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Medien: www.volksempfänger.de

Rechtsextremisten jeder Couleur nutzen das Internet – für Propaganda, Nachwuchswerbung und Vernetzung. Und sie werden dabei immer professioneller.

Das Logo war in knalligem Orange gehalten, der Werbeslogan keck: „Netzspeicher24.de – der etwas andere Speicherplatz“. Das Projekt sollte ein Problem lösen, mit dem Neonazis immer wieder konfrontiert sind: Webhoster, also die großen Vermieter von Speicherplatz für Internetseiten, kündigen oft die Verträge, sobald sie rechtsextreme Inhalte auf einer Seite bemerken. Ein junger Neonazi aus Jena startete deshalb vor knapp zehn Jahren einen eigenen Hostingservice. „Eventuell erwirtschaftete Überschüsse“, versprach er, „fließen selbstverständlich wieder in die politische Arbeit.“ Sein Name: Ralf Wohlleben. Damals kannte kaum jemand den gelernten Informatiker, heute ist er bundesweit in den Medien: Ab kommender Woche steht Wohlleben in München als wohl wichtigster Unterstützer des rechtsterroristischen NSU vor Gericht.

Während Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in den Untergrund gingen, versuchte ihr Jugendfreund Wohlleben den „legalen Kampf“. Er startete ein rechtes Hausprojekt, organisierte Neonazi-Konzerte, wurde NPD-Landesvize in Thüringen – und dass er seine Zeit auch ins Internet steckte, war alles andere als Zufall oder private Vorliebe: Das Web ist seit Jahren ein zentrales Aktionsfeld von Rechtsextremen. Es ist ein preiswertes und weit reichendes Kommunikationsmittel – anders als früher braucht man heute keine Druckmaschinen mehr, um Propaganda zu verbreiten.

Die Öffentlichkeit ist oft überrascht, wenn sie im Internet auf professionell gemachte Neonazi-Websites stößt. Wieso eigentlich? Rechtsextreme waren bei der Nutzung neuer Medien schon immer vorn dabei. Der Aufstieg der NSDAP gelang einst auch dank moderner Kommunikationstechniken, das Dritte Reich hätte ohne Volksempfänger kaum funktioniert. Die frühe NPD verblüffte bei ihrer ersten Erfolgswelle in den sechziger Jahren mit schlagkräftigen Wahlkämpfen. Schon 1992 startete sie einen Info-Dienst im Btx-Service der Bundespost, und sofort nach seinem Amtsantritt 1996 erklärte der damalige NPD-Chef Udo Voigt „die verstärkte Nutzung“ des Internets zu einem „Hauptziel der Partei“. Auch der Rest der Szene erkannte das Potenzial des Webs früh. Anfang der neunziger Jahre entstand das „Thule Netz“, ein Verbund von Computer-Mailboxen, in den sich Rechtsextreme per Modem einwählen und so Daten austauschen konnten.

Über die Jahre wuchs die Zahl rechtsextremer Websites rasant (allerdings, wie gern übersehen wird, langsamer als das Internet insgesamt). Laut der Beobachtungsstelle Jugendschutz.net gibt es derzeit rund 1700 Seiten, allein die NPD unterhalte knapp 250, mehr als 160 einschlägige Versandhäuser seien online. Neonazis verbreiten ihre Filme auf Youtube. Beim Online-Radio LastFM haben Szene-Bands Profile. Die NPD twittert von ihren Bundesparteitagen. Eigentlich gibt es nur eine Sache, die Rechtsextreme am Netz stört: die Anglizismen. Sie nennen es lieber „Weltnetz“ und versenden „E-Post“, ihre „Heimatseiten“ lassen sie nicht von Webmastern pflegen, sondern von „Netzmeistern“.

Nicht alle Neonazis – man muss das offenbar immer wieder betonen – sind tumbe, arbeitslose Jugendliche. Außer Wohlleben gab und gibt es in der Szene eine Reihe von Computer- und Video-Freaks. NPD-Pressesprecher Frank Franz beispielsweise besitzt eine Internetfirma. Aktivisten aus den Reihen der Autonomen Nationalisten haben eine eigene Blog-Plattform aufgebaut, deren Server in den USA stehen und so für deutsche Sicherheitsbehörden nicht greifbar sind. Unter Strassenkunst.info zeigen sich Neonazi-Sprayer gegenseitig ihre neuesten Werke, etwa SS-Parolen im Graffiti-Stil.

