeugen, und dann können sie meinen Vertrag kündigen. Aber das können die Gesellschafter ohnehin jederzeit.

Es wird gemunkelt, Sie kündigen, wenn die alte KG-Führung wiedergewählt wird.

Nein. Ich habe alle meine Arbeitsverträge immer erfüllt, bis zum letzten Tag. Ich habe nicht die Absicht zu kündigen. Ich habe den besten Job, der im deutschen Journalismus zu vergeben ist.

Auch jetzt noch?

Auch jetzt noch. Die Stellung des Chefredakteurs war immer so, dass er nicht einmal Weisungen der Gesellschafter entgegennehmen muss. Man kann ihn nur feuern. Solange das nicht geschieht, ist er souverän in seinen Entscheidungen. So hat es sogar Rudolf Augstein gehandhabt. Er hat immer seine Meinung gesagt, aber am Ende hat er uns machen lassen. Wenn nun, fünf Jahre nach seinem Tod, die wichtigsten Entscheidungen plötzlich vom Verlag und/oder den Gesellschaftern getroffen würden, wäre es dringend notwendig, alle Beteiligten daran zu erinnern, wie die Verhältnisse laut Satzung sein sollten. Aber ich sehe die Gefahr nicht akut auf uns zukommen.

Und wenn sie doch kommt?

Das kennt man ja: Verlage versuchen, aus der begründeten Absicht der Gewinnmaximierung heraus, ihre Interessen gegenüber der Redaktion durchzusetzen. Gerade in einer Zeit, in der der Geschäftsführer ausgetauscht worden ist, was nicht für alle nachvollziehbar war, ist es wichtig, dass eine Redaktion sagt, wo die Grenzen sind. Ich verstehe mich als Vertreter der Redaktion. Solange die Gesellschafter mich nicht rausschmeißen, ist die Redaktion unabhängig.

Haben Sie an Einfluss verloren, seitdem Augstein tot ist?

Das glaube ich nicht. Aber natürlich ist es etwas anderes, wenn der Herausgeber und Gründer, der berühmteste Journalist der Republik, eine Legende schon zu Lebzeiten, wenn der hinter einem steht. Wenn ich unpopuläre Entscheidungen treffen musste, konnte ich sagen: Ich habe mit Augstein geredet. Da konnte sich niemand hinterrücks gegen mich verbünden. Heute stehe ich alleine da.

Kommen Sie bei all der Verlagspolitik eigentlich noch zum Arbeiten?

Allerdings. Mein Job ist der des Chefredakteurs. Damit verbringe ich die meiste Zeit. Außerdem gibt es heute Computer, Internet und Handy. Selbst wenn ich auf Reisen bin, entscheide ich über Titelgeschichten, Titelbilder, Titelzeilen. Auch meine schärfsten Kritiker sagen nicht, dass ich zu wenig arbeite.

Das sagen wir auch nicht. Der Eindruck von außen ist nur, dass Sie permanent mit dem Feuerlöscher durchs Haus rennen.

Nun wollen wir mal nicht übertreiben. Aber Schwelbrände können ja auch gefährlich sein. Und brandgefährlich wird es natürlich, wenn jemand im Wahlkampf um die Geschäftsführung der Mitarbeiter KG das Unternehmen mit erfundenen Behauptungen leichtfertig oder vorsätzlich schädigt, um daraus einen Vorteil beim Kampf um die Macht zu ziehen. Aber ich gehe davon aus, dass die Mitarbeiter des „Spiegel“ klug und verantwortungsbewusst genug sind, um das zu merken. Auch was im Hause gesprochen wird, findet ja regelmäßig den Weg nach draußen. Der „Spiegel“ ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Ganz ehrlich: Es ist auch nicht so schlimm. Wir erwarten ja auch, dass uns die Leute was erzählen.

In Ihrem Käse ist ein Loch, durch das wir noch nicht ganz durchschauen können. „Momo“, das geplante Kulturmagazin …

… war nicht meine Idee.

Wissen wir. Außer „Momo“ gab es noch Pläne zu einem Wissensmagazin …

… auch nicht meine Idee.

Wissen wir ebenfalls. Wir haben nur allmählich den Eindruck, dass in Ihrem Verlag eine Idee nach der anderen stirbt.

Das sehe ich ganz anders. Die Ausbreitung des „Spiegel“ in den Fernsehbereich mit „Spiegel TV“ und ins Internet mit Spiegel Online ist außerordentlich erfolgreich. Hier gibt es viele neue Chancen. Das monothematische „Spiegel Special“ macht am Kiosk regelmäßig mehr Umsatz als ein normales „Focus“-Heft. Aber generell sind Print-Produkte aus dem eigenen Hause auch immer eine Gefahr. Der „Spiegel“ ist ein Magazin, das sich mit vielen Themen beschäftigt, sozusagen ein Gesamtkunstwerk. Wenn unter seinem Dach weitere Hefte entstehen, haben die einen großen Vorteil und einen großen Nachteil. Der Vorteil besteht darin, dass ein Magazin, auf dem „Spiegel“ steht, sehr schnell auf dem Ladentisch neben dem „Spiegel“ liegt. Der Nachteil ist, dass die Käufer nicht immer dazu neigen, beide Titel zu kaufen. Das merken wir schon daran, dass das am schlechtesten verkaufte Heft des Jahres regelmäßig das ist, das an der Kasse neben unserem Jahresrückblick liegt. Aber ich bin nicht generell gegen neue Print-Produkte. Die Frage ist nur, welche.

