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Wer die Wahl hat. Das Angebot ist zwar riesig, einige Titel wie „Spiegel“ oder „Stern“ fehlen jedoch im Angebot von „Readly“.

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Zeitschriften im Flatrate-Abo: Mehr als bei jedem Zahnarzt

Nach dem Flatrate-Prinzip: Wie man mit einer App tausend deutschsprachige Zeitschriften lesen kann. Und warum einige Marken nach wie vor fehlen.

In einer großen Altbauwohnung nahe dem Südstern in Kreuzberg wird Deutschlands größter Zeitschriften-Kiosk mit immer neuen Magazinen bestückt. Das Angebot reicht vom „Reisemagazin Hamburg“, der Flugzeitschrift „Aero“ und „Auto Bild“ über das People-Magazin „Adel heute“, die Anglerzeitschrift „Am Haken“ und das Finanzheft „Anlagetrends 2019“ bis zum IT-Magazin „Apps“, das Architekturheft „Atrium“ und der Zeitschrift „Astro Woche“. Mehr als bei jedem Zahnarzt. Und das sind nur einige der Magazine mit dem Anfangsbuchstaben A. Auf insgesamt 3700 Zeitschriften, davon 1000 deutschsprachige, kommt die digitale Zeitschriften-Flatrate Readly. Der Tagesspiegel ist unter anderem mit seinem Gesundheitsratgeber vertreten. Neben Schweden, Deutschland, Österreich und Schweiz ist das Unternehmen in Großbritannien, den USA und seit einigen Monaten auch in den Niederlanden aktiv. „Als nächstes Land könnte im Frühjahr Italien dazukommen“, sagt Jörgen Gullbrandson, der CEO des schwedischen Start-ups.

Die erfolgreiche Vermarktung gedruckter Inhalte im Internet ist eines der ganz großen Themen für alle Verlage. Das gilt für Zeitungen, die einen Teil ihrer Beiträge über Plattformen wie Blendle gegen Bezahlung anbieten, genauso wie für Zeitschriften. Während der Absatz der gedruckten Magazine seit Jahren rückgängig ist, verzeichnet Readly ein beachtliches Wachstum, wenngleich von einer bescheidenen Basis aus. Die Zahl der Mitarbeiter hat sich 2018 auf 62 verdoppelt, davon arbeiten immerhin zehn in Berlin. Nach 13 Millionen Euro in 2017 wird für das vergangene Jahr ein Umsatz von 20 Millionen Euro ausgewiesen, ein Plus von rund 60 Prozent.

Wachstum first

Das schnelle Wachstum hat allerdings seinen Preis: „Ähnlich wie zuvor bei Spotify wird das Hauptaugenmerk auf möglichst schnelles Wachstum gelegt, nicht auf Profit“, sagt Gullbrandson. Anders gesagt: Readly macht derzeit Verluste, aber das soll nicht von Dauer sein. Das sehen auch die Investoren so. Im August 2018 hatte das Start-up von einem neuen Investor zusätzliche zehn Millionen Euro für die weitere Expansion erhalten.

Die Rechnung, die Gullbrandson aufmacht, klingt einfach. Für eine Monatsgebühr von 9,99 Euro erhalten die Abonnenten Zugang zum Katalog von Readly. Die Zeitschriften erhalten 70 Prozent der Erlöse. Für jeden neuen Abonnenten muss die Plattform zunächst 30 Euro investieren, langfristig beträgt der Wert jedes Kunden aber 100 Euro. Darum liegt es auch im Interesse der Readly-Investoren, das Wachstum trotz Verlusten fortzusetzen. Allerdings steht und fällt diese Rechnung mit der Zahl der so geworbenen Abonnenten. Wie viele das sind, gehört jedoch zu den Dingen, über die Gullbrandson keine Auskunft geben will.

