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Mal eine andere Sicht auf die Polizeiarbeit, mal aus der Perspektive einer Protokollantin. Freya Becker (Iris Berben) belässt es aber nicht beim Mitschreiben.

© dpa

ZDF-Serie "Die Protokollantin": Freya Becker tippt und tötet

Iris Berben ist „Die Protokollantin“: Eine horizontale ZDF-Serie über Leben in der Dunkelkammer.

Immer wieder steht sie an der Ampel. Wie andere Passanten wartet sie auf Grün. Aber Freya Becker steht hinter ihnen, springt die Ampel auf Grün um, überquert sie die Kreuzung als Letzte. Freya Becker will Menschen und Menschheit in Berlin auf Distanz halten. Das passt schon zu ihrem Beruf. Sie darf im Berliner Morddezernat LKA1 nur schweigen, nur tippen, nur die immer gleichen Grausamkeiten niederschrieben. Passiv hält sie „in einer Art Echo-Raum die Taten der Männer fest“, sagt Nina Grosse, verantwortlich für Konzeption, Buch, Regie der ZDF-Serie „Die Protokollantin“.

Iris Berben spielt die wie erloschen wirkende Frau, die von sich sagt: „Ich gehöre nicht mehr dazu.“ Die Berben legt dabei großen Wert auf Reduktion, sie lässt ihre Freya fast verschwinden, nur das Gesicht erzählt – hin und wieder – von Emotion, Wut, Tatkraft. An ihrem Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit lässt die Protokollantin nichts von ihrer Gefährlichkeit erahnen. Freya Becker hat eine dunkle Seite, eine Mission, sie will der Gerechtigkeit auf die Sprünge helfen. Mit ihrem Mitstreiter Damir Mitkovic (Johannes Krisch) für das eigen interpretierte Recht und den eigenen Seelenfrieden hat sie gemordet, wenn ein Täter freikam, weil die Beweislage angeblich zu dünn gewesen war oder plötzlich ein Alibi auftauchte.

Gewalt in der Kindheit

Freya ist biografisch vorbelastet, häusliche Gewalt hat sie in ihrer Kindheit begleitet. Dann ist ihre Tochter Marie (Zoe Moore) vor elf Jahren verschwunden. Alle nehmen an, sie sei tot, Freya glaubt das nicht. Wieder und wieder erscheint Zoe ihr im Schlaf, Mahnerin und Quälgeist, bei Suche und Rache nicht nachzulassen. Der mutmaßliche Mörder Murat Nadarevic (Misel Maticevic) kommt dieser Tage aus dem Gefängnis.

Und da ist der Menken-Mord. Thilo Menken (Andreas Lust) halten alle im LKA für einen Vergewaltiger und Mörder. Aber er wird freigesprochen, Freya Becker richtet ihn hin. Ihr neuer Chef Henry Silowski (Peter Kurth), den sie noch vom Fall ihrer Tochter her kennt, will bei den Menken-Ermittlungen alle ähnlichen ungeklärten Mordfälle der vergangenen Jahre einbeziehen. Und er wirft ein Auge auf die stille Freya Becker. Bei ihr zieht plötzlich Farbe in Gesicht und Kleidung, sie warnt Silowski, er komme zu spät. Ist der Tod stärker als die Liebe?

„Die Protokollantin“ ist eine Menschengeschichte in fünf Teilen, wie auch anders, wenn sich Krimi, Drama und Liebe mischen. Autorin Nina Grosse nimmt sich für einen nicht überaus komplizierten Plot Zeit, die Regie – Nina Grosse und Samira Radsi – lässt sich Zeit. Das kommt der Genauigkeit der Figurenzeichnung zugute. Das Drama der Freya Becker geht tief, die Hoffnung des Henry Silowski nicht minder. Berben und Kurth sind sich ebenbürtig, sie bringen ihre Figuren zu identifikationsreifer Größe.

Freyas jüngerer Bruder mogelt sich durchs Leben

Auch das Personal rund um das Zentralgestirn ist von dieser Qualität. Zuerst ist da Moritz Bleibtreu als Freyas sehr viel jüngerer Bruder Jo. Ein labiler Charakter, der sich, so seine Frau Jasmin (Linda de Boer), „durchs Leben mogelt“. Er führt ein Restaurant, hält Anteile an einem Escort-Service. Früher managte er einen berüchtigten Club, in das Verschwinden von Marie scheint er verwickelt zu sein. Der Zuschauer, der stets die Perspektive von Becker und der anderen Protagonisten kennt, wird auch hier über die Episoden hinweg informiert. In diesem Erzählkanon geht es ins Finale. Die Auflösung sieht sich alles andere als herbeigezwungen an.

Die Serie wird Folge für Folge am Samstag ausgestrahlt. Dafür, dass es ihr an Atemlosigkeit fehlt, punktet sie mit Finesse. Das Szenenbild von Christian Schäfer und die Kamera von Alexander Fischerkoesen respektieren ebenso die Lebensumstände der bescheidenen Hauptfigur wie sie die Flitterwelt von Gourmetrestaurant und Escort-Service optisch nicht platzen lassen. „Die Protokollantin“ zeugt von homogenem Stilwillen, Zurückhaltung kommt vor Aggressivität. Das ZDF spricht von „Berlin Noir Stil“, man könnte auch nur von Kühle sprechen. Ein Mensch in seinem Dasein, ein Mensch in seinem Sosein, eine ambivalente Heldin, eine anziehende Konstellation.

Das ZDF will seine treuen und vor allem seine älteren Zuschauer nicht mit Hauruck in die neue horizontale Serienwelt beamen, sondern mit Vorsicht und Einfühlungsvermögen. Eine bescheidene ältere Frau, die ungeschminkt ins Büro geht, mit ihrer Katze spricht, ist nicht die größte aller Publikumsherausforderungen. Das ist der Racheengel. der sich gegen das Leben entschieden hat.

„Die Protokollantin“, ZDF, Samstag, 21 Uhr 45

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