zum Hauptinhalt

Medien: Wo „King Kong“ boxt und der Adel Hochzeit hält

Stolz verweisen ARD und ZDF auf ihre Jahresbilanz 2005. In der Publikumsgunst liegen sie vorne. Mit Programmqualität hat das nichts zu tun. Eine Rückbesinnung auf die eigentlichen Ziele eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist nötig. Darum begleiten acht Wünsche den Glückwunsch

So lautet die Siegerbilanz für das Jahr 2005: Mit 13,5 Prozent Marktanteil im Jahresdurchschnitt liegen ARD und ZDF Kopf an Kopf an der Spitze, noch übertroffen von den zu 13,8 Prozent addierten gehäufelten Dritten; RTL mit 13,2 Prozent und Sat1 mit 10,9 Prozent glatt hinter sich lassend. Glückwunsch zum Erfolg. Aber erfolgreich ist ja bekanntlich auch die Mafia. Ein Ausweis öffentlich-rechtlicher Programmqualität sind diese Zahlen nicht. Sie vermögen auch nicht über ein bei öffentlich-rechtlichen Programmgestaltern inzwischen beliebtes Verfahren hinwegzutäuschen: ob täglicher Talk, Seichtes am Nachmittag, Kommerzialisierung des Sports, Wok-WM oder Super-Nanny: empören, nachmachen und dann an die Spitze setzen – so lautet immer wieder der Dreischritt der durch unsere Gebühren steuerähnlich finanzierten Medienunternehmen. Man könnte fatalistisch werden. Ein Richtungswechsel, eine eigentlich notwendige Renaissance von Produzieren und Senden in gesellschaftlicher Verantwortung, ja nur ein neues Nachdenken darüber, ist nicht zu spüren. RTL hat es auf dem Höhepunkt seiner Erfolge versäumt, die bereits hörbare Kritik zu prüfen. Auch öffentlich-rechtliche Anstalten schotten sich gerne ab. Hinein in die Triumphgesänge sollen deswegen acht bescheidene Wünsche gesprochen werden, die damit zu tun haben, in den Programminhalten noch etwas vom ursprünglichen Zweck öffentlich-rechtlicher Medien aufscheinen zu lassen.

Denn ARD und ZDF sind nicht Medienunternehmen wie andere auch, die lediglich den Wettbewerbsvorteil haben, von uns allen mit jährlich fast sieben Milliarden Euro ausgestattet zu werden. Ihr Zweck heißt Unabhängigkeit. Von den Parteien, von der alles überbordenden Werbung. Es geht nicht um Purismus, sondern um dingliche Akzente.

1. INFORMATION

Magnet, Heimstatt, Vorbild für unabhängigen politischen Journalismus sollten die öffentlich-rechtlichen Sender sein. Es ist schrecklich, was sie inzwischen zum Zwecke der Selbsttäuschung alles zum Informationsprogramm rechnen: Boulevardmagazine wie „Brisant“ oder „ZDF.reporter“, „Brennpunkte“ zum Wetter, stundenlange Übertragungen königlicher Hochzeiten. Unter der Hand werden ARD, ZDF und Dritte zu Spartenprogrammen für Senioren. Es geht nicht um deren Diskriminierung oder um Jugendwahn, aber wäre es nicht lohnend, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, ein gesellschaftspolitisches Format zu entwickeln, das junge Menschen anspricht? Mit dem „Kanzlerbungalow“ wurde ein solcher Versuch unternommen. Würde es nicht lohnen, gebe es auch nur ein Format jenseits von simpler Konsumwerbung, ohne schmierigen Jargon, es in geduldiger Arbeit gemeinsam mit Jugendlichen zu entwickeln? Dafür müsste man sich öffnen. Warum schaffen es „Spiesser“ oder „Neon“, gelesen zu werden, während es im Hauptprogramm von ARD und ZDF keine Sendung mehr mit einem Zuschauerschnitt von unter 50 Jahren gibt? Wenn die politische Einsicht nicht ausreicht, sollte der Selbsterhaltungstrieb Motiv genug sein für eine solche Anstrengung.