„Momo“, das der „Tempo“-Gründer Markus Peichl für Sie konzipiert hat, war mehr als eine neue Print-Idee. Der Heft-Dummy war fertig, und die Reaktionen waren, wie man hört, äußerst positiv.

Jeder weiß, dass ich dem Projekt gegenüber sehr skeptisch war, das hat sich nicht geändert, als ich es gesehen habe. Wenn Sie sich fragen, warum so viele neue Hefte auf den Markt kommen, sage ich Ihnen, das läuft nach dem Motto Ulrike Meinhofs. Bei „Konkret“, bevor sie Terroristin wurde, hat sie immer gesagt: „Zeitschriften sind Unternehmungen, die Anzeigenraum produzieren als Ware, die durch den redaktionellen Inhalt absetzbar sind.“ Eine zynische, aber zutreffende Denkweise von Verlagen. Viele dieser Luxusmagazine kommen doch nur auf den Markt, weil die werbetreibende Wirtschaft sagt: „Macht doch mal was, wo wir Gucci und Co. bewerben können.“ Wenn Sie sich dann die Auflagen angucken, kommen Ihnen die Tränen. Von mir kann keiner erwarten, dass ich den Verlag dabei unterstütze, ein Objekt auf den Markt zu werfen, das Millionenbeträge vernichtet und zusätzlich noch unsere Auflage reduziert. Dennoch gibt es natürlich auch für Print neue Möglichkeiten. Wir haben zum Beispiel erstaunlich gute Erfahrungen mit den englischen Ausgaben von „Spiegel Special“ gemacht. Man muss neue Märkte erschließen und sich nicht den eigenen Markt kaputt machen.

Wann verkauft sich Ihr Heft am besten?

Wenn in der Welt etwas passiert, kaufen mehr Leute den „Spiegel“. Wir machen so viele politische Titel wie möglich, weil die sich ohnehin am besten verkaufen. Aber wir können uns keine Geschichten ausdenken. Vor dem Ausbruch des Irakkrieges 2003 haben wir 19 Titel darüber gemacht. Und heute? Sie können nicht jede Woche Gesundheitsreform machen. In solchen Zeiten denken wir vermehrt über Geschichte nach, Wirtschaft, Wissenschaft, Archäologie, Psychologie. Sex ganz selten. Der verkauft sich nicht so gut, wie alle Leute immer annehmen.

Ist nicht genau das die Kritik: Dass der „Spiegel“ unter Stefan Aust immer unpolitischer geworden ist?

Der „Spiegel“ ist nie ein reines Nachrichtenmagazin gewesen. Wenn wir das wären, hätten wir eine halb so hohe Auflage. Sie haben heute viel schnellere Wege, um an Nachrichten zu kommen. Die Tageszeitungen haben darauf reagiert, mit der berühmten Seite Drei überall. Damit macht Ihr uns vermehrt Konkurrenz. Das hat dazu geführt, dass wir aufgerüstet haben: was unsere Reporter und was die Länge der Geschichten angeht. Unpolitisch?! Ich liebe diese Frage. Ich habe mir mal die leichtesten Titel aus der Zeit des berühmten Erich Böhme raussuchen lassen. Sie würden sich totlachen! „Der Bräunungswahn“, „Uri Geller, der Gabelbieger“, „Die Wahrsagerin aus dem Kreml“, „Sieg über die Impotenz“, Astrologie, Yoga, Geistheiler und so weiter. Das sollte ich mal tun.

Aber wieso ist der Eindruck eines „Spiegel light“ so verbreitet?

Weil der eine es schreibt, und der Nächste schreibt es ab. Die Vergangenheit wird gerne verklärt. Jeder denkt bei uns an Flick, Barschel und die Neue Heimat. Und ich sage Ihnen, zwischendurch hatten meine Vorgänger auch so manche Mühen der Ebene zu bewältigen.

Hat sich Ihre Themenwahl durch „Spiegel Online“ verändert?

Wenn wir am Dienstag oder Mittwoch eine Information exklusiv haben, ist die Gefahr zu groß, dass der Tagesspiegel, andere Zeitungen oder das Fernsehen vor dem nächsten Montag auch darauf kommen. Deswegen haben wir gesagt: Wir machen eine Zeitung fürs Internet: Alles, was wir nicht lange genug halten können, setzen wir auf „Spiegel Online“.

Sie sitzen an einem Drehbuch über die „Rote Armee Fraktion“. Die Vorlage ist Ihr eigener Bestseller. Wann kommt der Film?

Ich habe auf der Basis meines Buches „Der Baader-Meinhof-Komplex“ eine rohe Szenenfolge geschrieben. Die entspricht zurzeit der Länge von drei, vier Kinofilmen. Der Produzent Bernd Eichinger und der Regisseur Uli Edel sitzen daran, daraus ein Drehbuch zu schnitzen, das man verfilmen kann. Mitte des Jahres sollen die Dreharbeiten anfangen.

Sollte der Bundespräsident den RAF-Terroristen Christian Klar begnadigen?

Kommt darauf an, ob Christian Klar zu erkennen gibt, dass das, was die damals veranstaltet haben, falsch war. Man kann ein gewisses Maß an Selbstkritik erwarten. Eine Begnadigung ohne einen Akt der Reue ist sicherlich schwierig, aber nicht ausgeschlossen. Generell bin ich der Meinung, dass der 30. Jahrestag der Entführung und Ermordung Hanns-Martin Schleyers in diesem Jahr auch ein geeigneter Zeitpunkt wäre, um dieses Kapitel deutscher Geschichte friedlich abzuschließen.

Das Gespräch führten Joachim Huber und Marc Felix Serrao

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