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Die DDR hat Spuren hinterlassen. Rossi, Lehmi und Kelox haben die „Saxonz“ vor sieben Jahren gegründet und sind enge Freunde.

© ZDF und Tobias Tempel

ZDF-Doku über Breakdancer: Zerbrechliche Sachsen

Mit der Klangfarbe der Entrechteten? Die ZDF-Reihe „The Saxonz“ porträtiert sechs ostdeutsche Breakdancer.

Über junge Leute und ihre Musikgeschmäcker halten sich hartnäckige Klischees. Punkrock? Drogen, Suff und Arbeitsscheu! Hardrock? Drogen, Suff und Bandenkriege! Techno? Drogen, Suff und Selbstzerstörung! Pop? Drogen, Suff und Hedonismus! Rap? Drogen, Suff und Misogynie und Markenfixierung und Mütterverachtung und Männerverherrlichung! Wer an Sprechgesang denkt, denkt an Gesten, Reime und Bling Bling, aus denen pure Mehrheitsverachtung einer geschlossenen Subkultur spricht.

Da fragt sich: Sind die virtuosen Breakdancer Rossi, Joanna, Kelox, Anton, Lehmi und Dennis überhaupt Teile dieses wirkmächtigsten Codesystems angloamerikanischer Herkunft? Antwort: ja und nein. Ja, weil es sechs Titelfiguren der unscheinbar imposanten „37°“-Dokumentation „The Saxonz“ sind, in der es um den postmodernen Formationstanz geht.

Und nein, weil sich die Porträtierten erfrischend unbeeindruckt von Duktus, Gehabe, Dresscode des Hip-Hop zeigen. Dreimal 30 Minuten hat die Filmemacherin Maike Conway ihre Protagonisten durch Leipzig, Dresden oder Chemnitz begleitet. Dreimal 30 Minuten schafft es dieser subkulturelle Mainstream, zu überraschen und zu fesseln.

„Dance till you break“, lautet der Untertitel von „The Saxonz“ (in der ZDF-Mediathek), was übersetzt ungefähr „bis zum Zerbrechen tanzende Sachsen“ heißt. Rossi, Joanna, Kelox, Anton, Lehmi und Dennis sind mitnichten frauenfeindliche Styler, die ständig mit der Hand im Schritt „Yo Motherfucker“ brüllen, sondern unprätentiöse Arbeiter am höheren Zweck einer fast schon protestantischen Mission, die der Älteste, Lehmi, Mitte 30, wie folgt zusammenfasst: „Fünf Tage die Woche sieben, acht Stunden trainieren“, um „Menschen eine Plattform zu geben, sich zu entwickeln“.

So lautet die Quintessenz eines imposanten Films, der oberflächlich vom Tanzen handelt, hinter den halsbrecherischen Moves dieser musikalischen Extremsportart aber Menschen und ihre Motivation zur totalen Hingabe sucht. Und findet.

Der expressive Ausdruckstanz des Hip-Hop als innere Angelegenheit

Den früh verwitweten Rossi zum Beispiel, der beim Breakdance von seiner Alltagsrolle als Krankenpfleger mit kleinem Kind abschalten kann. Seine Freundin Joanna, die sich als einzige Frau in der Gruppe gegen knallharte Jungs behaupten muss und als neue Frau an Rossis Seite in ihrer Patchworkfamilie. Oder eben Lehmis und seinen Kampf mit dem eigenen Körper.

Saxonz-Mitbegründer Kelox dagegen nutzt die Gruppe zur Verfeinerung seiner Choreografien, mit denen er gerade als erster Urban Dancer den Master an der Dresdner Palucca-Hochschule in Dresden macht.

Und wenn Anton von der tiefen Stille erzählt, die den kontaktscheuen Einzelgänger beim Breakdance-Battle durchdringt, geht es „The Saxonz“ ersichtlich um alles andere als äußere Erscheinungsbilder, die der Szene beharrlich unterstellt werden.

In Maike Conways distanzierter Annäherung wird der expressive Ausdruckstanz des Hip-Hop zur inneren Angelegenheit. Das ist auch angesichts der Tatsache bedeutsam, dass sich die sechs Sachsen als Ostdeutsche definieren, in denen die DDR aus Sicht des spät berufenen Dennis „Spuren hinterlassen“ habe.

Denn seien wir ehrlich: Der Dialekt, den hier fast alle pflegen, mag irgendwie nicht so recht zum kosmopolitischen Hip-Hop passen.

Gerade für Westdeutsche ist Sächsisch eher die Klangfarbe der Entrechteten, Missachteten, schlimmstenfalls Rechtsradikalen denn der Ausdruck für „Entfaltungsfreiheit für uns und alle anderen“, wie Lehmi sein Milieu umschreibt. Wenn einer daraus am Chemnitzer Marx-Monument vorbei zur Plattenbausiedlung radelt, poppen bei vielen deshalb eher Bilder von Hetzjagden als Breakdancern auf.

Damit räumt „The Saxonz“ trotz seltener Tanzeinlagen gehörig auf und reiht sich damit ein in die Reihe großer Filme über ostdeutsche Subkulturen wie „Back in the Days“ oder Marten Persiels Skateboard-Doku „This Ain’t California“, die beide zeigen: DDR und Hip-Hop, Ost und West waren durch eine Mauer in Berlin, aber nicht in den Köpfen getrennt.

Jan Freitag

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