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"Wired" drückt Reset-Knopf: Mein Chef, ein Roboter

„Wired Deutschland“ geht an den Neustart: Mit Magazin, Website, Events – und zum Kampfpreis. Online ist das Smartphone das Maß aller Dinge.

„Generation Y not“, „Menschen first statt Mobile first“, „Marke statt Magazin“: Ein bisschen Bullshit-Bingo hätte sich bei der Präsentation von „Wired Deutschland“ schon spielen lassen angesichts der bemühten Redewendungen, die den Zuhörern bei der Pressekonferenz um die Ohren flogen. Davon sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen. Was der Verlag Condé Nast mit „Wired“ plant, ist vielleicht der durchdachteste Marken-Launch der vergangenen Jahre. Das Technik- und Wissenschaftsmagazin (wobei: Ist das überhaupt „nur“ noch ein Magazin?) will ab kommendem Dienstag „Kompass in einer sich immer schneller drehenden Welt“ sein. Ein Team von 19 Leuten stemmt Heft und Website, als Chefredakteur wurde niemand Geringeres als Nikolaus Röttger (Erfinder von „Business Punk“) verpflichtet.

Röttger ist der dritte „Wired“-Chefredakteur innerhalb von zwei Jahren, sein Vorgänger Alexander von Streit kocht mit „Krautreporter“ mittlerweile bekanntlich sein eigenes Digital-Süppchen. Trotzdem fristete „Wired“, in den USA 1993 gegründet und von Condé Nast fünf Jahre später gekauft, auf dem deutschen Markt bislang ein Mauerblümchendasein als Beilage des Männermagazins „GQ“. Damit soll jetzt Schluss sein; „Wired“ traut sich jetzt auch solo an die Kioske und als deutsche Plattform ins Internet. Der Zeitpunkt ist durchaus klug gewählt. Fast alle bisher etablierten Technik-, Computer- und Wissenschaftszeitschriften verlieren an Auflage – und an Qualität. Ihre „Aufmacher“, wie beispielsweise die von „PM“, sind teilweise nur noch zwei Seiten lang.

Was „Wired“ vorhat, ist nicht etwa die Verzahnung von Online und Print, wie sie von so vielen Verlagshäusern betrieben wird. Sondern die gleichberechtigte Existenz nebeneinander. „Wired“-Leser können sich künftig entscheiden: Kaufen Sie sich das 140 Seiten starke Magazin – zum eindeutigen Kampfpreis von 4 Euro 50 – einmal monatlich beim Zeitschriftenhändler? Oder werden sie gleich „Wired +“-Mitglied, das zusätzlich zum Heft alle Artikel auch online bekommt? Inklusive Videos und Bilderstrecken selbstverständlich. „Wired+“ hat den selben Preis wie das Magazin: Ein Jahresabo (das zehn Ausgaben umfasst) kostet 45 Euro.

"Wired"-Member können Inhalte via Social Media verschenken

Condé Nast hat sich erst gar nicht die Mühe gemacht, zu überlegen, ob der Online-Auftritt auf einem Desktop-PC sexy aussehen würde. Die Website wurde speziell für Smartphones programmiert, denn „was auf dem Smartphone funktioniert, funktioniert auch auf PC und Tablet“. Kleines Gimmick: „Wired“-Member können Online-Artikel auch via Social Media an ihre Freunde oder Follower „verschenken“. Auch Nicht-Mitglieder können den Artikel dann gratis lesen. Erst wenn sie weitere „Wired“-Inhalte konsumieren wollen, werden sie zum Zahlen aufgefordert. Weiterer Pluspunkt der Seite: Der Nutzer soll beim Surfen nicht durch blinkende Pop-ups und Banner gestört werden. Anzeigen haben ihre festgelegten Plätze und sollen den Lese- beziehungsweise Klickfluss nicht unterbrechen. „Respektvolle Werbung“, nennt Condé Nast das etwas pathetisch; doch der Verlag fährt damit eine klare Linie. Auch im Heft gibt es kein kleinteiliges Advertisement, „Wired“ vergibt ausschließlich ganzseitige Anzeigen, die zumindest in der ersten Ausgabe sehr gefragt zu sein schienen.