2. DOKUMENTATIONEN

Es ist ein Privileg von ARD, ZDF und den beigeordneten Abteilungen von arte oder Phoenix, Kraft, Kenntnis und Geld für gutes dokumentarisches Fernsehen zu haben. Wie oft wird das auch international zunehmend gefragte Genre banalisiert oder an den Rand gedrängt. Warum können sich ARD und ZDF nicht verpflichten, jeweils zehn Dokumentationen im Jahr in der Primetime um 20 Uhr 15 zu senden? Dies würde kein etabliertes Programmschema zerstören. Themen und Machart können ja gerne für viele Zuschauer attraktiv sein. Es muss nicht um die Entwicklung des Feminismus in Nepal gehen; aber dem Genre und dem Ansehen der Sender wäre mit einem so einfachen Schritt sehr gedient.

3. MEHR DER BILDUNG

Weil ödes Schulfernsehen kein Kind mehr hinter dem Ofen hervorlockte, hat es inzwischen unter der Hand eine völlige Entkoppelung des Systems Fernsehen vom System Bildung gegeben. In der Freizeit, nicht aber in Unterricht und Bildung spielt das Fernsehen eine Rolle. Das könnte ganz anders sein. In guten Pisa-Ländern wie Finnland ist es auch ganz anders. Bei uns haben zumindest einige Privatsender den Reiz von Wissensmagazinen entdeckt, was Nachahmungsdruck erzeugt hat. Mehr wäre möglich. Warum werden unsere Gebühren nicht für spannendes Download-Fernsehen zu Bildungszwecken genutzt?

4. UNTERHALTUNG

Die flockigen Moderatoren werden von der privaten oder sogar der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz weggekauft; große Galas dienen der Reklame für Verlage; Stefan Raabs absurde Wok-WM erlebt als „Promi-Biathlon“ mit Jörg Pilawa oder „Promi-Turnen“ mit Johannes B. Kerner jeweils gebremste Wiederauferstehung; gemeinsam mit der „Bild“-Zeitung sucht Frank Elstner die besten Witze-Erzähler; Europas größte Show „Wetten, dass...?“ mit Internet-Auftritten bei Bild.de und T-Online ist zum Reklamerummel mutiert – so trostlos sieht die öffentlich-rechtliche Großunterhaltung aus. Als wäre ihr Zweck die nachholende Verdoppelung des bereits Bestehenden. Mit dem teuren Harald Schmidt, „Dittsche“, „Zimmer frei“ oder „Kurt Krömer“ mag es ja im Kleinen noch eigene kreative Ansätze geben – aber könnte nicht wenigstens hier und da auch im Hauptprogramm versucht werden, Unterhaltung intelligent zu gestalten? Ist es völlig unmöglich, etwas Kluges zum Thema Arbeit zu erfinden? Wenn im Leichten Schöpfertum und Talentförderung so schwer sind, dann sollte als Minimum wenigstens per Selbstverpflichtung – wie es schon die BBC getan hat – auf die Ausstrahlung bestimmter Genres, etwa Dating-Shows, Schönheitsoperationen, Gerichtsverhandlungen oder Selektions-Shows, verzichtet werden.

5. DER NACHMITTAG

Auch zu Themen des Boulevards ist ein eigener Zugang möglich. Er kann distanziert, ironisch, forschend sein. Bei den Sendungen „Brisant“, „Hallo Deutschland“, „Leute heute“ besteht trotz gegenteiliger Beteuerungen kein Jota substanzielle Differenz zu „Explosiv“, „Blitz“ oder „taff“. Vieles ist verfilmte „Bild“-Zeitung, oft stammen die Beiträge von denselben Zuliefererfirmen. Die Mischung aus Kindermord, Unfällen und Promi-Eigenwerbung ist nicht nur unerheblich, sondern würdelos. Schafft diese so genannten Boulevardmagazine, die mit dem Boulevard à la Alfred Biolek, Andreas Lukoschik oder Margret Dünser nichts mehr zu tun haben, einfach ab.

