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Frey

© dpa

ZDF-Chefredakteur: Freies Deutsches Fernsehen

Unabhängigkeit ist erste Journalistenpflicht: Peter Frey arbeitet von heute an als Chefredakteur des ZDF

Die Unterschiede sind fein, aber sie sind entscheidend. Nikolaus Brender, der scheidende ZDF-Chefredakteur, hatte von einem „Zuträgersystem“ gesprochen. Peter Frey, ZDF-Chefredakteur vom 1. April an, sagt: „Zuträger ist richtig, System ist falsch.“ Beide haben vom selben Sender gesprochen, vom ZDF, und beide wissen, dass es unter den Journalisten des Hauses jene gibt, deren Loyalität mehr der Partei ihres Herzens gehört als dem Fernsehsender, der sie beschäftigt und bezahlt. Frey sagt auch, es gebe heute weniger Zuträger als früher. Der Journalist muss es wissen, seit 1985 ist er Mitarbeiter, in diesen 25 Jahren ist er vom Redakteur und Reporter des „heute-journals“, Leiter von „Morgenmagazin“, „Auslandsjournal“ und Hauptstadtstudio zum Chefredakteur aufgestiegen. Übrigens ist er der erste Chefredakteur, der nach Reinhard Appel (Deutsche Welle), Klaus Bresser und Nikolaus Brender (beide WDR) aus dem ZDF selbst kommt.

Peter Frey, der im Gespräch zugesteht, dass er Berlin und seine Aufgabe im Hauptstadtstudio mit Wehmut hinter sich lässt, kennt Europas größte Fernsehanstalt aus dem Effeff. Ein Haufen Arbeit, gut tausend feste und freie Mitarbeiter, Verantwortung für die Hälfte des Gesamtprogramms, 580 Millionen Euro Jahresetat, bisherigen Kollegen künftig ein Chef sein, all das kommt zwangsläufig und mit Wucht auf ihn zu, und doch muss er sich zuvorderst um die Seele des Senders und seiner Mitarbeiter kümmern. Durch den parteipolitischen Zugriff bei der Nichtvertragsverlängerung von Nikolaus Brender sei das ZDF „emotional wundgescheuert“, er müsse jetzt für Verlässlichkeit sorgen, dass die journalistische Arbeit journalistisch gemacht werden könne. Frey könnte sich die Frage stellen, warum sich bei den Querelen, ausgelöst von Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch, die Presse energischer für die Parteienferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingesetzt hat als die Journalisten von ARD, ZDF und Deutschlandradio selbst.

Peter Frey stellt sich einer anderen Herausforderung: Wie kann beim Publikum die beschädigte Glaubwürdigkeit des ZDF als eines Senders unter Filz-Verdacht erneuert werden? Der neue Chefredakteur sieht sich in diesem Bemühen, er nennt es „Kampf“, in der Tradition eines Nikolaus Brender. Brender ist am Dienstag sehr herzlich im Sender verabschiedet worden. Frey sagte bei dieser Gelegenheit, Brender „suchte die Reibung, den Kampf. Respekt fand nur, wer sich wehrte. Beliebt wird man so nicht. Brender blieb auch als Chefredakteur ein Schwarzwälder Dickschädel. (...) Der Maßstab Brender wird bleiben.“ Für sich selbst nimmt Frey ein Wort von Intendant Markus Schächter auf: „Der neue Chefredakteur muss der Bannerträger der Unabhängigkeit sein.“ Den Druck, der da aufgebaut wird, den nimmt der erste Journalist im ZDF an und leitet ihn ab; er habe sich nicht zu rechtfertigen und nicht zu beweisen, er fühle sich absolut frei.

Ausgesprochene Feinde im politischen Feld hat er nicht, vielleicht, dass Linken-Mann Oskar Lafontaine nicht mehr sein Freund wird, das ja. Der bürgerliche Frey ist als frei gewählte Persönlichkeit Mitglied des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken und des Beirats von „Misereor“ sowie Schirmherr der Malteser Migranten Medizin.

