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Abschied vom ZDF-Hauptstadtstudio Unter den Linden. Thomas Walde blickt auf neun interessante und intensive Jahre zurück.

© ZDF und Thomas Kierok

ZDF-Journalist Thomas Walde: Fragen, was fragwürdig ist

Thomas Walde moderiert zum letzten Mal das Politmagazin „Berlin direkt“ im ZDF. Im April geht er nach Paris. Eine Begegnung.

An diesem Sonntag ist Schluss. Zum letzten Mal wird Thomas Walde im Anschluss an die „heute“-Nachrichten um 19 Uhr 10 das Politmagazin „Berlin direkt“ moderieren. Nach neun Jahren schickt das ZDF den 55-Jährigen nach Paris.

Walde empfängt in seinem kleinen Büro in Berlin-Mitte. Der Schreibtisch bis auf ein paar Unterlagen aufgeräumt, die Wände leer, mit Ausnahme eines dreiteiligen Acrylbildes, ein kleiner Fernseher, ein Sideboard. Keine Poster, Wandkalender, Zimmerpflanzen oder Wackeldackel, wie man sie in anderen Büros finden kann. Sind seine Kisten etwa schon gepackt? Nein, antwortet Walde, er habe zwar aufgeräumt und weggeschmissen, doch im Wesentlichen sei sein Büro immer so gewesen. Ein zweites Wohnzimmer wollte er nicht am Zollernhof.

Auf seinem Flur beim ZDF herrscht Umbruchstimmung. Die Moderation von „Berlin direkt“ wird ausgewechselt: Anfang März tritt Theo Koll die Studioleitung in Berlin an und beerbt Bettina Schausten. Sie wird Elmar Theveßen als Stellvertretende Chefredakteurin in Mainz ablösen. Theveßen geht nach Washington. Waldes Job bei „Berlin direkt“ und als stellvertretender Hauptstadtstudioleiter übernimmt Shakuntala Banerjee, zuletzt Korrespondentin in Brüssel.

"Noch habe ich hier zu tun"

Mit überschlagenem Bein, den Knöchel aufs Knie gelegt, sitzt Walde an einem kleinen Tisch in seinem Büro und umfasst eine Kaffeetasse, als müsse er sich die Hände wärmen. Wie geht es ihm mit dem Wechsel? „Noch habe ich hier zu tun“, sagt er. Knapp sechs Wochen sind es bis zu seinem Umzug. Die letzte „Berlin direkt“-Sendung steht an, zudem eine Tagung. Einen Ausstand werde er geben und eine Wohnung in Paris suchen.

In neun Jahren Regierungshauptstadt sah Walde Bundespräsidenten und Koalitionen kommen und gehen, begleitete Kanzlerin Angela Merkel und andere auf Reisen, analysierte politische Krisen. „Ich habe das gerne gemacht, es war eine interessante und intensive Zeit“, sagt er. „Daher werde ich es auf der einen Seite vermissen, weil man mittendrin ist, die Geschehnisse von Anfang an erlebt. Aber es ist auch okay. Dann machen es auch mal andere Leute, die machen das bestimmt genauso gut.“ Das „Okay“ fällt im Gespräch häufiger. Es ist ein zufriedenes „Okay“, lässt er wissen.

Im Fernsehen erlebt man den Kieler als nüchternen, kantigen Journalisten, er selbst bezeichnet sich als „leicht grummelig wirkend“. Besonders zwei Begegnungen machten in jüngster Zeit Schlagzeilen. Im Sommerinterview mit AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte Walde nach den Positionen der Partei zu Klimawandel, Digitalisierung und Rente gefragt – aber nicht zur Flüchtlingspolitik. Gauland kritisierte das Interview als „unverhältnismäßig einseitig“ und „unjournalistisch“. Das ZDF wies die Kritik zurück. Ein „denkwürdiges Stück politischer Journalismus“ nannte Juso-Chef Kevin Kühnert das Gespräch und kommentierte: „War selbst schon bei Thomas Walde im Interview und es war sicherlich nicht das leichteste – aber trotzdem fair. Sollte man abkönnen, wenn man Politik macht.“