Ein Medium ausschließlich für Geeks, Nerds und Technikbesessene, wie zu US-Gründerzeiten in den Neunzigern? Kaum. Mittlerweile betrifft der digitale Wandel jeden – und das wollen die Macher nutzen. Anvisierte Zielgruppe ist wahlweise die „Generation Wired“ oder die „Generation Y Not“, da waren sich die Präsentatoren nicht so ganz einig. Ziemlich sicher läuft es auf dasselbe hinaus: neugierige, zukunftshungrige, vermutlich eher junge oder jung gebliebene Menschen, die quasi 24 Stunden am Tag online sind. Das ist die Realität, und „Wired“ hat das erkannt. Themen der ersten Ausgabe: Ein Interview mit „Mr. Google“, Eric Schmidt. Ein Artikel über den heimlichen Traum vieler Angestellter: Lässt sich der Chef bald durch einen Roboter ersetzen? Seltene Erden aus einem sächsischen Dorf, Cyborgs, Technik-Philosophie. Plus der witzigen und schlagfertigen Antwort auf eine der wohl wichtigsten Fragen der Neuzeit: „Wie lange kann man ,Game of Thrones‘ schauen, bevor man stirbt?“ Immer wieder durchbrochen und aufgelockert wird der wissenschaftlich oft starke Tobak von hervorragend designten, anschaulichen Grafiken, die schon in den US-Ausgaben ein Hauptmerkmal von „Wired“ waren.

Damit der neuen Marke aber künftig nicht der Ruf anhaftet, sich ausschließlich in der digitalen Welt zu tummeln, hat sich Condé Nast – einmal abgesehen vom Oldschool-Printmagazin – ein zusätzliches Analog-Konzept überlegt. Der Verlag plant eine Kooperation mit „Hyper Island“. Für alle, die das 1996 gegründete schwedische Unternehmen bisher nicht kannten: Chefredakteur Nikolaus Röttger nannte es ganz beiläufig „das digitale Harvard“. „Hyper Island“, so lässt es sich vielleicht am besten beschreiben, coacht Menschen und Unternehmen auf ihrem verpixelten Weg in und durchs digitale Zeitalter. Die Dozenten dort sind aber tatsächlich noch aus Fleisch und Blut, die angebotenen Kurse heißen „Masterclasses“. Von dieser Expertise sollen bald auch „Wired“-Member profitieren. Zwei Workshops sind für sie geplant, einer zu „Business Innovation and Transformation“, einer zu „Consumer Behaviour“. Letzteres könnte auch für „Wired“ selbst interessant sein: Wer sind eigentlich unsere Konsumenten und Leser? Wollen sie das, was wir tun? Und wie wir es tun? „Always in beta“ hat sich „Wired“ ohnehin schon auf die Fahnen geschrieben, Magazin und Website sollen sich quasi permanent neu booten.

So digital die Welt mittlerweile ist, die erste Ausgabe des Magazins stellt bereits auf dem Cover eine viel ältere Frage: Die nach der Zukunft des „Ichs“, genau genommen also die Frage nach der Zukunft des Menschen. Redaktionsleiter Joachim Hentschel, ehemaliger Vizechef des „Rolling Stone“ hat versucht, sie in einem medienethisch aufgeladenen Essay zu beantworten. Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? In „Wired“–Zeiten ist das nicht mehr ganz so einfach zu beantworten. Außerdem ist da schon die Frage falsch gestellt. Sie muss vielmehr lauten – und so steht sie schließlich auch im Teaser: Wer bin ich – und wenn ja, wie viel Megabyte?

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