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So oder so. Hauptmann Gödicke (Ronald Zehrfeld, rechts) und Major Witt (Florian Panzner, links) haben ein gemeinsames Ziel, aber unterschiedliche Methoden. Foto: ARD

© WDR/Wolfgang Ennenbach

Zeitgeschichte und Krimi: Der Sozialismus gebiert keine Sadisten

„Mord in Eberswalde“: ARD-Film über eine ideologische Fahndung in der DDR. Gesucht wird ein Triebtäter, der aus Lustbefriedigung Kinder tötet. Für die Stasi kann das nicht sein, weil es nicht sein darf.

Der Fall war schon einmal Stoff. 1974 hat das DDR-Fernsehen das Geschehen in Eberswalde als „Polizeiruf 110“ verfilmt. Der Film wurde zensiert, er verschwand und wurde erst 2011 in restaurierter Fassung im MDR-Fernsehen gezeigt. Das war zu viel, offenbar viel zu viel für ein realsozialistisches Gesellschaftssystem: ein pädophiler Triebtäter. Drei Jungens hat er umgebracht. Dafür wird Erwin Hagedorn zum Tode verurteilt und am 15. September 1972 hingerichtet. Er war der letzte Delinquent, an dem in der DDR die zivile Todesstrafe vollstreckt wurde.

„Mord in Eberswalde“ nimmt den Fall auf und rollt ihn erneut ab. Das Verbrechen und seine Aufklärung will Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt möglichst authentisch schildern, innen wie außen. Innen, das sind der ermittelnde Hauptmann der Volkspolizei Heinz Gödicke (Ronald Zehrfeld) und Stefan Witt (Florian Panzner), Major des MfS. Sie sind Freunde seit der Schulzeit. Was sie trennen wird, das ist ideologisch begründet: Witt hält das Täterprofil, das Gödicke entwickelt, für undenkbar im Sozialismus: Ein Sadist, der aus Lustbefriedigung Kinder quält und tötet? Es kann nicht sein, was nicht sein darf .

1971, zwei Jahre nach den ersten Morden, ein dritter. Noch bestialischer. Gödicke kann jetzt in seinem Sinne und nach seinen Methoden ermitteln. Er fasst Kochlehrling Erwin Hagedorn. Aber wieder siegt die Ideologie über jeden Willen zur Aufklärung. Während Gödicke sich und andere fragt, ob Hagedorn überhaupt schuldfähig sein kann, wird der im Gefängnis exekutiert. Das strafrechtliche Moment bekommt seine systemrelevante Tragweite. Durfte es den psychisch kranken Täter schon nicht geben, so kann es auch keinen Täter geben, der nicht für seine Tat verantwortlich ist.

Druck und Gegendruck, das fasst Regisseur Stephan Wagner mit einer beeindruckenden Konzentration ins Bild. Da schweift nichts aus, da ist viel Reduktion in einer gekonnt nachgestellten DDR-Ästhetik, die niemals Zitat sein will, sondern unbedingt Realismus. „Mord in Eberswalde“ will drei Handlungsstränge miteinander verschlingen – die kriminalistische, ideologische, die private. Witts Lebensgefährtin Carla Böhm (Ulrike C. Tscharre) hat ein Verhältnis mit Gödicke. Der Betrug bringt Witt aus der Spur und es bleibt in der Schwebe, ob er die Deckelung der Fahndung nicht auch aus Rachsucht durchführt. Beide werden ihre Freundschaft für ihre Überzeugungen opfern, keiner ist ohne Schuld.

Gödicke ist die facettenreichere Figur, in Witt sind Denk- und Handlungsweisen des MfS fusioniert. Ronald Zehrfeld spielt Gödicke. Der Schauspieler ist nicht erst seit „Barbara“ auf seinem Reinkarnationsweg zum DDR-Schauspieler. Seine Figuren sind angepasst und auch wieder nicht. Zehrfeld kann diese Aura entfalten, seine „Bärenhaftigkeit“ korrespondiert mit innerer Zartheit und robustem Gewissen. Florian Panzner weitet die Uniform des MfS-Mannes so weit wie möglich – mehr Typ als Prototyp. Ulrike C. Tscharre gibt ihrer Carla den Charme einer attraktiven Frau und die Entschlossenheit, dass sie, zwischen beiden Männern stehend, nicht im Weibchen-Modus verharrt.

„Mord in Eberswalde“, 20 Uhr 15, ARD

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