zum Hauptinhalt
Letzte szenische Beschwörung des DDR-Untergangs. Bibliothekarin Lotte (Nadja Uhl, M.) und Christa (Janina Fautz) auf der Demo in Leipzig.

© ZDF und W&B Television; Morten S

ZDF-Drama zu 30 Jahren Mauerfall: Die Tränen der KoKodile

Nicht in familiärer Solidarität: Das Familiendrama „Preis der Freiheit“ – eine dreiteilige Gedenkübung des ZDF zu 30 Jahren Mauerfall.

Sie handelte mit allem, was der klammen DDR West-Devisen einbrachte. Die 1966 von dem damals 33-jährigen Ökonomen und Stasi-Mann Alexander Schalck-Golodkowski gegründete Abteilung Kommerzielle Koordination (neckisch-harmlos „KoKo“ abgekürzt). Wenn Weniges in der DDR erfolgreich war, KoKo war es: 3000 Mitarbeiter, 220 Tarnfirmen in aller Welt, tausend Bankkonten.

Der Verein brachte bis zum Ende des Arbeiter-und Bauernstaates 30 Milliarden Ostmark Westdevisen in die Kassen des SED-Staats. West-Berlin ließ seinen Müll im DDR-Umland gegen Gebühr entsorgen. Die Stasi beraubte private Kunstsammler in der DDR und machte deren Besitzstücke im Westen zu Geld. Der obszönste Verdienstzweig der sozialistischen Westgeldmaschine war der Häftlingsfreikauf, die Kapitalisierung der DDR-Willkür. Der Deal mit Gefängnisinsassen aus dem Osten zum Verkauf in die BRD brachte 3,4 Milliarden Mark.

Drei Fernsehabende [„Preis der Freiheit, ZDF, Montag bis Mittwoch, jeweils 20 Uhr 15] hintereinander geht das ZDF mit dem je 100 Minuten langen Dreiteiler „Der Preis der Freiheit“ und einer Dokumentation am Montagabend in die Vollen. Die Produzentin Gabriela Sperl, erwiesene Meisterin für Stücke mit langem Atem, holt zusammen mit dem Schweizer Regisseur Michael Krummenacher die Bedrückung, den Wahnsinn und die Willkür des sterbenden zweiten deutschen Staates auf die üppig ausgestattete TV-Bühne.

Vielleicht ist diese Form eines dokumentarisch angelegten Melodrams die letzte szenische Beschwörung des DDR-Untergangs. Für jüngere Zuschauer ohne eigene Erfahrung fühlen sich die perfekt nachgestellten Szenarien nach exotischem Gestern ohne Smartphone an, als mäßig hippes Abenteuer aus dem Geschichtsbilderbuch.

Was bedeuten die jungen Helden von damals für heutige Greta-Fans? Das idealistische Gehabe der damaligen Widerständler unter langen Haaren, Kerzen und Kirchendächern? Sie kannten keinen Trump, keine Welt ohne Winter, keinen brennenden Amazonas. Wie auch immer, die Geschichte des Mauerfalls braucht Übersetzung. Das versucht „Preis der Freiheit“.

Das Schreibteam, neben Sperl und Krummenacher Michael Klette sowie Charlotte Wetzel, hat sich einen Familienclan ausgedacht, die Bohlas, kommunistischer Uradel, drei Generationen, zwischen denen sich die sozialistischen Ideale auflösen, ein Ebenbild der DDR-Gesellschaft. Ein rotes Drei-Mädel-Haus, zunächst unter der Fuchtel von Oma Else Bohla, herrisch-hysterisch gespielt von Angela Winkler.

Eine aufgeschlossene Buchhändlerin

Die ist hart wie Stalinstahl. Eine Figur, nahe an der Karikatur gebaut. Ihre jüngste Tochter Silvia (Nicolette Krebitz) hat sie verstoßen, weil die einen Fluchtversuch unternahm. Sie wurde für tot erklärt, in den Westen abgeschoben und Silvias kleine Kinder der ältesten Schwester Margot (Barbara Auer) zur Aufzucht übergeben.