Jüngst bearbeitete Walde die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze mit der Frage, wie sie zu Tempolimits auf deutschen Autobahnen stehe – vergebens. Schulze erntete dafür Kritik, SPD-Parteikollegin Anke Rehlinger kritisierte anschließend in der „Welt“ die „Tempolimit – Ja oder Nein?“-Debatte: Das Interview zeige, „mit welcher Inbrunst sich die verkehrspolitische Debatte auf diesen eher kleinen Teilaspekt verengt.“

Thomas Walde ist seit über 30 Jahren Journalist, hat etliche Interviews geführt. „Ich bin für die Fragen zuständig und der oder die Interviewte für die Antworten“, sagt er. Seine Aufgabe sei nicht, dafür zu sorgen, dass der Befragte einen bestimmten Satz von sich gibt. „Wenn ich das Gefühl habe, derjenige oder diejenige hat meine Frage nicht beantwortet, dann frage ich noch mal. Wenn die Person sie dann nicht beantwortet, bin ich zuversichtlich, dass unsere Zuschauer das einordnen können und sehen, ob sie das überzeugt hat oder nicht.“ Er versuche, zu einer Meinungsbildung beizutragen.

Interviewten und Zuschauer nicht unterfordern

Er frage, was „fragwürdig“ sei. „Das heißt auch, wenn ich etwas für relevant halte, dort hinzugehen, wo es wehtut.“ Grundsätzlich eine Gegenposition zum Interviewten einnehmen, es ihm schwer machen, Interviewten wie Zuschauer nicht „unterfordern“. Für diese Art wird Walde auf Twitter kritisiert, aber auch gelobt. Ist der Berliner Politbetrieb froh, wenn er weg ist? Das könnten andere besser beurteilen, antwortet er. Außerdem würden seine Nachfolger auch strenge Fragen stellen.

Seit 1994 ist der Diplom-Politologe beim ZDF, war zuvor auch zwei Jahre bei Vox. „Ich kann wirklich zu dem stehen, wofür es Öffentlich-Rechtliche in diesem Land gibt“, sagt er. „Wenn ich das Gefühl habe, dass ich diesem Auftrag gerecht werde, dann bin ich zufrieden.“ Walde war beim „Auslandsjournal“, bei „Frontal 21“, ab 2002 als Korrespondent in Washington. Er berichtete über die Folgen des 11. Septembers 2001, die US-Wahlen 2004. Nach einem Zwischenstopp in London wechselte Walde nach Berlin.

Nach Washington und London wollte er nicht noch mal, als es um die Postenfrage ging. Was bleibt da an großen Korrespondentenstädten für einen Politikjournalisten wie Walde? In Paris stehen Themen von europa- und weltpolitischem Rang an: Der Brexit, die Europawahlen, der G-7-Gipfel in Biarritz, die deutsch-französischen Beziehungen, die Innen- und Außenpolitik von Staatspräsident Emmanuel Macron, die Proteste der „Gelbwesten“. Das Pariser Büro deckt zudem die Berichterstattung aus Spanien, Portugal und Maghreb ab.

Für Walde fällt der zweiwöchentliche feste Sendeplatz mit rund vier Millionen Zuschauern weg, damit wohl auch die große Bühne. Aber viele andere Sendeplätze kommen hinzu, erklärt er, ob im „heute-journal“ oder anderen Formaten. „Das ist okay. Es ist anders.“ Politik wird nicht mehr sein einziges Feld sein. „Das Schöne ist, dass es in Frankreich noch ganz andere Themen zu bearbeiten gibt“, meint Walde. Etwa das Filmfestival in Cannes und das Theaterfestival in Avignon. „Mit einem Team rausfahren und in den Pyrenäen unterwegs sein, weil dort wieder wilde Bären ausgesetzt wurden. Das ist auch toll.“ Ein „bezahlter Abenteuerurlaub“ witzelt Walde.

Der 1. April, sein offizieller erster Arbeitstag in Paris, ist ein Montag. Vielleicht wird er seinen Dienst schon eher antreten: „Wenn es in Großbritannien zu einem Hard Brexit am 29. März kommt, dann ist das eine Riesengeschichte“, meint Walde. Da will er nicht auf Umzugskartons sitzen. „Dann ist einiges zu tun in Frankreich und Großbritannien, da will ich mit dabei sein.“

„Berlin direkt“, ZDF, am Sonntag um 19 Uhr 10

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