Die Entscheidung für oder gegen ein Readly-Abo fällt bei den Menschen, die sich dafür prinzipiell interessieren, übrigens danach, ob die zwei Zeitschriften-Abos, die ein Haushalt im Durchschnitt hat, in der Flatrate enthalten sind. Für Gullbrandson wäre das zum Beispiel „Auto Motor Sport“ und die schwedische Entsprechung von „GQ“. Hat der Leser aber erst einmal ein Abo geschaltet, nimmt der Lesekonsum sprunghaft auf bis zu 28 Hefte im Monat zu. „Die durchschnittliche Lesedauer pro Monat liegt bei sieben Stunden – und das in Konkurrenz zu all den anderen interessanten Medienangeboten“, sagt der Readly-Chef. Allein im vierten Quartal 2018 haben die Abonnenten zusammengenommen 20 Millionen Zeitschriften gelesen. Die meisten Zeitschriften werden für das Lesen auf Smartphones und anderen mobilen Endgeräten optimiert. Zum besseren Lesen können die Beiträge als lange, von Bildern unterbrochene Texte dargestellt werden. Langfristig könnten lange Texte wie aus dem „Rolling Stone“- Magazin auch vorgelesen werden.

Noch wird dazu ein professioneller Sprecher benötigt, doch die technologische Entwicklung schreitet schnell voran. Vielleicht ist dies in zwei Jahren schon mit Computern möglich, kann sich Gullbrandson vorstellen. Aber auch andere Darstellungsformen sind denkbar, beispielsweise bei der „Auto Motor Sport“ kleine Filme von Fahrzeugtests.

Lücken im Magazin-Regal

Einige Zeitschriften wie „Spiegel“, „Stern“ oder „Focus“ sucht man jedoch vergebens. Wenn es nach Gullbrandson geht, würde sich das schnell ändern. „Unsere Vision ist es, jedes Magazin auf der Welt auf unserer Plattform zu haben“, sagt er. In Deutschland rede sein Unternehmen darum auch mit jedem Verlag. Über den Stand der Verhandlungen könne er jedoch nichts sagen. In solchen Gesprächen muss nicht zuletzt die Angst zerstreut werden, dass Readly das eigene Geschäftsmodell zerstören könnte. Das Gegenteil sei der Fall, versichert Gullbrandson. „Wir sind nicht Apple, Amazon oder wer sonst Ihnen die Werbeerlöse stiehlt und die Leute vom Papier zum Online-Konsum bringen möchte. Ich bin derjenige, der ihr Geschäft mit einem fairen Deal retten kann“, sage er den Verlagschefs in solchen Gesprächen.

Derzeit wird viel darüber spekuliert, dass Apple seine Zeitschriften-Flatrate Texture zusammen mit dem geplanten Video-Streamingdienst und Apple Music zu einem geballten Medien- und Unterhaltungsbündel zusammenlegen könnte. Für Readly sind solche Überlegungen kein Grund zur Sorge. Zunächst einmal sehen sich die Schweden in ihrer Überzeugung bestätigt, dass Zeitschriften keineswegs tot sind, sondern nur eine stärkere digitale Vertriebsplattform benötigen. Anders als Apple will sich Readly zudem nicht nur auf 200 Magazine je Markt beschränken, sondern möglichst viele Zeitschriften anbieten. Durch die Beschränkung auf den Magazin-Markt könne Readly zudem mehr an die Verlage ausschütten als ein Dienst, in dem ganz unterschiedliche Medien angeboten werden, meint der Readly-Chef.

Für die Verlage ist es vor allem wichtig, den Kontakt zu den Lesern nicht zu verlieren. Die Abo-Kartei könne man aus Datenschutzgründen allerdings nicht mit den Verlagen teilen, sagt Gullbrandson. Vergleiche hätten jedoch gezeigt, dass es nur zwei bis drei Prozent Überschneidungen gibt. Anders gesagt: Indem die Verlage zusätzlich bei Readly vertreten sind, erhalten sie Geld, das sie sonst nicht verdient hätten, wirbt der Manager für sein Modell. Selbst das Thema Werbung ist kein Tabu. In Schweden läuft ein Pilotversuch namens Readly Advertising. Dabei fügt Readly den Heften selbst Anzeigen hinzu. Für die Werbekunden sei dies attraktiv, weil sie bei diesen Anzeigen die nötigen Informationen über die Wirkung der Werbung erhalten. Und die Verlage werden an den Erlösen beteiligt.

Der „Playboy“ kommt übrigens nicht überall gleich gut an. In Deutschland genießt das Magazin bei Verlagen und Lesern hohes Ansehen, in Skandinavien werden viele Menschen hingegen nervös, wenn ein Heft wie der „Playboy“ im virtuellen Regal liegt. Andere Verlage sagen dann: „Du kannst meine tolle Marke nie in der Nähe dazu zeigen.“

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