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Großscheich Ahmad Muhammad Al-Tayyib.

© ZDF

ZDF-Dokumentation: Zerrissener Islam

Ein ZDF-Zweiteiler erzählt von den Glaubenskämpfen in einer der großen Weltreligionen.

Dafür kann Thilo Sarrazin wirklich nichts: In einer zweiteiligen Dokumentation fragt das ZDF heute und morgen: „Wohin treibt der Islam?“ Die 90-minütige Weltreise quer durch Europa, nach Ägypten, Katar und Indonesien wurde vor vier Jahren geplant, die Dreharbeiten begannen 2009. Sarrazin und seine steilen Thesen tauchen nicht einmal auf. Warum auch? Die Autoren Friedrich Klütsch und Daniel Gerlach reden fast ausschließlich mit Muslimen, vom fundamentalistischen Prediger bis zum modernen Reformer. Dass es gegen ihre Religion in Deutschland gewaltige Vorbehalte gibt, ist keine neue Erkenntnis. Den letzten Anstoß für den Film gab offenbar eine Allensbach-Umfrage von 2006, wonach über 80 Prozent der Befragten der Meinung waren, der Islam sei fanatisch. „Es gibt eine große Unkenntnis über den Islam. Wir wollten raus aus der Angst-Falle“, sagt Reinold Hartmann. Der ZDF-Redakteur gibt zu, sich indirekt über die Sarrazin-Debatte zu freuen, „weil sie unser Projekt befördert“. Intern wurde lange Zeit um einen Sendeplatz gerungen. Immerhin: Nun kommt der ausgeruhte Zweiteiler wie gerufen. Angenehm ist, dass die Autoren keine einfachen Wahrheiten verkünden, sondern eine unaufgeregte Bestandsaufnahme vornehmen. Zwei Begriffe dienen als Leitfaden, Dschihad im ersten und die islamische Rechtsordnung Scharia im zweiten Teil. Wobei zumeist nicht vom „Heiligen Krieg“ die Rede ist, sondern vom „Großen Dschihad“, der das tägliche Bemühen um Besserung meint, und vom „Kleinen Dschihad“, der die auch gewalttätige Verteidigung der Religion fordert. In der muslimischen Welt tobt ein Kampf um die Deutungshoheit über den Koran. Zwar gilt die Al-Azhar-Universität in Kairo als mächtige Instanz, doch ein konservativer Kritiker wie Scheich Yussuf Al-Quaradawi hat beim Fernsehsender Al Jazeera ein Millionen- Publikum. Der mittlerweile verstorbene Korangelehrte Nasr Abu Zaid musste dagegen wegen seiner modernen Auffassungen ins niederländische Exil fliehen. Die Bandbreite der Meinungen und Perspektiven ist groß. Die Autoren zeigen Hassprediger und eher harmlose, versponnene Islamisten. Sie reden mit wortgewandten Muslimen in Schlips und Anzug, die den Kampf gegen ihre fundamentalistischen Glaubensgenossen aufgenommen haben. Sie holen Prominente wie den ägyptischen Chemie-Nobelpreisträger Ahmed Zewail vor die Kamera, aber auch Schülerinnen und Schüler der Rütli-Hauptschule in Berlin-Neukölln. Das Thema Integration schwingt immer mit, es dominieren die positiven Beispiele: Paradebeispiele wie der Grünen-Politiker Cem Özdemir oder der sympathische Hamburger Tierarzt, der den Dschihad als Aufforderung versteht, „mit jeder Kreatur barmherzig umzugehen“. Hier geht der Film sicher nicht in die notwendige Tiefe, die die aktuelle Diskussion erforderlich machen würde. Schönfärberisch wirkt er dennoch nicht, denn Probleme werden benannt und radikale Positionen zitiert, auch ohne dass die „Sauerland-Bomber“ zu einem Interview bereit gewesen waren. Die Bilder erzählen von einem vielfältigen, zerrissenen Islam, dessen Entwicklung nicht ausgemacht ist. Thomas Gehringer „Wohin treibt der Islam?“; ZDF, Dienstag um 22 Uhr 45 Uhr und Mittwoch um 22 Uhr 15

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