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Tödliche Grenze: Zwei Schüler auf der Flucht

© ZDF

ZDF-Doku über DDR-Grenze: Zwei Jungen, ein Schuss

Eine ZDF-Doku erzählt von Schützen und Opfern an der DDR-Grenze. Mit den historischen Fakten gehen die Macher allerdings etwas eigenwillig um.

Im Dezember 1979 versuchen zwei Jugendliche aus Halle-Neustadt über die innerdeutsche Grenze im Harz zu fliehen. Nachdem sie durch den Stacheldraht des ersten Zauns geschlüpft sind und dabei, ohne es zu wissen, ein Signal auslösten, werden sie von zwei Soldaten der 7. Grenzkompanie gestellt. Der 15-jährige Heiko Runge wird erschossen, sein Freund Uwe Fleischhauer unverletzt festgenommen.

Die Grenze mit "menschlicher Methode" sichern

Das ZDF erinnert an diesen Fall mit dem Film „Tödliche Grenze“ im Rahmen seines Programmschwerpunkts „25 Jahre Deutsche Einheit“. Das Beispiel ist gut gewählt, weil es einerseits die Brutalität des DDR-Grenzregimes dokumentiert und andererseits eine Wende markiert: Anfang der 1980er Jahre wurde mit dem Abbau der Selbstschussanlagen begonnen.

Inwieweit der Fall Runge dazu beigetragen hat, bleibt allerdings offen. Jedenfalls wurde nach dessen Tod der besonders rücksichtslose Chef der 7. Kompanie, Helmut Piotrowski, abgelöst und durch den damals erst 23 Jahre alten Frank Lorenz ersetzt. Lorenz erklärt heute, er habe die Staatsgrenze „mit vernünftigen, sage ich mal, menschlichen Methode“ sichern wollen.

Die Autoren Thomas Graevert und Volker Schmidt-Sondermann, der auch Regie führte, erläutern was sich dahinter verbarg: der „Kontrollwahn“ eines Überwachungsapparats, der Fluchtpläne frühzeitig vereiteln sollte, so dass Fluchtwillige gar nicht erst bis zur Grenze kamen. Wie das heute so fernseh-üblich ist, wird die Flucht der Jugendlichen – und später auch die eines Deserteurs der sowjetischen Armee – in zahlreichen Spielszenen nachgestellt. Als Zeitzeuge gibt Uwe Fleischhauer Auskunft, er wieder an den Tatort geführt, wo er sichtlich um Fassung ringt. Man könnte sagen: Mit den ehemaligen Grenzsoldaten geht der Film rücksichtsvoller um, denn ihnen wird eine solch inszenierte Konfrontation mit der eigenen Vergangenheit erspart.

Menschenjagd wird als Nervenkitzel inszeniert

Aber das Mitfühlen geht doch ein bisschen weit, wenn die Menschenjagd als unterhaltsamer Nervenkitzel inszeniert und durch Kommentare wie diesen gewürzt wird: Noch könne Hauptfeldwebel Lothar Demny die Aktion abbrechen, heißt es, „aber sein Instinkt treibt ihn immer weiter. Das Herz schlägt ihm bis zum Hals“. Kurz darauf erschießt er den bewaffneten sowjetischen Deserteur, dem er plötzlich gegenübersteht. „Ich habe in dem Moment nur gesehen: Er oder ich“, sagt Demny.

Zweifel an der Darstellung scheinen nicht möglich. Zumal suggeriert wird, dass dem Deserteur, der zuvor angetrunken einen Bus in seine Gewalt gebracht hatte, alles zuzutrauen war. Die Gründe für seine Tat sind kein Thema, und seinen Namen Nikolai Gall erfährt man erst im Abspann. Die Botschaft ist wohl, dass es an der DDR-Grenze Opfer zweiter Klasse gab.

Eigenwillig ist außerdem der selektive Umgang mit den historischen Fakten: Dass der Todesschütze und sein Kamerad im Fall Runge 1996 zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, lassen die Autoren unter den Tisch fallen. „Zu komplex“, antwortet Gaevert auf Anfrage. Das Thema Aufarbeitung des DDR-Unrechts durch die Justiz verlange nach einer eigenen Dokumentation. Vielleicht hätte für den Anfang zumindest eine Notiz im Abspann gereicht.

Seltsam auch, dass der Name des Schützen im Film geändert wurde, ohne dies zu kennzeichnen. Der „immer noch schwer traumatisierte“ Schütze fürchte, dass die Ausstrahlung des Films „sein Leben erneut negativ beeinflussen wird“, teilt Gaevert mit. Nach dem Abbüßen der Bewährungsstrafe gebe es auch für ihn ein „Recht auf Vergessen“. Dieses Recht scheint mit dem Ableben hinfällig zu werden, denn der verstorbene Kamerad des Schützen wird weiterhin mit seinem Klarnamen genannt.

- „Tödliche Grenze - Der Schütze und sein Opfer“, ZDF, Dienstag, 20 Uhr 15

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