6. SPORT

Frauenboxen mag sehen, wer will. Bei RTL oder im Bezahlfernsehen. Gebührengelder sind dafür einfach nicht da. Ebenso wenig für das Rummelboxen, das mittlerweile ARD oder ZDF häufig sonnabends zu später Stunde gute Marktanteile beschert. Dass der US-amerikanische Promotor Don King einen sehr groß gewachsenen Herrn Walujew aus Russland bedenkenlos als „King Kong“ zu vermarkten gedenkt, wird uns natürlich verschwiegen, wenn die ARD dessen „Giganten-Kämpfe“ stolz ausstrahlt. Warum werden unsere Gebühren dafür eingesetzt, zwei wenig geheuerliche deutsche Boxställe am Leben zu halten? Wenn all dies schon keinen juckt, dann sollte es doch wenigstens möglich sein, ein einziges Hintergrundmagazin zum Sport ins Programm zu nehmen, wie es dies mit „Sport unter der Lupe“ oder dem ZDF-„Sportspiegel“ früher gab. Am Ende schauten noch 1,8 Millionen zu. Angeblich zu wenige, angeblich zu teuer. Ein Witz bei 97 Millionen Euro reinen Rechtekosten pro Bundesligasaison.

7. SERVICE

Rund um die Uhr gibt es auf fast allen TV-Kanälen Service- und Ratgebersendungen. Mehr als vierzigmal wird gekocht. Heimwerker-, Gesundheits- und Reisetipps sind kaum seltener. Schon traut man sich kaum noch, die Schuhe zuzubinden ohne Anleitung. Aber sticht das unabhängige öffentlich-rechtliche Fernsehen mit seinem unbestechlichen Blick da irgendwo heraus? „Wie bitte“ auf RTL war das letzte Verbrauchermagazin, dass sich mit der Telekom anlegte. In „stern tv“ (RTL) überführte man gleichzeitig „Auto-Bild“ und Mercedes-Benz bei unlauteren Tests. Man bräuchte viel technischen Aufwand und juristischen Rückhalt, um zum liebsten Konsumobjekt der Deutschen, dem Auto, eine tatsächlich kritische Testsendung zu installieren. Warum tut das keiner in ARD oder ZDF? Wegen mangelnden Zuschauerinteresses oder wegen mangelnder Traute? Wäre das zurückzugewinnende Vertrauen nicht den Versuch und das Geld wert, das beste Auto- und von Drittmitteln unabhängige Reisemagazin zu produzieren?

8. WERBUNG

Einnahmen aus Werbung und Sponsoring haben von 2001 bis 2004 bei der ARD 2,17 Prozent und beim ZDF 7,87 Prozent ausgemacht. Beide reden diese Einnahmen als völlig unerheblich klein, verteidigen sie aber mit Zähnen und Klauen. Offiziell darf am Vorabend geworben werden, wo das Programm auch entsprechend werbekompatibel aussieht. Aber auch der Abend ist voll von Sponsoring: von Saab vor „Harald Schmidt“ bis zum Bier vorm „Tatort“. Nehmen wir Sportereignisse ruhig aus, weil sie angeblich nicht anders im Sender zu halten wären, dann sollte es nach 20 Uhr keine Werbung, kein Sponsoring mehr geben. Die gebührenfinanzierten Sender wären profilierter, Erhebliches hätte es leichter.

Zu den klassischen Problemen, der Schleichwerbung, den Süßstofffilmen, zum Profil der Dritten und Problemen der 61 Hörfunkwellen ist damit noch nichts gesagt. In etwa achtzig Prozent ihrer politischen Kommentare bekunden die wichtigen Journalisten von ARD und ZDF, dass nicht alles bleiben könne, wie es war. Dass alles auf den Prüfstand müsse, lassen sie bisher nur für andere gelten. Der Speck auf den eigenen Hüften wird verborgen. Dabei sendet selbst die hilflose KEF schon Signale aus: Die Anstalten stünden „erst am Anfang eines einschneidenden Prozesses, der bei andern öffentlichen Institutionen schon längere Zeit Normalität“ sei. WDR-Intendant Fritz Pleitgen macht Reklame für die Sparkassen und behauptet, öffentlich-rechtlich bedeute, für alle da zu sein. Dagegen warnt der Altliberale Gerhart Baum die Sender ARD und ZDF: „Wenn sie das Unverwechselbare nicht mehr fördern, verspielen sie ihr Recht auf Gebühren.“ In der Kritik steckt immer noch Erwartung.

Zur Startseite