Vor mittlerweile knapp zwei Jahren machten die sogenannten „Unsterblichen“ im Netz Furore: ein geschickt geschnittener Clip einer nächtlichen Demonstration im sächsischen Bautzen, unterlegt mit dem Soundtrack des Hollywood-Films „Matrix“. Die Aktion sollte auf das angebliche Aussterben des deutschen Volkes hinweisen. Durch die Ästhetik gelang den Flashmobbern, was Werbeprofis als Viralmarketing bezeichnen: Das Video war so eindrucksvoll, dass es weitergemailt und in sozialen Netzwerken gepostet wurde. Selbst nichtrechte Jugendliche, das ließen viele Kommentare erahnen, waren gefesselt von den geradezu mystisch inszenierten Bildern. Ein Theorietext zum Nationalen Sozialismus hätte nur einen Bruchteil des Publikums erreicht.

Das Web ist für Neonazis ein direkter Draht zur Jugend. Mit wenigen Klicks können Szene-Versandhäuser den ganzen Kosmos von rechtsextremer Musik und Kleidung öffnen. Der größte Vorteil: Dort können versprengte Einzelkämpfer zusammenfinden und die wohlige Wärme einer gleichgesinnten Gemeinschaft spüren (während sie im realen Leben an den meisten Orten ja glücklicherweise immer noch auf einsamem Posten stehen).

Um neue Anhänger zu erreichen, sind Mainstream-Portale wie Facebook das beste Mittel. Obwohl ihnen das Netzwerk wegen seines jüdischen Gründers Mark Zuckerberg eigentlich suspekt ist, sind Rechtsextremisten dort hyperaktiv – von verschwörungsgläubigen Islamhassern bis zur offiziellen Parteiseite der NPD, von nordischen Rassisten (mit Profilnamen wie „Eiserne Wölfin“) bis zu offenen Neonazis („Adolf88“). Live und in Farbe kann man ihnen beim Agitieren zuschauen: So wird das emotionale Thema Kindesmissbrauch geschickt instrumentalisiert, um Ressentiments gegen den vermeintlich tatenlosen Rechtsstaat zu schüren, Migranten als besonders häufige Täter zu präsentieren und NPD-Forderungen („Todesstrafe für Kinderschänder“) unters Volk zu bringen. Kaum ein Thema ist bei Rechtsextremen so beliebt, um auf Facebook zu agitieren – reihenweise gründeten sie in den vergangenen Jahren Gruppen zum Thema Kindesmissbrauch und erreichten damit bis zu 240 000 Fans. Simone Rafael vom Projekt no-nazis.net sagt: „Die NPD ist in der Nutzung der interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0 viel weiter als die demokratischen Parteien.“

Seit einigen Monaten schwappt eine neue Welle durch das Netz: „die Identitären“. Diese selbst ernannte Bewegung, aus Frankreich kommend, will gegen eine vermeintliche Überfremdung Deutschlands und des „weißen“ Europas protestieren. Die Macher versuchen, offenen Rassismus zu vermeiden. Sie geben vor, nur die kulturelle Identität gegen den Islam zu verteidigen – dabei ist deren Homogenität genauso eine Fiktion wie die rassisch reine Volksgemeinschaft. Fast 50 Ortsgruppen der „Identitären“ haben mittlerweile ein Facebook-Profil – aber offenbar kaum mehr als das. Sie liken sich gegenseitig und tauschen Bildchen. Doch kaum ein Follower traut sich in die reale Welt. Als kürzlich ein paar Jungs in der Bezirksverordnetenversammlung Reinickendorf ein Transparent gegen ein geplantes Asylbewerberheim entrollten, wurde das tagelang gefeiert.

Bisweilen gehen rechtsextreme Facebook-Aktivitäten aber auch nach hinten los. Als sich vor zwei Jahren Neonazis heimlich zu einem Aufmarsch in Berlin-Kreuzberg verabreden wollten, verplapperte sich ein Kamerad. Offenbar überfordert von der Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Bereichen, postete er seine Vorfreude auf der offenen Pinnwand eines anderen Neonazis. So waren Gegendemonstranten alarmiert – und durchkreuzten die schönen Pläne mit einer Sitzblockade.

Auch die Internet-Aktivitäten von Ralf Wohlleben endeten im Desaster. Zwar schlüpften etliche Websites bei ihm unter, doch um für deren Sicherheit zu sorgen, reichte Wohllebens Kompetenz offenbar nicht. Mehrfach wurde Netzspeicher24.de von Antifa-Hackern geknackt – und war bald wieder offline.

Toralf Staud

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