Bei Margot denkt man zu Recht an die Honecker-Gattin (bloß ohne blaue Haare). Margot agiert wie ein Klon Elsas. So herrisch wie die Alte, so regimehörig, so streng zu den bei ihr aufwachsenden Silvia-Kindern, Roland (Aaron Hilmer) und Christa (Janina Fautz), wie sie es von ihrer Mutter erdulden musste. Bleibt noch Lotte Bohla (Nadja Uhl), die Mittlere. Alleinstehend mit Sohn Ingo (Michelangelo Fortuzzi).

Eine aufgeschlossene Buchhändlerin, die sich als Leiterin der Umweltbibliothek in der Berliner Zionskirche der Friedensbewegung anschließt, während ihr Sohn Ingo bei der Obrigkeit aneckt und sich bei der staatlichen Bestrafung Neonazis zuwendet.

Als der bei Margot lebende Schwesternsohn Roland einen Fluchtversuch unternimmt und ebenfalls bestraft wird, handelt die ranghohe KoKo-Mitarbeiterin Margot nicht in familiärer Solidarität.

Für sie ist das eine Gelegenheit, ihre im Westen unter dem Namen Ina Winter lebende Schwester mit Enthüllungen zu erpressen. Das Drehbuch will es, dass auch Silvia alias Ina im innerdeutschen Ministerium zur Expertin für den Häftlingsaustausch aufgestiegen ist und für härteren Umgang mit den geldgierigen KoKodilen des Ostens eintritt.

Das Finale ist in Scherzissimo komponiert

Da knirscht es im Drehbuchgebälk, Politik konstruiert als innerdeutscher Schwesternkrieg. Der soaphafte Kniff schafft trotzdem Erkenntnisgewinn: den Zugang zur Gefühlslage der Devisenbeschaffer. Da gibt es fast komische Szenen: wenn der KoKo-Oberanimateur Ilja Schneider (Oliver Masucci) an exotische Kundschaft Pistolen zu verkaufen versucht.

Oder Koko-Mitarbeiter sich von West-Unternehmern zu bettelnden Lakaien erniedrigen lassen müssen. Der Zuschauer erkennt da das Ende vor dem Ende. Sie waren drüben schon hilflose Ossis, bevor die reale Geschichte sie zu Ossis machte.

Die Wandlitz-Geronten scheuten davor, Marx’ Lehren auf ihren marxistischen Staat anzuwenden. Sie koksten sich mit Koko gegen die hässliche Wirklichkeit der Pleite zu und wollten vergessen, dass das (materielle) Sein eines gescheiterten Wirtschaftssystems auf Dauer das immer zorniger werdende Bewusstsein der Untertanen bestimmt.

Das Finale von „Preis der Freiheit“ ist in Scherzissimo komponiert. Der dokumentarische Ingrimm weicht. Die Ironie erhebt den Finger. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Die böse Hexe Elsa in ihrem roten Pfefferkuchenhaus zu Bitterfeld beseitigt einen vorlauten Altbesitzer, der seine Rechte anmeldet. Die Kokos können auf einmal auch christlich. Mozarts Requiem dröhnt „Lacrimosa“, Honeckers Deviseneintreiber nehmen vor einem Sarg Familienaufstellung. Im DDR-Erdmöbel liegt Paul (Joachim Krol).

Der Margot-Partner war der einzige Gutmensch in der KoKo-Reptilienwelt, ein Betriebsleiter, der zu seinen Angestellten hielt. Die scheinheilige Gefühlsshow hat er nicht verdient, diese KoKodilstränen, die auch die von Auer großartig gespielte Margot auf das Durchtriebenste hervorbringen kann. Sie war, sagt ein junger Mitarbeiter aus der KoKo (Jonathan Berlin) über sie, „die größte Spielerin von uns allen. Den Preis dafür kannte sie nur selbst.“

Der Film gönnt ihr eine Art Entrückung. Letzte Bilder. Man sieht, reichlich verwaschen, eine Frau und einen Mann in Badekleidung Kaltgetränke schlürfen. Die Sonne scheint. Sind es Margot und der flotte Schneider? Falls ja, es würde passen: Beide verschwänden, wie es zu den Millionen des KoKo-Vermögens passen würde – im Nebel der Geschichte.

Zur Startseite