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Politisch-medialer Komplex? Die Verfassungsrechtler wollen das ZDF – im Bild der Hauptsitz am Mainzer Lerchenberg – gründlich durchleuchten. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

ZDF vor dem Bundesverfassungsgericht: Parteifromm oder staatsfern?

Politklüngel und Parteiengeschacher gehören zur DNA des ZDF. Jetzt hat sich der Sender selbst vors Verfassungsgericht zitiert. Mit schnellen Ergebnissen aus Karlsruhe ist nicht zu rechnen.

Welche Befugnisse haben Verwaltungsrat und Fernsehrat? Wie laufen die Sitzungen ab? Gibt es Gruppenverhalten bei den Abstimmungen? Wie ist im Sender die Berufungspraxis? Wie wählen die gesellschaftlichen Gruppen, die den Fernsehrat bestücken, eigentlich ihre Mitglieder aus? Der Fragenkatalog der Verfassungsrichter ist lang. Gründlich wollen sie das ZDF durchleuchten. Denn ab Dienstag wird in Karlsruhe die Frage verhandelt, ob die Besetzung der ZDF-Gremien verfassungskonform ist.

Es klagt das Land Rheinland-Pfalz. Unterstützt wird die Klage vom Land Hamburg. Im Kern ist die Normenkontrollklage eine Paradoxie: Kurt Beck, der Ministerpräsident, beklagt Kurt Beck, den ZDF-Verwaltungsratsvorsitzenden. Warum? Um Schlimmeres zu vermeiden.

Roland Koch war der Auslöser für die Auseinandersetzung

Nachdem der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Februar 2009 mit deutlicher politischer Absicht die Vertragsverlängerung für den ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender verhinderte, kam schnell die eigenartige Verfassung des ZDF auf die politische Tagesordnung. Mit der jetzigen Klage unterzieht sich also das ZDF de facto einer Selbstprüfung, bevor es andere tun. Zur Debatte steht nur der Status quo. Das zeigt aber auch, dass es nicht aus eigener innerer Kraft reformfähig ist. Sonst hätte es ja längst Veränderungen in der Besetzung der Gremien geben können, die dann immer noch auf ihre Rechtmäßigkeit hätten überprüft werden können. Der Gang nach Karlsruhe signalisiert auch: Reformen soll es nur geben, wenn ein Anstoß dazu von außen kommt. Das Bundesverfassungsgericht aber ist kein Reformhaus. Es wird eher ein paar Grundsätze bekräftigen und vielleicht noch Leitplanken für die Zukunft beschließen. Die würden dann auch für die ARD gelten, die sich in der Vorbereitung des Prozesses gegen das ZDF zu profilieren versucht.

Das ZDF ist eine zähe Institution. Gegründet wurde es als „Sender der Länder“ erst nachdem das Verfassungsgericht 1960 im ersten richtungweisenden Medienurteil der jungen Bundesrepublik einen geplanten zentralistischen „Adenauer-Sender“ verboten hatte. Seitdem gehört ein überbordender Einfluss der Ministerpräsidenten fest zum ZDF. Noch heute sitzen fünf amtierende oder ehemalige Ministerpräsidenten im 14-köpfigen Verwaltungsrat, der über den Etat und die wichtigsten Personalien des Senders entscheidet. Mit dabei ist immer auch ein Mitglied der Bundesregierung. Im Urteil von 1960 hat das Bundesverfassungsgericht als grundlegendes Prinzip festgelegt, wie aller öffentlich-rechtlicher Rundfunk zu sein habe – nämlich „staatsfern“.

Will das Gericht nun die langjährige ZDF-Praxis daraufhin untersuchen, muss es eigentlich nur die einschlägige Memoirenliteratur von Günter Gaus bis Dieter Stolte zu Rate ziehen, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Ausführlich schildert Stolte, wie er sich bei Personalien stets an den ausgehandelten Parteiproporz gehalten habe: Nur wenn Intendant und Programmdirektor schwarz sind, darf der Chefredakteur rot verortet sein. Nicht wegen mangelnder Qualifikation, sondern ausschließlich deswegen sei etwa für Hans Janke die Programmdirektion nie infrage gekommen, kamen kreative Köpfe wie Peter Gerlach oder Heinz Ungureit nie an die Senderspitze. Dass sich die 77 Mitglieder des Fernsehrats artig in einen roten und schwarzen Freundeskreis sortieren, ist laut Stolte hilfreich für ein geordnetes Management.

