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Schauspieler Jan Josef Liefers verteidigte seine Teilnahme an der Video-Aktion #allesdichtmachen.

© Tsp

ZDF-Talk zu #allesdichtmachen: „Was ist Ihre Botschaft, Herr Liefers?“

Spaltet Corona das Land? In der ZDF-Talkshow Bei „Maybrit Illner“ wurde diskutiert, nicht diskreditiert. Und Schauspieler Jan Josef Liefers blieb sich treu.

Wenn Kritik mit dem Zwang zum Schweigen belegt wird, wird Ironie dann zur Bürgerpflicht? So ungefähr geht die Verhaltens- und Verteidigungslinie von Jan Josef Liefers. Der Schauspieler ist Protagonist der Video-Aktion „#allesdichtmachen“, die die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, nun ja, persiflieren will. Liefers selber verkörpert ein gerüttelt Maß Ironie. Er hatte die angeblich homogenen Medien abgeschaltet, weil er über die Corona-Berichterstattung schier „kirre" geworden sei.

Aber nicht dermaßen kirre, dass er a) sich „#allesdichtmachen“ verweigert und b) seine Medienabstinenz fortgesetzt hätte: in rascher Folge „3 nach 9“, Interview in der „Zeit“, am Donnerstagabend Gast bei „Maybrit Illner“. So ein Video will eben erklärt sein.

Spaltet Corona das Land?

Die ZDF-Talkshow nahm den vielleicht aktuellsten Punkt in der Pandemie-Diskussion auf: „Freiheit, Solidarität, Widerspruch – Spaltet Corona das Land?“ Die Redaktion hatte die potenziellen Positionen hinreichend besetzt: Der Arzt, SPD-Politiker und Erster Bürgermeister Hamburgs, Peter Tschentscher, traf auf den Juristen und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, den Grünen-Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim und den Schauspieler Liefers.

Schnell kam es zum Abgleich der Standpunkte: Also fand Wolfgang Kubicki die Video-Aktion sehr pointiert, sah sie von der Kunstfreiheit gedeckt. Er habe Verständnis für die Künstler, die von Corona besonders betroffen seien. Hamburgs Bürgermeister Tschentscher sagte, die Aktion sei missverständlich. "Was ist Ihre Botschaft, Herr Liefers?", diese sei nicht zu verstehen. Man müsse doch vor allem an die denken, die unter Corona am meisten leiden würden.

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Boris Palmer, Vertreter der "Modellstadt Tübingen", will nicht leiser werden. Er lasse sich nicht wegdrücken, sich seiner Meinung berauben. Die Bevölkerung brauche keine Vordenker. "Danke, Herr Liefers, für diese Aktion", dekretierte der Grünen-Politiker. Die "Bundes-Notbremse" habe das Modell Tübingen - Außengastronomie, offene Theater - gekillt. Lob für den Modellversuch gab es - von Peter Tschentscher.

Die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim wünschte sich Diskussionen, die nach vorne streiten würden. Genervt zeigte sie sich davon, dass über #allesdichtmachen immer noch geredet werde. Medial würden die belohnt, "die am lautesten schreien". Bitte nicht so viel Aufmerksamkeit für extreme Aktionen, war ihre Forderung. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Minderheiten unsere Diskussionen bestimmen."

Liefers blieb Liefers treu 

Und Liefers? Blieb seiner Aktion treu, reklamierte, dass die Aktion einen neuralgischen Punkt erwischt hätte, es gebe eben auch starken Beifall. Und: Es gebe doch immer mehr Leute, die sagten, das und das dürfe man nicht mehr sagen.

Jan Josef Liefers hinterließ jedenfalls den Eindruck, dass er eine solche Aktion wiederholen würde. Auch weil nur eine solche Aktion eine solche Aufmerksamkeit generieren kann.

Gelungene Moderation

Moderatorin Maybrit Illner orchestrierte die pluralistische Runde mit Bedacht. Ihre Fragen und Nachfragen suchten die jeweilige Position auszuleuchten, herauszufinden, ob hinter dem starken Statement auch das starke Argument zu finden sei. Diese Talkshow hatte zum Ziel, im Für und Wider das Meinungs- und Verhaltensspektrum zu den Corona-Maßnahmen darzustellen. Es galt nicht, Sieger und Besiegte festzumachen, die Mehr- oder Weniger-Rechthaber zu fixieren. Das blieb den Zuschauerinnen und Zuschauern überlassen.

[Mehr zum Thema: Wer steckt hinter #allesdichtmachen? Eine Spur führt ins Querdenker-Milieu.]

Dabei herrschte nicht Love & Peace & Eiscreme vor. Der Arzt im SPD-Politiker Tschentscher hat, darin intensiv unterstützt von der Chemikerin Nguyen-Kim, das Corona-Virus fest im Auge, während Kubicki und Palmer sich an der Unmäßigkeit der Corona-Maßnahmen abarbeiteten. Kann man machen, klar, doch wird das Virus ungefährlicher, wenn die „Freiheitskämpfer“ der FDP in Karlsruhe klagen? Kubicki beklagte die Ausgangssperre und pries erste Lockerungen in Schleswig-Holstein. Das brachte dann doch Tschentscher auf die Zinne: Kubicki untergrabe die Akzeptanz der Corona-Maßnahmen. Immerhin, Nguyen-Kim brachte in ihrem Schlusswort den Optimismus unter, dass es mit der Pandemie ein Ende haben werde. Wann genau, sagte sie nicht.

Reden ist Gold

Die 60 Minuten haben gezeigt, dass wenn auch de Geduldsfaden reißt, der Gesprächsfaden nicht gleich mit abreißen muss. Das Reden, das Diskutieren, das Nicht-einer-Meinung-Sein über Corona und die Folgen ist möglich, so Menschen bereit sind, zu reden, zu diskutieren, nicht einer Meinung sein zu wollen. Und im Anders-Denkenden nicht den Feind zu erkennen, sondern nur den, der eine andere Meinung hat.

Das kommunikative Klima im Land ist dermaßen gereizt, dass solch ein Ergebnis einer Talksendung nachgerade gefeiert werden muss: Schweigen ist Silber, Reden ist Gold.

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