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„Das ist gar kein Krimi“, betont Regisseur Volker Schlöndorff.

© ZDF/Conny Klein

ZDF-Film von Volker Schlöndorff: Erfurter Hiobsbote

„Der namenlose Tag“ im ZDF: Warum Volker Schlöndorff mal wieder einen Fernsehfilm dreht, mit Thomas Thieme, Ursina Lardi und Devid Striesow im Zentrum der Handlung.

Ob Kino oder Fernsehen, irgendwo müssen die Bilder ja herkommen. Autor und Regisseur Volker Schlöndorff zum Beispiel legt sich auf den Boden oder aufs Sofa, schaut an die Zimmerdecke und versucht dabei, die Szenen im Halbschlaf zu visualisieren. Das hat er nun mit einer seiner Film-Figuren gemein. Wenn sich der ehemalige Kripo-Beamte Jakob Franck in dem ZDF-Fernsehfilm „Der namenlose Tag“ einen alten Fall vornimmt, legt er sich flach auf den Rücken, und an der Decke flackern Bilderfetzen in Schwarzweiß oder Farbe auf, die wie Zitate aus Stumm- und Horrorfilmen aussehen. Auch sonst gibt es gewisse Parallelen zwischen Schlöndorff und Franck, diesem Romanhelden von Friedrich Ani. Beide befinden sich nicht wirklich im Ruhestand.

Schlöndorff, der 78-jährige Oscar-Gewinner von 1980 („Die Blechtrommel“), will als Nächstes eine Serie und einen Dokumentarfilm drehen, „zwei große, verrückte Projekte, von denen ich nicht weiß, ob sie zustande kommen“. Jetzt ist aber erst mal „Der namenlose Tag“ zu sehen, eine Romanverfilmung, die das ZDF einen Krimi nennt, was Schlöndorff prompt dementiert: „Das ist ja gar kein Krimi.“ Zwar baumelt zu Beginn eine weibliche Leiche am Strick – was etwas makaber mit dem Lynchmord-Song „Strange Fruit“ unterlegt wird. Und Jakob Franck klärt am Ende die außergewöhnlich tragischen Umstände dieses Falls auch auf. Doch dazwischen lässt Schlöndorff manchen Standard eines Fernsehkrimis links liegen. Es gibt keine Dialoge von der Stange, keinen konventionellen Spannungsaufbau mit den üblichen Verdächtigen – und dank der Ani-Vorlage auch keinen dieser gewöhnlichen Ermittlertypen. Sondern Thomas Thieme als Hiobsbote Jakob Franck, den die Polizeikollegen immer dann um Hilfe bitten, wenn es gilt, Angehörigen eine Todesnachricht zu überbringen.

Thomas Thieme ganz anders besetzt

Manche brechen zusammen, andere werden wütend oder spielen seelenruhig weiter Schach. Doris Winther (Ursina Lardi) sucht Schutz in den Armen von Franck, als der ihr die Kunde vom mutmaßlichen Selbstmord ihrer 17-jährigen Tochter Esther überbringt. Stundenlang stehen beide so da. Der in Weimar geborene Thieme wird im Fernsehen gerne als polternder Machtmensch oder despotischer Patriarch besetzt. Sein Jakob Franck dagegen ist ein erfahrener, sensibler Gesandter des Todes, der gemessenen Schrittes durch die Gassen Erfurts läuft, an der Seite schaukelt die Aktentasche. Ein alleinstehender Beamter im Unruhestand. „Ihn interessiert nicht die Schuldfrage, das Kriminalistische, sondern: Wie ticken die Menschen?“, sagt Schlöndorff über Franck. Und beschreibt damit gleichzeitig, was ihn selbst daran reizte, mal wieder einen Fernsehfilm zu drehen.

Produzent Jens C. Susa hatte ihm die Druckfahnen des Ani-Buches schon vor dessen Veröffentlichung geschickt. Ani, 59, schreibt Krimis mit literarischem Anspruch, erzählt tiefgründige, oft deprimierende Menschengeschichten, die meist in seiner Heimatstadt München angesiedelt sind. Manchmal hat er dazu selbst das Drehbuch geschrieben wie bei dem mit einem Grimme-Preis ausgezeichneten Film „Kommissar Süden und der Luftgitarrist“. Hier überließ er Schlöndorff das Feld, der allerdings den Schauplatz verlegte. Statt München suchte er eine nicht spezifische Kleinstadt. „Mein erster Gedanke war Castrop-Rauxel“, sagt Schlöndorff – kein Witz. Dass es nun Erfurt geworden ist, ist dem aus Thüringen stammenden Hauptdarsteller Thomas Thieme zu verdanken.

Solche Schauspielkunst sieht man im Fernsehen nicht alle Tage

Die eigentümliche Geschichte beginnt mit einem Anruf von Ludwig Winther (Devid Striesow). Der Tod Esthers ist wenige Jahre her, nun hat sich auch noch seine Frau Doris umgebracht. Ihr Mann, der glaubt, Esther sei ermordet worden, gibt der Polizei an allem die Schuld. Außerdem will er sich rechtfertigen, denn Doris verdächtigte ihn des Missbrauchs der eigenen Tochter. Jakob Franck hat damals zwar nicht ermittelt, nimmt sich des Falls aber an. Vielleicht weil ihm die lange Umarmung mit der traurigen Doris im Gedächtnis geblieben ist. Und vielleicht hofft er auf eine ähnliche Nähe, als er Doris’ Zwillingsschwester Inge Nemetzki in Berlin besucht, eine nicht sehr erfolgreiche, nicht sehr fröhliche und nicht sehr trinkfeste Künstlerin, ebenfalls gespielt von der famosen Ursina Lardi. Solche Schauspielkunst wie die des Trios Thieme, Striesow, Lardi sieht man im Fernsehen auch nicht alle Tage. Die Tage sind grau, die Atmosphäre ist dunkel, aber der Film hat auch seine ulkigen Szenen und einen trockenen, tragikomischen Humor.

Dass Schlöndorff in seiner gut 50-jährigen Karriere nur wenig mit Fernsehen zu tun gehabt habe, nennt er selbst einen Mythos. „Unendlich viele Fernsehfilme“ habe er in den 1970er Jahren für den Hessischen Rundfunk gedreht. Zuletzt erzählte er in „Das Meer am Morgen“ (2011) einen historischen Stoff aus der deutschen Besatzungszeit in Frankreich. Aber zu dem Medium hat er wohl doch ein gespaltenes Verhältnis. Im Vergleich zu einem Kinofilm unterscheide sich ein Fernsehfilm in der Dramaturgie und in der ganzen Haltung. Während man nach einem Besuch im Kino aufgewühlt durch die Straßen rennen und mit Freunden in der Kneipe über den Film diskutieren müsse, „muss ich beim Fernsehen abschalten und danach gut schlafen“. Schlöndorff will das nicht als Vorwurf verstanden wissen.

„Der namenlose Tag“ liegt wohl irgendwo auf halbem Weg zwischen Bett und Kneipe.

„Der namenlose Tag“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15

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