Wie viele der dort versammelten Verbraucherschützer, Vertriebenenfunktionäre oder Gewerkschafter direkt oder indirekt der staatlichen Sphäre zuzurechnen sind, mag das Gericht nun prüfen, aber unter den Medienpolitikern der Länder ist es kein Geheimnis, dass der Gesetzgeber nur die delegierenden Institutionen neu festlegen muss, um die Gremien politisch zu beeinflussen. Beruft man mehr Vertriebene, Vertreter der Musikschulen oder Handelskammern als Repräsentanten der „gesellschaftlichen Gruppen“, werden sie schwärzer, kommen Verbraucherschützer oder Gewerkschaftsjugendliche stärker zum Zug, werden die Gremien rot-grüner.

Hombach, Söder und Bütikofer sind als Raufbolde in Erinnerung geblieben

Politklüngel und Parteiengeschacher gehören zur DNA des ZDF. Dies fällt nicht weiter auf, solange dieser hauptsächlich groß-koalitionäre Einfluss besonnen moderiert wird. Dafür standen und stehen Johannes Rau, Kurt Beck und auch der heutige Fernsehratschef Ruprecht Polenz (CDU). Immer gab es aber auch Raufbolde. Bodo Hombach (SPD), als er Kanzleramtsminister wurde, Markus Söder als CSU-Generalsekretär, aber auch Reinhard Bütikofer als Poltergeist für die Grünen und eben Roland Koch sind einigen ZDFlern da unangenehm in Erinnerung. Eine besonders absurde Einrichtung des ZDF ist der „Programmausschuss Chefredaktion“, ein Untergremium des Fernsehrats. Hierhin werden die Chefredakteure zitiert, um beispielsweise ihre Wahlberichterstattung vorzulegen. Das große Wort führen die in diesem Gremium versammelten Generalsekretäre der Parteien. Hier sind als Kontrolleure also jene tätig, die selber Gegenstand der Berichterstattung sind. Diese soll „unabhängig“ sein. Dass da etwas grundlegend nicht stimmt, könnte dem Verfassungsgericht auffallen. Bei so viel politischem Zugriff ist es fast schon ein kleines Wunder, wie viel journalistische Resistenz es im Detail dennoch gibt.

Bis zum Urteil wird sich das Verfassungsgericht viel Zeit lassen. Es ist erst im kommenden Jahr zu erwarten. In seiner bisherigen Rechtsprechung war es stets sehr aufgeschlossen gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Eine Bestands- und Entwicklungsgarantie hat es ihm zugebilligt. Den sehr weit gefassten Begriff einer „Grundversorgung“ hat es nie infrage gestellt. Die finanzielle Versorgung hat es von tagespolitischen Entscheidungen der Parlamente zu entkoppeln versucht. Eine grundstürzende Aufforderung zur Neuerung an die Adresse des ZDF ist vom Verfassungsgericht somit kaum zu erwarten. Populistische Rufe wie „Schafft die Räte ab!“ werden in Karlsruhe keinen Widerhall finden. Ebenso wenig wird es eine Verbannung jedweder Politik aus der Senderkontrolle geben. Allerdings hat Karlsruhe beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk stets auf „Staatsferne“ gepocht. Es ist also durchaus realistisch, dass das Bundesverfassungsgericht die Überpolitisierung der Gremien zurückschneiden könnte.

Sinnvoll wäre es, die Bindung an die Zuschauer neu zu organisieren. An die Stelle der starren Institution Fernsehrat könnte ein wenigstens teilweise gewählter Zuschauerrat treten. Als sinnvoller Ersatz für den mächtigen Verwaltungsrat wäre ein viel kleinerer Aufsichtsrat denkbar, dem keine aktiven Parteipolitiker oder Vertreter staatlicher Stellen mehr angehören dürften. Beides wären immer noch politische Gremien, die sich von unmittelbar parteipolitisch motivierten Durchgriffen aber strategisch fernhalten könnten. Dem Programm würde das guttun.

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