Der Wechsel von Berlin nach Mainz ist ein Paradigmenwechsel. Was bisher 70 Prozent Journalismus und 30 Prozent Leitung war, das wird jetzt 70 Prozent Management und 30 Journalismus sein. Über das Gesprächsformat „Was nun...?“ will Frey sechs, acht Mal im Jahr ein „sichtbarer Chefredakteur“ auf dem ZDF-Bildschirm sein. Einen großen Rahmen hat er sich gespannt: Alle Formate, alle Genres, alle Sendungen, die der Chefredakteur über den Sport, die Magazine und die Nachrichten verantwortet, sollen nach und nach auf den Prüfstand. Frey hat es auch konkreter. Die Zahl der Moderatoren will er verringern, zugleich die prägenden ZDF-Gesichter mit mehr Bildschirm-Aufgaben versehen; dass die „heute-journal“-Kräfte Claus Kleber und Marietta Slomka auf Reportage- und Recherchefahrt gehen, sei nur der Anfang gewesen. Die Präsenz der Moderatoren im neuen, im virtuellen Nachrichtenstudio, senderintern die „Grüne Hölle“ genannt, habe gelitten, tatsächlich wirken Seibert, Gerster & Co. wie weltenferne Geschöpfe im News-Irgendwo. Zuschauerbindung sei verloren gegangen, das Diktat der Technik müsse dem Duktus individueller Prominenz weichen. Ganz wichtig ist für Peter Frey auch die Verjüngung des ZDF-Publikums (Altersdurchschnitt: 61 Jahre), was über ein Mehr an Internetthemen und eine verstärkte Verzahnung des Fernseh- und des Onlineauftritts möglich sein könne. Crossmedial denken und arbeiten, das sei nicht länger nur eine Devise, sondern Auftrag.

In dem gewaltigen Programm-Meer des Fernsehens will Frey „Auffälligkeiten“ schaffen, vorstellbar für ihn ist, dass „ZDF-Reporter“ am Donnerstag ein Thema eröffnet, das „Maybrit Illner“ anschließend diskutiert. Keineswegs mangele es den Sendungen der Chefredaktionen an den notwendigen Inhalten, die seien zu 95 Prozent abgedeckt, notwendig sei es, die Kräfte zu bündeln und die Stärken profilierter aufscheinen zu lassen. Ihm sei aufgefallen, dass über die verschiedenen Magazine ein und dasselbe Thema weitergetragen werde, statt neue wichtige Themen zu behandeln. Da sei zwischen den Magazinen thematisch und formal etwas zusammengewachsen, was nicht hätte zusammenwachsen sollen.

Mehr als eine halbe Milliarde Euro Jahresetat, das klingt gewaltig, und doch fließen von dieser Summe allein 300 Millionen in die Sportrechte. Über die Verteilung müsse man immer wieder neu nachdenken, auch Frey hat bemerkt, dass mit den Olympischen Winterspielen trendige, „junge“ Sportarten wie Ski-Cross das Publikum zu fesseln beginnen. Er bekräftigte, das ZDF wolle aus dem offenbar teuren Boxsport aussteigen. Späterer Wiedereinstieg nicht ausgeschlossen.

Sein Verständnis vom Mitarbeiter-Management umschreibt Peter Frey als „Spielertrainer“. Kondition hat er, er bezeichnet sich als Langstreckenschwimmer. Konflikte werden mit Ausdauer bearbeitet. Politischer Journalist will er bleiben, bei Gelegenheit gerne über den deutschen Papst Benedikt XVI. reportieren. Der verheiratete Vater einer Tochter wohnt jetzt in Mainz auf dem Lerchenberg. Keine zehn Minuten vom Sender entfernt sei sein Haus, „aber das Hochhaus vom ZDF kann ich nicht sehen“. So viel Abstand muss sein.

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